# taz.de -- Todestag von Hatun Sürücü: "Zu uns kommen nur die Stärkeren"
       
       > Diese Woche jährt sich der Todestag von Hatun Sürücü. Eva K. leitet die
       > Kriseneinrichtung Papatya und betreute Mädchen, die wie Sürücü später im
       > Namen der Ehre umgebracht wurden.
       
 (IMG) Bild: Die Angeklagten, Mutter Aziza R. (l.) und ein Onkel des Opfers, Hussain K. (2.v. r.), verbergen sich im Landgericht in Hagen.
       
       taz: Frau K., vor acht Jahren wurde Hatun Sürücü ermordet. Sie arbeiten mit
       Mädchen, die von ihren Familien bedroht werden. Was haben Sie gedacht, als
       Sie von dem Mord erfuhren? 
       
       Eva K.: Meine größte Sorge war: Oh Gott, war sie jemals bei uns? Wir haben
       recherchiert und festgestellt: Nein, wir kennen sie nicht. Wir haben uns
       dann mit ihrer Geschichte beschäftigt. Wäre Hatun Sürücü noch vor der
       Zwangsheirat zu uns gekommen, hätte man den Mord vielleicht verhindern
       können.
       
       Sie bieten Mädchen und jungen Frauen eine Zuflucht. Wie viele kommen im
       Schnitt zu Ihnen? 
       
       Seit es Papatya gibt, also seit 1986, liegt die Zahl immer etwa bei 60
       Mädchen pro Jahr. Viele Mädchen kommen aus Berlin, einige aus anderen
       Bundesländern. Wir haben acht Plätze. Unser Angebot richtet sich an
       Mädchen, die stark gefährdet sind. Unsere Adresse ist geheim, der Schutz
       steht an oberster Stelle.
       
       Wie alt sind die Mädchen? 
       
       Die meisten zwischen 16 und 19 Jahren. Aber zurzeit haben wir auch einige
       14-Jährige da. Gerade mit dem Thema Zwangsheirat werden die Mädchen sehr
       früh konfrontiert.
       
       Sind Zwangsheiraten der Hauptgrund, dass sich Mädchen zu Ihnen flüchten? 
       
       Sie sind oft der Auslöser. Die Mädchen sagen: Ich muss jetzt weg, bevor ich
       lebenslänglich mit einem Menschen zusammen bin, den ich nicht will. Aber
       Zwangsheirat ist kein Einzelphänomen, sondern ist eingebettet in ein System
       von Gewalt in der Familie. Die Mädchen werden eingesperrt, die Brüder
       beobachten jeden Schritt. So gut wie alle Mädchen, die bei uns sind,
       berichten von heftigen Schlägen. Manche beschreiben richtige Folterszenen.
       
       Einige brechen aus und kommen zu Ihnen. 
       
       Sicher gibt es auch etliche, die sich fügen. Die sehen wir nicht. Zu uns
       kommen nur die Stärkeren, die genug Kraft haben, sich zu widersetzen. Wir
       wissen von Bräuten, die mittels Zwangsheirat nach Deutschland gelangen, die
       die Sprache nicht sprechen und keine Ahnung haben, an wen sie sich wenden
       könnten. Die kommen selten zu uns.
       
       Woher stammen die Familien der Mädchen, die bei Ihnen Zuflucht finden? 
       
       Ursprünglich wurde Papatya für Mädchen aus der Türkei gegründet. Die
       Türkisch- und Kurdischstämmigen sind nach wie vor die größte Gruppe. Es
       gibt aber inzwischen auch viele aus kurdischen und arabischen
       Flüchtlingsfamilien aus dem Irak oder aus Syrien. Auch Romamädchen sind ab
       und zu bei uns.
       
       Wie helfen Sie den Mädchen? 
       
       Wir bieten einen geschützten Ort, an dem die Mädchen erst mal überlegen
       können, in welche Richtung sie gehen wollen. Da gibt es keinen
       vorgefertigten Plan. Jedes Mädchen, jede Familie ist anders. Wir haben ein
       interkulturelles Team von türkischen, kurdischen und deutschen
       Sozialpädagoginnen, das sie berät. Manche Mädchen sind anfangs suizidal,
       rund um die Uhr ist jemand für sie da. Die meisten sind minderjährig, wir
       sprechen deshalb mit dem Jugendamt. Dort gibt es in der Regel auch
       Elterngespräche.
       
       Diesen Kontakt fördern Sie? 
       
       Das müssen wir, Eltern haben schließlich Rechte. Wir wollen außerdem, dass
       die Mädchen den Eltern dort einmal sagen, was sie nicht mehr ertragen,
       warum sie weggegangen sind. In diesen Familien herrscht keine Kultur des
       Miteinanderredens. In diesem Gespräch haben die Mädchen häufig das erste
       Mal die Möglichkeit, ihre Position darzustellen. Das kann sehr befreiend
       sein. Wenn es früher massive Gewaltausbrüche gab, lehnen wir diese Kontakte
       allerdings manchmal als unzumutbar ab. Dann geht es unter Polizeischutz um
       das Sorgerecht vor Gericht.
       
       Wie lange sind die Mädchen bei Ihnen? 
       
       Im Schnitt sechs Wochen. Wobei da Mädchen eingerechnet sind, die nach drei
       Tagen wieder nach Hause gehen, weil sie Angst haben, dass die Mutter jetzt
       geschlagen wird oder die kleine Schwester. Andere müssen bis zu einem
       halben Jahr bei uns bleiben, weil es Unklarheiten gibt in den
       Zuständigkeiten der Ämter. Was nicht gesund ist.
       
       Wieso? 
       
       Wir sind eine Einrichtung mit sehr strengen Regeln. Die Mädchen dürfen
       niemandem sagen, wo sie wohnen, sie dürfen niemanden in die Nähe der
       Unterkunft bringen. Ein normales Leben ist da schwer möglich.
       
       Sie organisieren den Mädchen auch eine längerfristige Bleibe. 
       
       Zunächst geht es darum, einen sicheren Ort zu finden. Wo treiben sich die
       Brüder herum? Wie aggressiv ist die Familie? Viele Berliner Mädchen müssen
       die Stadt verlassen. In was für einer Einrichtung sie dann unterkommen,
       hängt auch vom Alter ab.
       
       Inwiefern? 
       
       Die 14-Jährigen können noch nicht in einer Jugend-WG leben, sie kommen in
       Heime, die mit ihrer Problematik umgehen können. Für die Jugendlichen sind
       betreute Wohngemeinschaften ein guter Ort, um erwachsen zu werden. Am
       schwierigsten ist es, eine geeignete Unterkunft für junge Volljährige zu
       finden. Da verweist das Jugendamt auf das Jobcenter. Aber diese Frauen
       können nicht alleine wohnen. Denn genau das war ja nie Plan ihrer
       Erziehung. Sie sollten von der Aufsicht der Eltern in die Aufsicht des
       Ehemanns übergehen. Sie haben viel Nachholbedarf.
       
       Können Sie einschätzen, wie viele es schaffen, ein eigenes Leben
       aufzubauen? 
       
       Die meisten gehen nicht nach Hause zurück. Aber ich habe dazu keine
       Statistik. Ich kann nur sagen: Je länger ein Mädchen alleine lebt, desto
       selbstbewusster wird es. Häufig wird die Familie mit der Zeit auch
       zugänglicher. Manche Mädchen haben dann telefonisch Kontakt oder besuchen
       die Familie.
       
       Ist das nicht gefährlich? 
       
       Natürlich gibt es ein Risiko. Aber wenn die Mädchen den Kontakt wollen,
       kann das keiner verhindern. Wir raten immer, sich langsam anzunähern, über
       Mail, Telefon oder Facebook, aber den Aufenthaltsort geheim zu halten.
       
       Sie leiten Papatya seit 1994. Wurde schon mal eines Ihrer Mädchen ermordet? 
       
       Ja, von zweien weiß ich es. Bei anderen vermuten wir es. Im selben Jahr wie
       Hatun Sürücü wurde in Reinickendorf Semra Uzun ermordet. Fünf Jahre zuvor
       hatte sie sich an uns gewandt, weil sie mit ihrem Cousin zwangsverheiratet
       werden sollte. Da gab es Gespräche im Jugendamt. Der Vater unterschrieb,
       sie nicht zu verheiraten. Daraufhin kehrte sie nach Hause zurück. Wir haben
       recherchiert: Keine vier Wochen später schickten die Eltern Semra in die
       Türkei und verheirateten sie mit dem Cousin.
       
       Das hat niemand bemerkt? 
       
       Es gibt beim Jugendamt keine Nachforschungen, was passiert, wenn ein
       Mädchen nach Hause geht. Semra bekam ein Kind, ließ sich scheiden. Kurz
       darauf ermordete sie ihr Exmann.
       
       Seit Hatun Sürücü gehen die sogenannten Ehrenmorde regelmäßig durch die
       Presse. Sind die betroffenen Familien deshalb vorsichtiger geworden? 
       
       Nein. Es sind ja nur wenige Familien, die im Namen der Ehre auch morden.
       Denen sind Gesetze oder Zeitungsberichte völlig egal. Aber wir bekommen in
       den letzten Jahren deutlich mehr Anrufe und Mails von Mädchen, die sich
       beraten lassen wollen. Es gibt heute auch eine andere Sensibilität in den
       Justizbehörden, ob es sich um das Gewaltverbrechen eines Einzelnen oder
       doch um einen von der Familie geplanten Mord im Namen der Ehre handelt.
       Inzwischen werden auch mal Väter und Geschwister als Anstifter
       mitangeklagt. Das ist schon eine Veränderung.
       
       2 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Antje Lang-Lendorff
       
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