# taz.de -- Eine Zuflucht für Raubtiere: Nur eine Woche Freiheit für Achioa
       
       > Die Harnas Wildlife Foundation kümmert sich um vom Aussterben bedrohte
       > Raubtiere. Das geht nicht immer einher mit den Interessen der lokalen
       > Bevölkerung.
       
 (IMG) Bild: Ein Gepard auf der Tierfarm der Harnas Wildlife Foundation in Namibia.
       
       Sieben Uhr morgens mitten in der namibischen Steppe. Sanfte Sonnenstrahlen
       steigen am Horizont empor und bilden feine Wassertröpfchen auf der Veranda
       der Harnas Wildlife Foundation. Beim täglichen Morgenmeeting der
       Wildtierorganisation verhalten sich alle 60 Mitarbeiter – der Uhrzeit
       entsprechend – ruhig und gelassen. Nur einer trommelt nervös mit den
       Fingern auf den Tisch, sodass der Kaffee in den Tassen vibriert.
       
       Marnus Roodbol, Raubtierforscher aus Südafrika, präsentiert die
       GPS-Tracking-Daten eines vor einer Woche in die Freiheit entlassenen
       Geparden. „Etwas stimmt nicht“, sagt der 28-jährige Ranger. Er ist besorgt,
       spricht kurz und schnell. „Seit vierzig Stunden hat sich Achioa nicht mehr
       bewegt. Abfahrt in einer Stunde.“ Ziel der heutigen Mission: Namibias
       Hereroland.
       
       Es ist noch kein halbes Jahr her, da hatte ein Farmer aus der Umgebung bei
       Harnas angerufen: „Ich habe einen Geparden gefangen, er hat meine Viehherde
       attackiert“. Er drohte: „Entweder ihr holt ihn ab, oder ich erschieße ihn.“
       
       Für die Mitarbeiter von Harnas keine Neuigkeit. Marnus zögerte nicht lange,
       fuhr zu dem Farmer, lud die Raubkatze in sein Auto und nahm sie bei sich
       auf. Sie war verletzt und abgemagert.
       
       Auf dem 10.000 Hektar großen, eingezäunten Gelände von Harnas kam der
       Gepard aber langsam wieder zu Kräften. Er wurde gesund und erreichte sein
       Normalgewicht durch eine strikte Diät. Schließlich setzten Marnus und sein
       Team das Raubtier - samt Peilsender – in einem Naturschutzgebiet des
       nordöstlich gelegenen Boesmanland aus.
       
       Es war ein großer Tag. Gemeinsam feierte das Forscherteam die Freiheit des
       jungen Männchens. Man trank Sekt und gratulierte einander. Zufriedene
       Gesichter. Der Gepard wagte einen letzten Blick zurück zu Marnus. Danach
       schlug er elegant zwei Haken, und das schnellste Landtier der Welt war im
       üppigen Dickicht der Kalahari verschwunden. Das Team taufte die Katze in
       der Sprache der San „Achioa“ – der Einzelgänger.
       
       In einem weißen Landrover rattert Marnus jetzt die holprige Straße von
       Harnas in nördliche Richtung. Der alte Wagen hinterlässt eine rote
       Staubwolke. Auf dem Beifahrersitz Davide Pignero, italienischer Tierarzt,
       ebenfalls im Dienste der Harnas Wildlife Foundation. Gemeinsam wollen sie
       Achioa finden. Ein ständig piepender GPS-Empfänger soll ihnen dabei helfen.
       
       „Alles ist möglich“, sagt Marnus. „Vielleicht liegt Achioa irgendwo
       verletzt herum, oder er hat sein Halsband verloren.“
       
       „Expect the unexpected“ - so der Leitspruch der Harnas-Wildtierfarm.
       Unverhofft kommt oft. Nach rund drei Stunden auf der C44 biegt Marnus kurz
       nach der Ortschaft Gam ab und nimmt die alte Straße nach Tsumkwe. Vierzig
       Kilometer wird er durch Niemandsland fahren und dafür rund drei weitere
       Stunden benötigen. Manchmal stehen Kinder im Lendenschurz am Rande der
       Piste und winken.
       
       Dornige Äste knattern gegen die Windschutzscheibe. „Seit den 1970er Jahren
       ist der weltweite Bestand an Geparden um ein Drittel zurückgegangen“, sagt
       der junge Veterinär Davide Pignero. „In Namibia gibt es noch etwa 2.500 von
       ihnen.“
       
       Marnus fällt ihm ins Wort: „Aber lediglich 500 Geparde leben hier in freier
       Wildbahn. Es ist der weltweit höchste Bestand. Und wenn wir uns nicht um
       sie kümmern, sind sie bald ausgestorben.“ Auf der Roten Liste gefährdeter
       Tierarten stehen die Geparden schon seit längerem.
       
       ## Die Schwarze Mamba
       
       Der Geländewagen streift einen massiven Ast. Eine zwei Meter lange Schwarze
       Mamba kracht auf die Motorhaube. „Fenster zu!“, schreit Marnus. Die
       Schlange zischt und bäumt sich auf. Marnus bremst, sie fällt zu Boden und
       macht sich eilig davon. „Alle okay?“ Weiter geht die Fahrt durch das
       stachelige Buschland.
       
       Die Harnas Foundation hat einen Vertrag mit der Bevölkerung von Boesmanland
       abgeschlossen. Dem zufolge setzt die Organisation Wildtiere in einem
       Naturschutzgebiet der Region aus. „Wir arbeiten Hand in Hand mit den
       Menschen hier. Sie wissen über die Wichtigkeit der Tiere Bescheid und tun
       den Geparden nichts. Allerdings sind wir jetzt in Hereroland, also weit
       entfernt von der Entlassungsstelle“, sagt Davide. „Achioa hat sich viel
       weiter wegbewegt in dieser Woche, als wir gedacht haben.“
       
       Das wuchtige Auto müht sich durch sandige Kurven und über zugewachsene
       Pfade, bis Marnus abrupt abbremst und barfuß aus dem Wagen springt. Die
       Töne im GPS-Empfänger werden klarer. Mitten im afrikanischen Nichts, einer
       unwirtlichen und lebensfeindlichen Umgebung.
       
       ## Der GPS-Empfänger gibt die Richtung an
       
       „Wir sind sehr nahe“, sagt der Forscher. Er und Davide klettern auf das
       Dach und eruieren mit einer Antenne die Richtung in der flachen, weiten
       Ebene. Der GPS-Empfänger schlägt aus. „Verdammt!“, schimpft Marnus und
       zeigt mit dem Finger nach Osten.
       
       „Da hinten ist ein Boma“, eine Ansiedlung. Rund zwei Tage Fußmarsch
       entfernt von der letzten Ortschaft. Die beiden nähern sich behutsam dem
       Gehöft, das aus zwei Lehmhütten mit Strohdächern und eingezäunten Gehegen
       fürs Vieh besteht. „Vorsicht!“, rät Davide. „Sie haben wahrscheinlich
       Waffen.“
       
       Schwärme zitronengelber Schmetterlinge flattern asynchron umher. Ab und zu
       stürzt ein blitzblauer Bienenfresser mit dem Schnabel voran zu Boden auf
       der Jagd nach Beute. Knochige Wachhunde bellen, während ein schlaksiger
       Herero langsam auf die beiden Besucher zukommt.
       
       ## Der Farmer Gustav
       
       Gustav heißt er, ist Farmer und lebt hier mit seinen Brüdern, Schwestern
       und Kindern. Aus einer der Hütten stecken zwei Frauen neugierig ihren Kopf
       heraus. Sie lächeln. Marnus begrüßt die Runde auf Afrikaans und stellt sich
       und den Grund seines Besuchs vor.
       
       Gustav antwortet. Sie diskutieren. Schließlich senkt Marnus enttäuscht den
       Kopf. Unbehagen macht sich breit. Über dem Dorf kreisen die Geier. „Es ist
       ein Teufelskreis“, fasst Davide Pignero zusammen.
       
       „Ein sehr unglücklicher Vorfall. Auf der einen Seite stehen wir, die
       Wildtierschützer von Harnas. Unser Ziel ist es, die Gepardenbestände in
       Namibias freier Wildbahn wieder zu vergrößern oder wenigstens zu halten.
       Auf der anderen Seite steht die lokale Bevölkerung, die ums Überleben
       kämpft“. Davide holt tief Luft.
       
       „Ein Gepard bedeutet in ihren Augen Gefahr. Wenn ich hier lebe und nur fünf
       Kühe besitze, kann ich es mir nicht leisten, eine davon zu verlieren.“
       Davide hält inne und blickt in die Ferne. „Trotzdem müssen sie ihn nicht
       gleich erschießen. Ein Warnschuss hätte auch gereicht.“ Ein endloser
       Konflikt zwischen Tierschützern und den Farmern in dieser staubigen
       Wildnis.
       
       ## Die Hunde waren es
       
       Während der Herero die Stelle zeigt, wo er den Geparden erschossen hat,
       erzählt er seine Version der Geschichte: Als sich der Gepard seinen Kühen
       nähert, attackieren die Hunde den Eindringling. Die Raubkatze wird schwer
       verletzt und kann sich nicht mehr bewegen.
       
       „Da gab ich ihm den Gnadenschuss“, sagt Gustav und fügt hinzu: „Ich habe
       hier seit über zehn Jahren keinen Geparden mehr gesehen.“
       
       Wen wunderts? Über das seltsame Halsband mit Antenne hat er gestaunt, aber
       sich nicht viel dabei gedacht. „Er wollte es verbrennen“, sagt Marnus. „Zum
       Glück hat er das nicht getan. Ein Peilsender kostet rund 3.000 Euro.“
       
       Gustav holt das Sendehalsband vom Dach seiner Kochstelle und drückt es
       Marnus in die Hand. Von der Harnas Wildlife Foundation hat der Herero noch
       nie gehört. Wie auch?
       
       ## Der Kopf fehlt
       
       Marnus bittet Gustav, ihm den Kadaver zu zeigen. Enthäutet und enthauptet
       hängt der Gepard an einem Baum. Dicke Fleischfliegen nagen daran herum. Die
       Hunde schauen neugierig auf ihr zukünftiges Fressen. Marnus Gesicht
       erstarrt. Seine Augen weichen nicht von dem toten Tier.
       
       „Der Kopf musste wohl für irgendein afrikanisches Ritual herhalten“, knurrt
       er. „In vielen Orten im südlichen Afrika essen die Menschen Buschfleisch.
       Ich kenne genug Leute, die Löwen, Hyänen und auch Geparden essen.
       Vielleicht ist das Fleisch gar nicht für die Hunde, wie der Herero
       behauptet.“ Das Fell hat Gustav dem Geparden abgezogen und vergraben. „Die
       Hunde essen das nicht“, sagt er. „Wir müssen es ihm glauben“, meint Davide.
       „Vielleicht hat er aber auch einen neuen Bettvorleger aus dem Fell
       gemacht.“
       
       Die Trauer um das Raubtier, das Marnus und sein Team gerettet glaubten,
       schlägt jetzt in Wut und Arroganz um. Der Hererofarmer tritt dabei
       symbolisch in die Rolle aller Jäger. „Die Menschen sind dumm“, sagt Marnus.
       „Sie denken nicht an die Zukunft. Und diese Zukunft sieht so aus, dass
       Geparden und andere Wildtiere ausschließlich in privatisierten Parks oder
       Gehegen werden leben müssen.“
       
       ## Ein schwerer Rückschlag
       
       Niedergeschlagen verlassen die Harnas Mitarbeiter Gustavs Boma. „Fünf
       Monate harter Arbeit sind im Keller“, sagt Marnus verbittert und umklammert
       dabei das Halsband mit seinen Händen. „In nur wenigen Augenblicken. Das ist
       ein schwerer Rückschlag für uns. Es ist erschreckend, wenn ich daran denke,
       wie viel Angst Achioa vor Menschen hatte, und trotzdem ging er zu diesem
       Farmer. Es zeigt, wie dumm junge Männchen sind. Genauso wie ein junger Mann
       einfach zu unerfahren und unerschrocken ist. Der Gepard dachte wohl, er sei
       unsterblich. Er hat Grenzen überschritten und dafür gebüßt.“
       
       Im Grunde aber versteht der Forscher Gustavs Verhalten. „Es geht ihm ums
       Überleben. Er würde jederzeit wieder schießen. Raubtiere können mit
       Menschen leben, aber Menschen können nicht mit Raubtieren leben.“
       
       Geknickt machen sich Marnus und Davide auf den langen Heimweg durch die
       zerborstene Landschaft. Es wird eine schweigsame Fahrt.
       
       24 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Zinggl
       
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