# taz.de -- Zum Tod von Christian Semler: Ein Wossi im besten Sinne
       
       > Christian Semler hat lange vor vielen anderen verstanden, welche
       > weitreichende Dimension die Veränderungen in Osteuropa in den 80er Jahren
       > hatten.
       
 (IMG) Bild: Mao hat sich auf den langen Marsch gemacht: vom global wirkenden Ideengeber zur Kitschfigur im Pekinger Souvenirhandel.
       
       SARAJEVO taz | Natürlich war es toll, mit Christian Semler
       zusammenzuarbeiten. Als er Ende der 80er Jahre - kurz vor dem Fall der
       Mauer - in die Ostdeuroparedaktion geholt wurde, konnte ich als
       Osteuroparedakteur nur glücklich sein. Wir stimmten politisch in der
       Betrachtung der Dinge in Osteuropa völlig überein.
       
       Endlich war nach dem Weggang von Erhald Stölting wieder jemand in der taz,
       der auch verstand, was es hieß, dass Gorbatschow Bucharin rehabilitiert
       hatte, der ohne Dogma die Entwicklung in der Sowjetunion verfolgt hatte.
       Christian hatte jahrelang Kontakte zu den Oppositionellen Osteuropas
       aufgebaut. Er war im besten Sinne ein Wossi - ein Wessi, der die Dimension
       der Veränderung im Osten lange vor vielen anderen verstanden hatte und mit
       den Menschen, die Widerstand geleistet hatten, einen kritischen Dialog
       führen konnte.
       
       Trotz dieser politischen und emotionalen Übereinstimmungen hatten wir
       Konflikte. Denn als jemand, der aus der Spontibewegung kam, konnte ich
       nicht verstehen, wie man Ende der sechziger Jahre eine Kommunistische
       Partei, die KPD-Anull wie wir Spontis sie nannten, aufbauen konnte.
       
       Der neben Rudi Dutschke und Bernd Rabehl wohl prominenteste Vertreter der
       antiautoritären Bewegung der sechziger Jahre repräsentierte fortan für ein
       Jahrzehnt eine marxistisch-leninistische Organisation und propagierte eine
       leninistisch-maoistische Ideologie, die nach den Erfahrungen des Prager
       Frühlings 1968 und dem stalinistischen Archipel Gulag nur als
       anachronistisch erscheinen konnte. Da gab es ein Zentralkomitee, da gab es
       die "richtige" Linie, da gab es Ausschlußverfahren gegen Abweichler, kurz,
       die KPD-Aufbauorganisation imitierte den schon auf dem Misthaufen der
       Geschichte gelandeten Stalinismus.
       
       ## Kritische Engagement in Bezug auf den Stalinismus
       
       Es drangen zu uns zwar schon Mitte der siebziger Jahre Gerüchte durch,
       Christian Semler habe einen kritischen Standpunkt zurückerlangt, doch erst
       mit der Auflösung seiner Organisation wurde er wieder zum ernsthaften
       Gesprächspartner. Sein darauf folgendes kritisches Engagement in Bezug auf
       den Stalinismus und den Maoismus, seine Kritik totalitärer
       Herrschaftsformen, hat ihm nicht nur bei den Oppositionellen im Osten,
       sondern auch in der neuen, unabhängigen, westdeutschen Linken wieder
       Respekt verschafft.
       
       Mit dem Scheitern des linken Terrorismus und der Entwicklung der Anti-Atom-
       Öko-Bewegung, der Frauenbewegung, der Suche nach alternativen Lebens- und
       Arbeitsformen, aus der auch die taz hervorging, öffnete sich Ende der
       siebziger Jahre eine Perspektive für eine neuartige Politik, die
       schließlich weitgehend zur Veränderung unserer Gesellschaft beigetragen
       hat.
       
       hristian war in den achtziger Jahren ein überlegtes, tiefsinniges Ferment
       in diesem gesellschaftlichen Konglomerat und ist dies als Kollege bis zu
       seinem Tod geblieben. Wichtig für mich war zudem, dass er in den
       jugoslawischen Nachfolgekriegen nicht in die Falle des vor allem in Bezug
       auf den Bosnienkrieg menschenverachtenden Pazifismus getappt ist. Er zeigte
       sich als Humanist. Seine Stimme wird mir fehlen.
       
       13 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Erich Rathfelder
       
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       Antwort.
       
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       Christian Semler, linker Intellektueller und langjähriger taz-Autor, ist
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