# taz.de -- Dokumentarfilm „Vergiß mein nicht“: Einmal blickt sie in die Kamera
       
       > David Sieveking porträtiert in „Vergiss mein nicht“ seine an Alzheimer
       > erkrankte Mutter. Die Kamera aber bleibt unsichtbar, obwohl sie sich
       > keineswegs zurückhält.
       
 (IMG) Bild: Am Schluss tritt der Sohn mit Mikrofon ins Bild: Szene aus David Sievekings „Vergiss mein nicht“.
       
       Gretel Sieveking hat früher einmal, in den fünfziger Jahren, beim Radio
       gearbeitet. Vielleicht ist sie auch deshalb eine außergewöhnlich
       artikulierte Frau. Ihr klares, elegantes Hochdeutsch behält sie bei, als
       sie in ihren frühen Siebzigern an Alzheimer erkrankt. Es ist bedrückend,
       mit anzuhören, wie dieser Stimme der Sinn entgleitet, wie sie wieder und
       wieder nach Erinnerungen und Zusammenhängen zu greifen scheint, die doch
       immer weiter entschwinden.
       
       Und sicherlich ist dies noch einmal viel bedrückender, wenn man sich an
       eine Zeit erinnern kann, in der der klaren Stimme ein klarer Sinn
       entsprach. Gretels Sohn David Sieveking hat einen Film über seine Mutter
       und ihre Erkrankung gedreht. „Vergiss mein nicht“ ist entlang einiger
       Besuche des Regisseurs im Haus seiner Eltern konstruiert.
       
       Der Film gibt einem Leben, das sich nicht mehr selbst sortieren kann, einer
       Frau, die den Sohn für den Mann hält, den Mann für einen Fremden und auch
       die Heimatstadt nicht mehr erkennt, wieder Ordnung und Identität zurück.
       Und vor allem Erinnerung. Über alte Fotografien, Found-Footage-Montagen und
       einige Gespräche mit Familienangehörigen und Freunden rekonstruiert
       Sieveking die linke bis linksradikale Vergangenheit der Eltern: erst
       friedensbewegte Demonstrationen und kommunistische Kampforganisationen,
       später Die Grünen und Frauengruppen.
       
       ## Liebhaber und Affären
       
       Ein anderer Erinnerungspfad führt zum offenen Beziehungskonzept seiner
       Eltern: In der Schweiz findet er einen alten Liebhaber der Mutter, die
       ihrerseits mit den zahlreichen Affären des Vaters über die Jahre wohl doch
       nicht so gut zurecht gekommen ist, wie man sich das um 68 herum vorgestellt
       haben mag.
       
       Aber das ist nun alles vorbei, hallt höchstens noch nach in kleinen
       Missverständnissen und Kränkungen, jetzt geht es um ganz andere Dinge, um
       die bloße Organisation von Alltag, um die letzten gemeinsamen Spaziergänge
       und Mahlzeiten, solange es noch möglich ist.
       
       David Sieveking (bekannt geworden mit „David Wants to Fly“, seiner Hommage
       an David Lynch) hat einen ehrlichen, persönlichen Dokumentarfilm gedreht,
       einen unaufgeregten, trotz flächendeckendem Musikeinsatz dem Kitsch meist
       geschickt ausweichenden Lebensbericht aus einer einfühlsamen
       Ich-Perspektive, die gleich zu Beginn per Voice-over sich als solche zu
       erkennen gibt; von der Intention her ist das über jeden Zweifel erhaben.
       
       Nicht ganz so einfach ist es mit der Form, die Sieveking wählt: „Vergiss
       mein nicht“ ist ein Dokumentarfilm, der sich selbst nicht thematisiert –
       außer in einer programmatischen, aber allzu kalkuliert wirkenden Szene kurz
       vor Schluss, wenn der Regisseur mit dem Mikrofon in der Hand in eine
       Einstellung tritt.
       
       Die Kamera und der Kameramann (Adrian Stähli) aber bleiben unsichtbar,
       obwohl sich beide keineswegs zurückhalten, sich distanzieren, auf eine
       bloße Beobachterperspektive zurückziehen: Im Gegenteil, der Film formt das
       Material, sucht konventionelle szenische Auflösungen und nicht selten die
       Großaufnahme.
       
       Einmal wendet sich Gretel Sieveking dann doch, während eines Badeausflugs,
       zur Kamera und stellt eine von Überforderung zeugende Frage. Deren Adressat
       befindet sich offensichtlich irgendwo im ewigen Off des Bilds und antwortet
       selbstverständlich nicht.
       
       Für einen Moment bricht die kommunikative Anordnung des Films, die darauf
       basiert, dass das Blickobjekt nicht zurückblicken darf, egal, wie
       aufdringlich das mechanische Auge ihm auf den Leib rückt, zusammen; und
       macht sie als ein implizit aggressives Blickregime sichtbar, von dem ich
       mir nicht sicher bin, ob es diesem Gegenstand – oder überhaupt nur
       irgendeinem – angemessen ist.
       
       „Vergiss mein nicht“. Regie: David Sieveking. Dokumentarfilm, Deutschland
       2012, 91 Min.
       
       31 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lukas Foerster
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Dokumentarfilm
 (DIR) Heinrich Himmler
 (DIR) Schwerpunkt Erster Weltkrieg
 (DIR) Folter
 (DIR) Star Wars
       
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