# taz.de -- Anschläge in Libyen: Unsichtbare Gegner
       
       > Die islamistischen Milizen sind aus Bengasi abgezogen. Trotzdem werden
       > Soldaten, Polizisten und Aktivisten häufig Opfer von Anschlägen.
       
 (IMG) Bild: Ein Mann schaut in ein ausgebranntes Polizeifahrzeug in Bengasi
       
       BENGASI taz | An der Schnellstraße vom heruntergekommenen Flughafen Benina
       in die Stadt wirkt der neue Freizeitpark Laguna schon von Weitem wie ein
       Symbol des Aufbruchs. Familien schlendern um die Karussells und genießen
       die Ruhe vom chaotischen Alltag in Libyens zweitgrößter Stadt.
       
       Neuerdings sind auf dem Laguna-Gelände nur noch Paare mit Kindern zu
       gelassen. „In Bengasi werden junge Männer und Frauen ungern zusammen in
       Cafés und Restaurants gesehen“, sagt Hamsa, der für eine Tourismusfirma
       arbeitet. „Die Besitzer haben Angst, dass ihnen die Extremisten
       unterstellen, sie würden das Treffen unverheirateter Paare fördern.“
       
       Was ein solches Gerücht zur Folge haben kann, zeigt das Café Costa in der
       Innenstadt. Die Filiale ist ausgebrannt. Unbekannte haben ihre Meinung zu
       dem Treffpunkt der weltoffenen Jugend Bengasis mit einem nächtlichen
       Panzerfaustangriff kundgetan. „Wir gehen abends nicht mehr aus und treffen
       uns lieber zu Hause“, sagt eine junge Studentin an einer der
       Privatuniversitäten in der Nachbarschaft. „Aber die Bildung lassen wir uns
       nicht nehmen.“
       
       ## Von den Einwohnern vertrieben
       
       Die religiösen Extremisten sucht man im Stadtbild vergeblich. Bengasis
       Bürger haben sie nach dem Mord an US-Botschafter Chris Stevens am 11.
       September aus der Stadt vertrieben. „Rettet Bengasi“ hieß die Aktion vom
       17. September. Weil sie von der Bevölkerung abgelehnt werden, haben sich
       die Kämpfer der Islamisten-Gruppe Ansar al-Scharia und über ein Dutzend
       anderer Brigaden in die Grünen Berge oder nach Hause verzogen.
       
       Doch nach dem Bürgerprotest ist die Sicherheitslage noch schlechter
       geworden. Am 4. Dezember entging der Initiator von Rettet Bengasi, Nadschi
       Hamad, nur knapp einem Attentat, sein Neffe starb im Kugelhagel der vier
       Angreifer. 41 Soldaten, Polizisten und Aktivisten fielen in den vergangenen
       Monaten Attentaten zum Opfer. Nach den Tätern wurde nicht einmal gefahndet.
       Die wenigen Angehörigen der Sicherheitskräfte müssen selbst um ihr Leben
       fürchten und warten seit Monaten auf ihr Gehalt aus Tripolis.
       
       „Man könnte fast meinen, die Regierung will, dass Bengasi im Chaos
       versinkt“, sagt der Aktivist Tauwfik mürrisch. „Warum bekommen die Milizen
       Geld vom Ministerium und die neuen Institutionen nicht? Wenn das so
       weitergeht, gibt es hier eine Revolution gegen Tripolis.“
       
       ## Flexibler Umgang mit Befehlen
       
       Die Revolutionsbrigaden wie Raf Allah Sahti und 17. Februar unterstehen dem
       Innenministerium. Aber Befehle aus Tripolis befolgen ihre Kommandeure nur,
       wenn diese ihnen passen, bestätigen ehemalige Kämpfer der Brigade 17.
       Februar.
       
       Am Abend des 11. September widersetzten sie sich offenbar dem Ministerium.
       Alle Sicherheitskräfte verschwanden Stunden vor dem Sturm auf die
       US-Botschaft. Die rund 25 Angreifer konnten so Bengasi zum Symbol für
       Terror machen. Das empört die Bürger bis heute.
       
       Nur wenige ausländische Geschäftsleute wagen sich nach Bengasi zurück. Im
       libysch-deutschen Krankenhaus hat man dafür wenig Verständnis.
       Geschäftsführer Bastian Greve fühlt sich trotz aller Probleme wohl. „Wir
       haben eine Woche nach dem Attentat eröffnet und sind hier herzlich
       willkommen. Die Bürger Bengasis wünschen sich die Rückkehr der Investoren.
       Ausländer sind hier sicher.“ Politische Aktivisten jedoch nicht.
       
       ## Rückzug ins Privatleben
       
       Tauwfik ist Revolutionär der ersten Stunde, Mitgründer des Mediencenters
       und einer liberalen Partei. Wie viele seiner Mitstreiter hat er sich ins
       Privatleben zurückgezogen: „Ich habe eine Familie. Wir haben die Revolution
       gestartet, um unseren Kindern eine bessere Zukunft geben zu können. Die
       Unsicherheit der letzten Monate ist fast schlimmer als zu Regimezeiten.“
       
       Das surrende Geräusch über der Stadt stammt von US-Aufklärungsdrohnen. Sie
       kundschaften die Lager der Al-Qaida-nahen Gruppen in den Bergen aus.
       Kämpfer mit Afghanistanerfahrung sind über die unkontrollierbare Grenze zu
       Ägypten gekommen. Es sollen nicht mehr als 300 sein, aber für die
       Aktivisten sind sie ein unsichtbarer Gegner. „Das sind Leute, die den
       Aufbau eines Rechtsstaats verhindern wollen“, sagt Rettet-Bengasi-Aktivist
       Nadschi Hamad. „Viele von uns erhalten Morddrohungen.“
       
       18 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mirco Keilberth
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Islamismus
 (DIR) Libyen
 (DIR) Anschlag
 (DIR) Bengasi
 (DIR) Libyen
 (DIR) Frauen
 (DIR) Bengasi
 (DIR) Libyen
 (DIR) Drohnenkrieg
 (DIR) Libyen
 (DIR) Libyen
 (DIR) Gaddafi
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Angespannte Sicherheitslage: Libyen macht Grenzen dicht
       
       Aus Sicherheitsgründen schließt Libyen die Grenzen zu den Nachbarländern
       Ägypten und Tunesien. Fünf Tage lang darf niemand die Grenze passieren.
       
 (DIR) Frauenkonferenz in Libyen: Eine Stimme für die Frauen
       
       Aktivistinnen diskutieren drei Tage lang über ihre Rechte. Auch in der
       bevorstehenden Debatte über eine neue Verfassung wollen sie mitmischen.
       
 (DIR) Warnung verschiedener Länder: Raus aus Bengasi
       
       Viele europäische Staaten fordern ihre Bürger wegen vermehrten Angriffen
       auf, die Küstenstadt zu verlassen. Nur die USA und Libyen selbst sehen
       keine Gefahr.
       
 (DIR) Der Süden Libyens: Grenzenlose Freiheit
       
       Die libysche Regierung hat den Süden des Landes zur militärischen
       Sicherheitszone erklärt. Vertreter der Tubu betrachten dies als Missachtung
       ihrer Rechte.
       
 (DIR) Kommentar Drohnenkrieg: Wenn Kriegführen zu einfach wird
       
       Krieg wird nicht grausamer, wenn Drohnen oder Roboter ihn führen. Aber die
       Welt wird unsicherer.
       
 (DIR) Angriff auf US-Konsulat in Libyen: Sicherheitschef muss Posten räumen
       
       Die Sicherheit im US-Konsulat in Bengasi sei unzureichend gewesen, heißt es
       in einem Untersuchungsbericht. Nun mussten vier Beamte zurücktreten.
       
 (DIR) Regierungsbildung in Libyen: Im zweiten Anlauf
       
       Eine Koalition aus den beiden größten Parteien soll künftig Libyen
       regieren. Der neue Regierungschef Ali Seidan stellte sein 27 Mitglieder
       starkes Kabinett vor.
       
 (DIR) Debatte Libyen: Milizen, Öl und Liberale
       
       Ein Jahr nach Gaddafis Tod geht es dem nordafrikanischen Land besser, als
       viele glauben. Nur an den staatlichen Strukturen fehlt es immer noch.
       
 (DIR) Ein Jahr nach Gaddafi: Befreit, aber zersplittert
       
       Vor einem Jahr stürzte das Regime in Libyen. Die Spannungen zwischen
       Städten und Stämmen werden stärker. Eine Reise durch das gespaltene Land.