# taz.de -- Koordinator über „Stoppt kreuz.net“: „Mehr als Klerikalfaschismus“
       
       > Der Buchautor und ehemalige katholische Religionslehrer David Berger über
       > Kreuz.net, Antisemitismus, die katholische Kirche und einen homophoben
       > Papst.
       
 (IMG) Bild: Was würde Jesus wohl zu Kreuz.net sagen?
       
       taz: Herr Berger, „wer die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er
       Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder
       verleumdet, wird mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf
       Jahren bestraft“, heißt es zum Tatbestand der Volksverhetzung im deutschen
       Strafgesetzbuch. Treffen diese Kriterien auf kreuz.net zu? 
       
       David Berger: Diese Kriterien treffen meiner Auffassung nach eindeutig zu.
       Nach der offenen Homophobie, dem üblen Antisemitismus, der Verleumdung von
       Politikern und Gewalt- sowie Mordaufrufen muss man nicht lange suchen.
       Letztere stehen zwar nicht im redaktionellen Bereich, sondern bei den
       Kommentaren – werden aber nicht gelöscht.
       
       Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt gegen die kreuz.net-Urheber, das
       Portal ist aber schon seit 2004 online. Sie sind wegen Morddrohungen auf
       der Homepage 2011 in Köln zur Polizei gegangen. 
       
       Mir wurde mitgeteilt, ich müsse damit leben, man könne nichts gegen
       kreuz.net machen. Erst als der schwule Comedian Dirk Bach im Oktober starb
       und auf der Seite verhöhnt wurde, entstand öffentlicher Druck und die
       Justiz musste handeln. Bei mir sind die Drohungen irgendwann so heftig
       geworden, dass ich zeitweise Polizeischutz erhielt.
       
       Haben Sie eine Ahnung, wer ihnen droht? 
       
       Aus dem Inhalt der anonymen Mails geht sehr deutlich hervor, dass es
       katholische Fundamentalisten sind.
       
       Tradition und Rückbesinnung werden als Argumente genannt, um diese Hetze zu
       betreiben. Ein Vorwand? 
       
       Jein! Die katholische Kirche hat eine lange Tradition im Denunzieren,
       Bloßstellen und Ausspionieren. Im Impressum von kreuz.net steht
       „Sodalicium“. Das „Sodalitium Pianum“ war um 1910 eine Organisation im
       Vatikan, die damit beschäftigt war, liberale Katholiken in Rom zu
       denunzieren. Die verstehen sich als neues virtuelles Sodalitium, als
       Online-Pranger.
       
       Ein ehemaliger Autor des Portals hat sich wegen des „Klerikalfaschismus“
       von dem Portal verabschiedet. Finden Sie diesen Begriff passend? 
       
       Was auf kreuz.net passiert, ist komplizierter als Klerikalfaschismus. Hier
       verbindet sich ein linker Antiimperialismus gegen die USA und gegen Israel
       mit einem rechtsaußen Antisemitismus. Das sind ähnliche Positionen, die
       Neonazis vertreten.
       
       Pater Hans Langendörfer, Sekretär der Bischofs-Konferenz, geht davon aus,
       dass niemand im kirchlichen Dienst für kreuz.net tätig sei – obwohl
       Gegenteiliges bekannt ist. 
       
       Spätestens seit Montag wissen wir endgültig, dass es nicht stimmt, was
       Langendörfer gesagt hat. Seine Methode ist die gleiche, wie bei dem
       Missbrauchsskandal vor einigen Jahren. Erst vertuschen. Sobald etwas
       auftaucht, unter den Teppich kehren, dann abwehren, schließlich in
       Salamitaktik einräumen und wenn es nicht mehr zu leugnen ist, die
       entsprechenden Personen aus der Öffentlichkeit wegnehmen.
       
       Nach ihren Recherchen musste der katholische Pfarrer Hendrick Jolie
       einräumen, im kreuz.net-Forum Kommentare und Texte geschrieben zu haben.
       Jetzt hat er sein Amt als Sprecher des ultrakonservativen Netzwerks
       katholischer Priester niedergelegt. 
       
       Jolie hat aber nicht seine Positionen geändert, sondern wird so
       weitermachen wie bisher und neue Strategien entwickeln. Letztlich wird es
       auch mit den anderen Mitgliedern des Priesternetzwerkes so sein, wenn
       Vertuschungen und Werbetätigkeit für kreuz.net noch öffentlicher werden.
       
       Ist diese Seite nicht ein Randphänomen? 
       
       Das war sie über viele Jahre. Das hat sich in den letzten Jahren verändert.
       Kreuz.net ist die katholische Seite, welche im deutschsprachigen Raum am
       häufigsten aufgerufen wird – so traurig das auch ist.
       
       Die katholische Kirche scheint hilflos gegen dieses Portal – ist dem
       wirklich so? 
       
       Diese Hilflosigkeit ist natürlich vorgeschoben, um nichts tun zu müssen.
       Die Seite wird ja nicht von Außerirdischen gemacht, sondern von Katholiken.
       Die deutsche Bischofskonferenz hat auf unser Angebot einer Zusammenarbeit
       nicht reagiert, ihre Kollegen aus der Schweiz haben uns ausdrücklich
       gebeten, ihnen einen Brief zu schicken um eine Zusammenarbeit zu beraten.
       Die deutsche Bischofskonferenz will gar nicht so genau wissen, wer hinter
       kreuz.net steckt, weil sie Angst haben, was dabei herauskommt. Kreuz.net
       zeigt, wie die katholische Kirche in zehn Jahren aussieht, wenn sie so
       weitermacht, wie bisher.
       
       Wird kreuz.net auch in Rom gelesen? 
       
       Da gibt es die Aussage eines Aachener Diözesanpriesters aus dem Netzwerk
       katholischer Priester (NKP), der bestätigte, dass die Seite gelesen wird.
       Auch in vatikanischen Büros wird morgens erstmal auf kreuz.net geschaut,
       was es Neues in Deutschland gibt. Er führte das mir gegenüber übrigens als
       Argument ins Feld dafür, dass er den Live-Ticker nicht löschen wolle, den
       das NKP zu kreuz.net auf der eigenen Seite geschaltet hatte.
       
       Und warum hat sich der Papst bisher noch nicht zu diesem Thema geäußert? 
       
       Kreuz.net vertritt alle Intentionen des Papstes, die Grundideen sind
       identisch.
       
       Sie unterstellen Benedikt XVI. Homophobie und Antisemitismus? 
       
       Ohne Zweifel! Es gibt keine Neujahrsansprache des Papstes, wo er die
       Homosexuellen nicht nur indirekt als Menschen zweiter Klasse bezeichnet und
       homosexuelle Veranlagungen verteufelt werden. Wie auf kreuz.net immer
       wieder gefordert, will auch Ratzinger zurück zur tridentinischen Messe und
       eine Wiedervereinigung mit der Piusbrüderschaft. Außerdem hat der Papst die
       Karfreitagsfürbitte in der katholischen Kirche wieder eingeführt. Die hatte
       Johannes XXIII. nach dem zweiten Weltkrieg abgeschafft, weil es im Gebet
       heißt: „Lasset uns beten für die perfiden Juden“ Das ist doch ein
       eindeutiges Signal für einen neuen katholischen Antisemitismus.
       
       Herr Berger, soll man den Reaktionären nicht ihren virtuellen Spielplatz
       lassen, damit sie nicht im wirklichen Leben gefährlich werden? 
       
       Wenn uns die Werte der offenen Gesellschaft wichtig sind, dann müssen wir
       die Feinde der offenen Gesellschaft bekämpfen. Und wenn man sich anschaut,
       wie einflussreich die katholische, reaktionäre Lobby weltweit ist, haben
       wir keine andere Wahl, als uns damit auseinanderzusetzen. Man kann doch
       nicht zuschauen, wie im Namen der Freiheit alle Freiheiten, außer die der
       katholischen Kirche, bekämpft werden.
       
       Oft wird gefordert, dass umfassende Recht auf Anonymität im Internet zu
       verbieten. Wäre dies eine Möglichkeit, um Seiten wie kreuz.net
       stillzulegen? 
       
       Nein, letztendlich kann das nicht gelingen. Über kurz oder lang wird es
       neue Technologien geben, die die wahre Identität der Schreiber erneut
       verschleiern. Dennoch kann es nicht angehen deswegen zu resignieren. Umso
       mehr ist es eben notwendig jene realen Sümpfe trockenzulegen, in denen
       solche üblen virtuellen Machwerke gedeihen. Unsere Suche nach den
       kriminellen Hintermännern von kreuz.net versucht das, soweit es einer
       Privatinitiative möglich ist.
       
       Kardinal Bertone, der zweite Mann im Vatikan, hat 2011 die Missbrauchsopfer
       verhöhnt und gesagt, schwule, junge Männer hätten die Geistlichen verführt.
       Sie fühlen sich der katholischen Kirche immer noch zugehörig. Warum? 
       
       Homophobie, Frauenfeindlichkeit, Antimoderniusmus und Antisemitismus sind
       Krebsgeschwüre, die an der katholischen Tradition entstanden sind. Es gibt
       aber auch einen Katholizismus ohne diese Abartigkeiten. Das ist der
       Glauben, der mir in meiner Kindheit von meiner Großmutter beigebracht
       wurde: Sie hat mir nie mit der Hölle gedroht, hat meinen Partner immer
       akzeptiert, und mich gelehrt, dass die bedingungslose Nächstenliebe der
       Kern des Christentums ist.
       
       „Die größte Schwulenfeindlichkeit geht in der katholischen Kirche von
       homophilen Geistlichen aus, die ihre Sexualität unterdrücken“ sagen Sie.
       Dann müssen die Macher und Autoren von kreuz.net verkappte Schwule sein? 
       
       Mit Sicherheit nicht alle, sie bilden dort aber einen großen Anteil. Fast
       jeder zweite Artikel beschäftigt sich mit Homosexualität, dann frage ich
       mich, warum die in der Homosexualität rumwühlen und vieles so detailliert
       beschreiben. Sie ekeln sich nicht nur, sie sind fasziniert. Ihre
       Faszination muss durch despektierliche Kommentare gegeißelt werden. Sie
       führen sich selber vor, indem sie andere bloßstellen. Virtuelle
       Selbstgeißelung zur Buße für die eigene nicht akzeptierte Homosexualität –
       das sind die scheinheiligen Flagellanten des 21. Jahrhunderts.
       
       Die Betreiber der Seite sind sich ziemlich sicher, nicht enttarnt zu
       werden. „Satans Anonyme“ seien chancenlos, schreiben sie. Wie sicher sind
       Sie als Koordinator von „[1][Stoppt kreuz.net]“, diese doch zu finden? 
       
       Wir haben in einen großen, dunklen Raum Lichtkegel geworfen und wichtige
       Mitarbeiter namhaft machen können. Die Redaktion wird aber wohl derzeit
       weitergereicht. Die müssen ja einfach ihre Laptops weitergeben. Wir haben
       uns das am Anfang wesentlicher einfacher vorgestellt, als es wirklich ist.
       Ob wir den Sumpf trockenlegen können, weiß ich noch nicht.
       
       30 Nov 2012
       
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