# taz.de -- Vergewaltigung in Indien: Kotzen vor Wut
       
       > Viele InderInnen empören sich über eine Vergewaltigung in ihrem Land, die
       > zum Tod des Opfers führte. Wir reden drüber. Aber wann empören wir uns
       > mit?
       
 (IMG) Bild: Vorbild für Deutschland: Proteste am Sonntag in Delhi.
       
       Mein Wunsch fürs neue Jahr sind kostenlose Kickbox-, Selbstverteidigungs-
       und Empowermentkurse für alle Frauen in Deutschland, ach, in Europa, oder
       am besten der ganzen Welt. Kristina Schröder soll das bezahlen, zusammen
       mit Jörg Kachelmann.
       
       Was in Indien gerade passiert, ist das Allermindeste. Zehntausende gehen
       auf die Straße, sie sind wütend auf die Täter, die eine 23-Jährige zu Tode
       vergewaltigt haben, wütend auf Politik und Polizei.
       
       Auch in Deutschland werden Frauen vergewaltigt und missbraucht. Nicht immer
       so offen brutal wie im Fall der jungen Inderin. Auch in Ehebetten, auf
       WG-Sofas, in Büros und Schulfluren. Und nicht nur Frauen, sondern Menschen
       jeden Geschlechts.
       
       Für jeden, verdammt nochmal jeden einzelnen dieser Fälle brauchen wir
       öffentliche Empörung, Aufstände, Demonstrationen, wie in Indien. Es wäre
       nur ein erster Schritt.
       
       ## Rape Culture
       
       Niemand ist verpflichtet, den eigenen Schmerz öffentlich zu machen – aber
       alle sollten wissen, dass es ihnen erlaubt ist, das zu tun. Solange wir in
       einer Gesellschaft leben, in der der Begriff „rape culture“ die hässliche
       Wirklichkeit beschreibt, ist das Herausschreien der eigenen Wut und Trauer
       oft das einzige Mittel, sich bemerkbar zu machen. Nicht nur auf dem Sofa
       der Therapeutin, sondern auch auf der Straße.
       
       Viele fordern härtere Strafen für die Täter. Kastration, Todesstrafe.
       Verständlich. Mein erster Impuls ist auch, sie alle von Hand zu kastrieren,
       mit einem rostigen Teelöffel, langsam und qualvoll.
       
       Aber was wir brauchen, sind – zunächst – keine härteren Strafen. Auch keine
       Diskussion über Falschbeschuldigungen, die es angeblich so oft gibt.
       
       Was wir brauchen, hier und in Indien und überall, ist eine Gesellschaft,
       die Vergewaltigungen aufs Schärfste anprangert, und es sind Verfahren, die
       überhaupt mal ernsthaft aufgenommen und zu Ende gebracht werden – und nicht
       von vorherein wegen mangelnder Glaubwürdigkeit oder fehlender Beweise im
       Sande verlaufen.
       
       ## Anzeige
       
       Ich kotze vor Wut, wenn ich daran denke, wie ich im Sommer 2011 einen
       sexuellen Übergriff anzeigte. Ich war körperlich angegriffen worden, es gab
       Zeugen, ich konnte den Täter beschreiben. Was mich rettete, war ein Taxi,
       das ich anhielt. Ich erstatte online Anzeige, beschrieb genau, was passiert
       war, wo der Typ mich überall angefasst hatte.
       
       Eine Woche später rief ich beim „Bürgertelefon“ der Polizei an. Ein Mann
       ging ran. Ich fragte, wann sich wegen der Anzeige mal jemand bei mir melde.
       „Was haben Sie denn angezeigt?“, fragte er.
       
       „Einen sexuellen Übergriff“, sagte ich. „Na, was glauben Sie denn!“, rief
       er aus. „Hier in der Bundeshauptstadt gibt es noch dreieinhalb Millionen
       andere Leute, da kann so was schon mal dauern.“ Wie lange, fragte ich.
       Keine Ahnung, sagte er. Danke für gar nichts, sagte ich und legte auf.
       
       Zwei Monate später kam ein Brief: „Betrifft: Ihre Anzeige wegen
       Beleidigung. Der Täter wurde leider nicht ermittelt, das Verfahren wurde
       eingestellt.“ Ich hatte aber gar keine „Beleidigung“ angezeigt.
       „Beleidigung“! Ein solcher Umgang mit sexueller Gewalt ist eine
       Beleidigung. Die Reaktionen in Indien sollten uns ein Beispiel sein.
       
       1 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Margarete Stokowski
       
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