# taz.de -- Korrektes Weihnachtsessen: Grünkohl zu Schwarzwild
       
       > Ein Weihnachtsessen ist keine politikfreie Veranstaltung. Wer beim
       > Festschmaus auf der Höhe der Zeit bleiben will, verzichtet in diesem Jahr
       > auf Hummer und Gans.
       
 (IMG) Bild: Da juchzt das Herz – ein fliegender Freilandgrünkohl.
       
       Hinfort mit dem Schnickschnack der schönen neuen Küchenwelt. Müssen es zu
       Weihnachten wirklich Jakobsmuscheln im Limettensud zu Papaya-Risotto an
       Tannennadelschaum sein? Avocadoschaum an Hummerröllchen? Das war einmal,
       draußen ist Krise, drinnen wird der Baum auch mit jedem Jahr spuchtiger.
       Und so werden Bürgerin wie Bürger wieder aufs Wesentliche zurückgeworfen,
       auf die Bürgerlichkeit und die ihr angehörende Küche.
       
       Doch auch hier haben die alten Sitten Mehltau angesetzt. Käthes
       Kartoffelsalat mit Würstchen taugt zwar fürs Feuilleton, aber nicht
       wirklich für die festlich gedeckte Weihnachtstafel. Und zur Weihnachtszeit
       wird die Gans zum Feind der Hausfrau. Oder des Hausmannes.
       
       Der benötigte Bräter steht natürlich das ganze Jahr im Keller oder auf dem
       Speicher und sieht auch so aus. Nach anderthalbtägiger Reinigung ist das
       Ding dann endlich sauber. Aber zu klein für die Gans. Falls aber die Gans
       doch hineinpasst, stehen die Chancen gut, dass jetzt dafür der Ofen nicht
       mehr zugeht. (Falls Ihre Gans in Ihren Bräter passt und der wiederum in den
       Ofen, sollten Sie noch mal prüfen, ob man Ihnen nicht doch eine Ente
       angedreht hat.)
       
       ## Nicht jugendfreier Nackthähnchenbilder
       
       Nun taugen die aktuellen Meldungen über die letzten Stunden unseres
       Stallgeflügels, bio hin oder her, ohnehin nicht zum Fest der Nächstenliebe
       unter allen Kreaturen. Will wirklich jemand riskieren, dass mitten im
       Hauptgang der eben aufs Gymnasium (Schnellläuferklasse, natürlich!)
       gewechselte Carl-Friedrich „Wiesenhof!“ kräht und die kleine Johanna ob der
       sie immer noch schwer traumatisierenden, nicht jugendfreien
       Nackthähnchenbilder weinend unter die Weihnachtstafel sinkt?
       
       Macht nichts, schließlich ist derzeit allenthalben die Rede davon, dass
       Schwarz-Grün die neue Bürgerlichkeit ist (auch wenn sich die CDU damit
       schwer tut). Was also liegt näher, als ein Weihnachtsessen aus ganz und gar
       heimischen Gefilden zu komponieren. Merke: Der Rotkohl – sorry, Peer – hat
       ausgedient. Denn es gibt: Grünkohl zu Schwarzwild. Damit aber genug der
       politischen Sperenzchen, das hat die gute Wildsau nicht verdient.
       
       Das Menu im Ganzen: Feiner Gemüsetopf mit Waller als Suppe.
       Wildschweinbraten mit Rosinengrünkohl und handgerollten Semmelknödeln. Zum
       Dessert Schokoladenpudding, die nicht jugendfreie Version. Einverstanden?
       Dann an die Arbeit!
       
       ## Genügend Zeit für Kochbiere
       
       Ob Sie sich nach Brigitte-Manier eine „To-do-Liste“ schreiben (zwei Wochen
       vorher: Einkaufstüten Bügeln; am Tag selbst: Salat waschen, Lidstrich
       nachziehen) oder erst am 24. 12. losschlurfen – wenn die Zutaten einmal da
       sind, geht es eigentlich ganz fix. (Jedenfalls im Vergleich zu so einer
       Sechs-Stunden-Gans: Ein knapper halber Arbeitstag sollte doch fürs
       Weihnachtsessen drin sein, da bleibt dann auch genügend Zeit für Kochbiere,
       kleine Weinverkostungen und dergleichen mehr.)
       
       Den Anfang macht am besten der Pudding. Zucker mit dem Eigelb schaumig
       schlagen, Milch aufkochen, Stärke zugeben, bis es bindet. Die
       Eigelb-Zucker-Creme und den Kakao reingeben und unterrühren.
       
       Bis hierhin dürfen alle mitessen. Wenn dann aber noch je eine Tasse starken
       Kaffees und schottischen Whiskys reinkommt (wichtig: nach dem Kochen!),
       sieht das schon wieder anders aus. Weiter stocken und erkalten lassen. Das
       lässt sich natürlich auch prima schon am Tag vorher machen und noch mit
       Vanillezucker (beispielsweise von Dr. Oetker) verseuchen.
       
       ## Und jetzt zum Hauptgang
       
       Und so kommen wir zum Hauptgang: 1 Kilo Grünkohl schreddern und entstrunken
       (ganz Clevere kaufen vorgeschnitten), dann ein bis zwei fein geschnittene
       Zwiebeln in einem Esslöffel Butter anschwitzen, dann nach und nach den
       Grünkohl zugeben und durchschwenken (geht am besten im Wok oder einem
       großen Topf).
       
       Je nach Geschmack und Schwiegermutter noch ein bis mehrere Knoblauchzehen
       fein hacken und hinterherwerfen, ruhig schon mal salzen und pfeffern. Ubbo
       Tubbesing, Patron des Lübecker Restaurants Landwehr, schwört ja auf klaren
       Weizen als beste Grünkohlzutat. Aber bitte anständigen Doppelkorn, den kann
       man nämlich danach noch zur Verdauung trinken. Kann man bei diesem Rezept
       aber auch genauso gut weglassen. Flüssigkeit braucht’s in jedem Fall, am
       besten etwas Gemüsebrühe oder schlicht Wasser. Köcheln lassen, wie es
       gefällt, aber vom Herd holen, bevor alles zu Matsch geworden ist (keine
       Panik: ist bei Grünkohl fast unmöglich). Der Alkohol verkocht, so er denn
       überhaupt zugesetzt wurde, bei dieser Machart übrigens völlig.
       
       Während der Kohl kocht, die Knödel vorbereiten: Gesegnet, wer im Süden
       wohnt und Knödelbrot beim Bäcker kaufen kann. Der Rest zerkleinert bitte
       Brötchen, Ciabatta, Weißbrotiges an sich und mindestens vom Vortag in
       kleine Stückchen kurz vor großen Krümeln.
       
       ## Alles Glückssache
       
       Mengenangaben sind hier Glückssache – pro Schrippe ein Knödel sollte schon
       rausspringen, es sei denn, es handelt sich um totale Backshop-Luftnummern.
       Milch dazu, quellen lassen, bis es pampt. Die Hausfrau hat so etwas
       mengenmäßig im Gefühl, besser mit weniger anfangen als umgekehrt – man kann
       immer nachgießen, bei zu flüssigem Elaborat bleibt nur blödes Paniermehl.
       
       Gut durchkneten, salzen, pfeffern. Wer mag, kann noch Kräuter hinzugeben.
       Zum Schluss ein Ei druntermengen von wegen der Bindung. Es soll allerdings
       auch Semmelknödel im Kochbeutel geben.
       
       Jetzt das Fleisch: Am besten ist ein schönes Stück vom Wildschweinnacken.
       Klasse durchwachsen, fast unkaputtbar. Nehmen JägerInnen daher gern selbst,
       aber ruhig dem Wildhändler auf die Nerven gehen. Oder eben auf ein anderes
       Wildschweinbratenstück ohne Knochen ausweichen. Pfeffern, salzen, mit gutem
       Öl massieren und – vor allem den Nacken, in der Berliner Hochküche: Kamm –
       scharf anbraten. Was in der Pfanne bleibt, wird, mit Rotwein abgelöscht,
       der Anfang der Sauce. Das Fleisch bei 80 bis 100 Grad im Ofen fertig garen
       (so ein Stündchen bis länger, je nach Größe).
       
       Derweil das Gemüse (schon wieder Grünkohl dabei, siehe Zutatenliste) für
       die Suppe putzen. Eine Zwiebel in Butter andünsten, dazu ein paar
       Thymianzweiglein, 2 Nelken, 1 bis 2 Lorbeerblätter dazugeben. Ein paar (2
       bis 5) Piment mit einem Teelöffel gelber Senfsaat im Mörser sanft zerstoßen
       und mitrösten. Wenn sich das Aroma richtig entfaltet, vorgeschnittenes
       Gemüse ein Minütchen durchschwenken und dann die Gemüsebrühe (ca. 1 Liter)
       dazuschütten und sanft garköcheln.
       
       Den Waller (Wels) portionieren, Salz. Pfeffer, ein bisschen durchs
       Paniermehl oder die übrig gebliebenen Semmelbrösel ziehen, anbraten und
       kurz vor dem Auftragen in der Suppe schwimmen lassen.
       
       Für die Klöße einen großen (!) Topf voll Wasser aufkochen, salzen, hinein
       damit, sanft köcheln lassen. Wenn sie oben schwimmen, sind sie fertig. Der
       Grünkohl sollte mittlerweile ebenfalls fast fertig sein (einfach
       probieren). Wer auch bei Schwarz-Grün Multikulti-Anklänge liebt, wirft für
       die letzten fünf bis zehn Minuten zwei Esslöffel Rosinen hinein.
       
       Herd aus, das Fleisch kurz ruhen lassen (im ausgeschalteten Ofen oder unter
       Alu); austretenden Fleischsaft zur Sauce geben. Abschmecken, aber bloß
       nicht andicken. Anrichten und essen können Sie schon alleine? Prima, frohes
       Fest und guten Appetit!
       
       23 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Steffen Grimberg
       
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