# taz.de -- Die CDU in ländlichen Gegenden: „Balve ist schwarz“
       
       > Überall läuft es schlecht für die CDU. In Städten grad sowieso, aber auch
       > auf dem Land. Balve ist das letzte Dorf in seiner Umgebung mit
       > CDU-Mehrheit.
       
 (IMG) Bild: CDU-Idylle: St.-Blasius-Kirche in Balve.
       
       BALVE taz | Es ist kalt geworden. Der Taxifahrer zieht die Tür des
       Geschäfts schnell hinter sich zu. Es geht auf 18 Uhr zu, draußen schimmert
       Eis auf dem Asphalt; zwischen Fachwerkhäusern blinken Weihnachtslichter.
       Der Taxifahrer reibt sich die Hände, er will vor Ladenschluss noch einen
       Lottoschein abgeben. Hinter dem Tresen steht eine ältere Frau, die zur
       Arbeit sorgsam geschminkt erscheint und ein elegantes Twinset angezogen
       hat.
       
       „Balve ist schwarz“, wispert sie, „schwarzes Parteibuch, schwarzes
       Gesangsbuch.“
       
       „Und was hältste von der SPD?“, fragt der Taxifahrer.
       
       „Da hab ich mir noch nie Gedanken drüber gemacht.“
       
       Welche Partei die beiden wählen?
       
       Das kann ich nicht beantworten“, sagt die Geschäftsfrau, „hier im Dorf
       kennt ja jeder jeden.“
       
       Der Taxifahrer nickt. „Da muss man aufpassen.“
       
       Balve liegt in einem Flusstal im Sauerland, eingekastelt von bewaldeten
       Hügeln. Außerhalb Südwestfalens ist das Örtchen höchstens als Standort
       einer Höhle bekannt, die zu den wichtigsten Fundplätzen der mittleren
       Altsteinzeit in Europa gilt, und deswegen stehen hier und dort im Ortskern
       reitponygroße Mammute aus buntem Plastik herum.
       
       Man kann die Tiere auch als politisches Sinnbild sehen.
       
       Überall in den Großstädten gehen der CDU die Wähler verloren; seit Monaten
       reiht sich Niederlage an Niederlage. Erst Hamburg, dann Frankfurt,
       Stuttgart, zuletzt Karlsruhe. Von den 20 größten Städten Deutschlands
       regiert die CDU inzwischen nur noch drei: Düsseldorf, Dresden und
       Wuppertal. Auch bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen lief es für
       die Partei im Mai so schlecht wie nie, sogar in den ländlichen Regionen.
       Früher war der gesamte Märkische Kreis eine schwarze Hochburg. jetzt ist
       Balve die einzige Kommune des Bezirks, wo die CDU ihre Mehrheit behalten
       hat.
       
       „Man könnte sagen, wir sind ein gallisches Dorf“, sagt der Bürgermeister.
       Hubertus Mühling, ein hochgewachsener, schlanker Mann, sitzt im ersten
       Stock des Rathauses. Durch die Tüllgardinen zeichnet sich ein kleiner Platz
       ab, ein Maibaum, dahinter eine Geschäftszeile und verschneite Hügel. Zur
       vollen Stunde dringt Glockenläuten in Mühlings Büro, er ist guter Dinge,
       denn solange die katholische Kirche wichtig ist in Balve, so lange ist es
       auch die CDU.
       
       Die Debatte, ob die Politik der Union noch zeitgemäß ist, hat hier keine
       Bedeutung. „Vordergründig berührt uns das nicht“, sagt Mühling; er selbst
       ist vor drei Jahren mit 76,3 Prozent der Stimmen wiedergewählt worden. Mit
       der Ablehnung von Frauenquote und der Gleichstellung homosexueller Paare
       zielt seine Partei zwar an der Lebenswirklichkeit vieler Großstädter
       vorbei. Doch in Kommunen wie Balve ist das anders. „Glaube, Sitte, Heimat“,
       sagt der Bürgermeister, das sind die Säulen.
       
       ## Kein Platz für andere Parteien
       
       Religion, Vereinsleben und Politik sind in dem Städtchen eng verwoben. Mehr
       als 200 Vereine gibt es in Balve, vor allem Schützenvereine.
       „Schützenbruderschaften“, korrigiert Mühling, nur Männer dürfen Mitglied
       werden. Die Vereine sind ein Dreh- und Angelpunkt in dem Dorf, ihre
       Geburtstage, Silberhochzeiten und Beerdigungen feiern die Leute in den
       Schützenhallen, bei jedem Festumzug laufen Stadtpolitiker und
       Kirchenvertreter mit, „und man muss auch mal Schützenkönig gewesen sein“,
       sagt Mühling, „das ist hier so im Sauerland.“
       
       So ergibt sich ein politisches Bild, in dem für andere Parteien wenig Platz
       bleibt. Die SPD spielt kaum eine Rolle; Grüne und FDP gibt es praktisch
       nicht. Hubertus Mühling kann sich nicht vorstellen, dass die Entwicklung
       aus den Großstädten nach Balve durchsickern wird. So, wie er es sieht,
       steht das Dilemma der Union vielmehr für eine wachsende Kluft zwischen
       Stadt und Land. „Die Nachbarschaft, die Familie, das Dorf – bei uns wird
       das noch gelebt. Viele stellen sich in den Dienst der Allgemeinheit“, sagt
       er. „Diese Werte fehlen in der Stadt. Da ist jeder für sich.“
       
       Wenige Kilometer weiter südlich, im Ortsteil Benkamp, stapft Bauer Gödde
       durch eine weiße Landschaft ohne Ränder. Über ihm rühren zwei Windräder im
       milchigen Morgendunst. „Es ist doch besser, Strom vor Ort zu erzeugen, als
       Öl aus Saudi-Arabien zu kaufen“, findet Clemens Gödde, ein stattlicher Herr
       in olivgrüner Jägerkleidung. Die Idee der erneuerbaren Energien hat ihn
       überzeugt, deswegen hat er sein Land für die beiden Windräder
       bereitgestellt.
       
       Die Leute im Dorf waren anfangs dagegen, sie begannen zu tuscheln: „Ist der
       Gödde ein schwarzer Grüner oder ein grüner Schwarzer?“ Inzwischen aber
       haben sich die meisten an die Windräder gewöhnt, zumal sich damit Geld
       verdienen lässt. Der Bauer lächelt amüsiert und läuft bergab, unten liegen
       die Ställe und der Hofladen. Gödde ist Atomkraftgegner, nicht erst seit
       Fukushima, das Thema Naturschutz ist ihm wichtig. Doch er wählt Schwarz,
       gar keine Frage, er war sogar mal im Stadtrat, seine Frau ist
       Kreistagsabgeordnete. „Das Hauptargument ist der christliche Hintergrund.“
       
       Der Landwirt tritt in den Hofladen; seine Frau hat gerade aufgemacht. Äpfel
       und Kartoffeln liegen in Bastkörben bereit. Ein Sohn des Ehepaares wird den
       Hof später übernehmen. „Das macht uns glücklich“, sagt Gödde. Es ist nicht
       mehr selbstverständlich heute, dass das so läuft.
       
       ## Das Dorf schrumpft
       
       Auch wenn Balve wie ein winterliches Stillleben wirkt – der Ort hat längst
       begonnen, sich zu verändern. Die Hochburgen der CDU liegen nach wie vor auf
       dem Land. Wie lange sich die Union auf die dünn besiedelten Regionen
       stützen kann, ist fraglich. Auf die 20 größten Städte verteilt sich weniger
       als ein Fünftel der Bevölkerung. Doch die Kräfteverhältnisse sind dabei,
       sich zu verschieben. Die Metropolen wachsen, viele Dörfer und Kleinstädte
       drohen zu veröden.
       
       Robin Vorsmann, Marco Volmer und Marc Camminady wollen nicht weg, nicht für
       immer. „Man möchte einmal in die Welt und alles mitnehmen“, sagt Camminady.
       Später aber wollen sie nach Balve zurückkehren. Die drei sind im Vorstand
       der Jungen Union; sie sitzen in der halb leeren Gaststätte Haus Padberg,
       vor ihnen auf dem Tisch stehen Gläser mit Cola.
       
       Es gibt in Balve nicht viel, was junge Leute abends tun können. Da ist es
       gut, dass der Ort seine Vereine hat, 95 Prozent aller Jungen, schätzen sie,
       sind im Schützenverein. „Schon als Kind fiebert man darauf hin, dass man 16
       wird und eintreten kann“, sagt Volmer. Auf den Schützenfesten lernten sie
       ältere Mitglieder kennen, die bereits in der CDU aktiv waren. „Es gab auch
       keine nennenswerten anderen politischen Jugendorganisationen“, sagt Robin
       Vorsmann.
       
       Die drei finden sich in der Politik ihrer Partei wieder, doch auch ihnen
       fehlen bei der CDU Themen, von denen sich junge Leute angesprochen fühlen.
       Was ihnen zu denken gibt, ist jedoch etwas anderes: Balve schrumpft. Der
       Ort hat derzeit 12.000 Einwohner. 2030 werden es nur noch 9.500 sein.
       „Unsere dörfliche Identität leidet“, sagt Vorsmann. „Das ist für mich eine
       akute Bedrohung.“
       
       Am Morgen löst sich der Ort träge aus dem Schlaf; auf der Hauptstraße ist
       kaum jemand unterwegs. Es gibt einen Metzger und Fachgeschäfte für
       Kleidung, Tapeten und Schmuck. Gestreifte Markisen über den Schaufenstern.
       In den gebogenen Stoßzähnen der Plastik-Mammute sammelt sich Schnee.
       
       In der Bäckerei Tillmann sitzt ein Grüppchen Rentner beisammen. Sie sind
       jeden Tag hier, ab halb zehn, trinken Kaffee, lesen Bild, debattieren. „Ich
       bin überhaupt nicht mehr mit der CDU zufrieden“, ruft ein schnauzbärtiger
       Mann, „was die verzapfen.“ Gerade ist die Grundsteuer angehoben worden.
       Schon wieder. „Die können in Balve machen, was se wollen, die kriegen Sie
       hier nicht weg!“
       
       ## Rote Zahlen
       
       Am Ortseingang steht ein Schild mit der Aufschrift „Balve hat Arbeit“, dazu
       die Nummer der Arbeitsagentur. Nur 5 Prozent der Balver sind arbeitslos,
       wirtschaftlich ähnelt die Region der Schwäbischen Alb, mit einer hohen
       Dichte mittelständischer Betriebe. Was Johannes Schulte ärgert, ist, dass
       seine Stadt trotzdem mit einem Haushaltsdefizit zu kämpfen hat.
       
       Schulte, CDU-Fraktionsvorsitzender und Inhaber der Kettenfabrik Schulte &
       Becker, steht im Lager seiner Firma, deutet auf die Rückwand. Dort hängt
       eine Reihe verrosteter Ketten, „Kuhketten“, sagt er, damit hat es
       angefangen, als sein Großvater den Betrieb 1920 aufbaute. Neben ihm stehen
       Kisten mit Stahlketten für Schiffsanker, rot-weiße Absperrketten.
       
       Schulte weiß, dass seine Partei sich unbeliebt gemacht hat. Es ging nicht
       anders, sagt er. Balve ist in die roten Zahlen geraten, wegen all der
       Transferaufwändungen, Kreisumlage, Solidaritätszuschlag. Also musste die
       Stadt die Steuern heben und den Vereinen Zuschüsse kürzen. Für Schulte
       verläuft die Spaltung deswegen nicht zwischen Stadt und Provinz, sondern
       zwischen Berufspolitikern und Freizeitpolitikern wie ihm. Zwischen Land
       sowie Bund auf der einen Seite, den Kommunen auf der anderen. „Die Lasten
       werden auf uns abgewälzt“, sagt er, „das kann es doch wohl nicht sein.“
       
       Sicher, meint er, ist die CDU in Balve in einer komfortablen Lage. Doch er
       fragt sich, wie lange das so bleibt. „Die Politikverdrossenheit nimmt zu“,
       sagt er, Schulterzucken. Sein Blick geht nach draußen. Die Fenster in den
       festlich geschmückten Häusern ringsum sind hell erleuchtet.
       
       18 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gabriela M. Keller
       
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