# taz.de -- Inventur im Berliner Zoo: Noch alle da?
       
       > Zum Jahreswechsel macht der Berliner Zoo Inventur. Das Getier wird
       > gezählt und vermessen – für die Statistik und für das vergebliche Streben
       > nach Klarheit.
       
 (IMG) Bild: Zählen wir mal durch... Eins, zwei... Das sind zwei Tiger.
       
       BERLIN taz | „Weißt du, wie viel Sterne stehen?“ – das ist ja nicht die
       einzige Frage, die den Menschen seit je am Ende des Tages bewegt: „Weißt
       du, wie viel Mücklein spielen in der hellen Sonnenglut? / Wie viel
       Fischlein auch sich kühlen in der hellen Wasserflut?“ Mit der allseits
       bekannten Antwort, dass der Herr allein sie gezählet und mit Namen gerufen
       habe, lässt der aufgeklärte, moderne Mensch sich so leicht nicht abspeisen.
       
       Er will es dann doch ganz gern selber wissen. Und zählt daher gründlich
       nach. So rücken in den Zoos dieser Welt alljährlich die Mitarbeiter zur
       großen Inventur des in ihrer Obhut befindlichen Lebens aus. Eine Aufgabe,
       die bei Elefanten oder Flusspferden nicht allzu herausfordernd klingt.
       
       Allerdings geht es nicht nur um die blanke Zahl der Exemplare, sondern
       ebenso um ihre Maße. Deshalb hat auch der Großtierpfleger gut zu tun, von
       den stillen Stars dieser Tage ganz zu schweigen, die zum Zählen in
       Flamingo-Kolonie, Aquarium oder gar Insektarium abgeordnet wurden.
       
       Am Ende steht eine sehr konkrete Zahl: Für den Beginn des Jahres 2012
       wurden etwa im Berliner Zoo 17.727 Tiere ermittelt. Was sagt uns das? Im
       Grunde nichts, solange wir nicht schauen, welcher Anteil davon auf
       Ohrenquallen entfällt und welcher auf Orang-Utans. Für einzelne Arten
       dagegen kann die Bestandsentwicklung sehr aufschlussreich sein.
       
       ## Fakten, Fakten, Daten
       
       Wenn wir das Ergebnis der diesjährigen Inventur in Berlin mal für eine
       Spezies vorwegnehmen, dann lässt sich daraus ablesen, dass der Bestand des
       Großen [1][Panda sich von 1 auf 0] verändert hat. Von größerer Bedeutung
       allerdings ist das Datenmaterial, das so gewonnen wird.
       
       Damit lassen sich Gesundheitszustand und allgemeines Wohlbefinden der Tiere
       abschätzen, was zur Kontrolle der Pflegebedingungen ebenso erheblich ist
       wie etwa bei späteren Erkrankungen oder der Beurteilung der
       Fortpflanzungsfähigkeit. Neben diesen aus tierpflegerischer Sicht ganz
       praktischen Erfordernissen bilden die Daten in ihrer Gesamtheit aber auch
       einen wahren Schatz.
       
       Eine wichtige Funktion von Zoologischen Gärten steht normalerweise nicht im
       Fokus der Öffentlichkeit: Die Einrichtungen sind für die biologische
       Forschung von großer Bedeutung, aus reinem Interesse an den Grundlagen
       ebenso wie für zahlreiche angewandte Fragestellungen in Artenschutz,
       Verhaltensbiologie und Taxonomie.
       
       Hierfür stellen Zoos oft die für Feld- oder gezielte Laborstudien nötigen
       Grunddaten zur Verfügung, denn immer noch basiert ein großer Teil unseres
       Wissens über die Tiere der Welt aus Beobachtungen und Informationen, die
       während der Haltung in menschlicher Obhut gesammelt wurden.
       
       ## Das größte, schwerste, schnellste Tier
       
       Deswegen gehört die gewissenhafte Inventarisierung auch zum international
       verbindlich vorgeschriebenen Handwerkszeug jedes wissenschaftlich
       arbeitenden Zoos. Letztlich ist es aber einfach drin im Menschen, sowohl
       der Zahlenfetischismus als auch, eng damit verknüpft, der Drang zur Bilanz.
       
       Jedes Kind möchte zuerst wissen, welches das größte, das schwerste, das
       schnellste Tier ist. Und wenn wir auf der Silvesterparty die persönlichen
       Erfolge und Misserfolge des Jahres Revue passieren ließen, zählten wir im
       Grunde ja auch nur die Fische im Aquarium unseres Lebens.
       
       Wir betrachten, welche dick und rund geworden sind, welche Schlagseite
       haben oder längst kieloben schwimmen, wer wohl etwas mehr Päppeln vertragen
       könnte und wer einfach zu gefräßig geworden ist. Es drängt uns nach
       Klarheit. Der Zoo kann uns lehren, dass es diese trotz aller Bemühungen
       nicht gibt. Spätestens der Blick in die Blattschneiderameisen-Kolonie
       verdeutlicht, dass die am Ende aller Auswertungen stolz präsentierte Zahl
       nichts anderes ist als ein Konstrukt, der Versuch einer Annäherung.
       
       Ein Teil der Erfassten aber hat am Ende der Zählung längst das Zeitliche
       gesegnet, Neue sind unbemerkt hinzugekommen, und den größten Teil der
       tierischen Bewohner kennen wir nicht einmal namentlich, weil sie außerhalb
       unseres Blickfeldes sind, von der Milbe bis zum Spulwurm. Da können wir
       zählen, messen und wiegen, soviel wir wollen.
       
       Am Ende wissen wir nicht viel mehr als die Zahl der Elefanten, die bei uns
       herumstehen. Glücklich derjenige, der im Glauben daran, dass der ganze Rest
       schon von irgendeiner höheren Macht vollständig gezählet und behütet werde,
       sanft einschläft.
       
       4 Jan 2013
       
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