# taz.de -- Kommentar Gysi und Stasi: Im Zweifel für den Angeklagten
       
       > Auch wenn es anders scheint: Über Gregor Gysi werden nicht die Medien,
       > sondern wird die Staatsanwaltschaft entscheiden.
       
 (IMG) Bild: Immer wieder vor Wahlen: Neue Stasi-Vorwürfe gegen Gysi.
       
       Die [1][Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Gregor Gysi] aufgrund einer
       Anzeige wegen des Verdachts eidesstattlicher Falschaussage. Sie hat die
       Dokumente, welche ihren Ermittlungen zugrunde liegen, nicht veröffentlicht.
       Wir wissen nur, dass Gysi bis Ende März Gelegenheit hat, zu den
       entsprechenden Unterlagen Stellung zu nehmen. Erst danach wird die
       Staatsanwaltschaft entscheiden, ob die Ermittlungen eingestellt werden oder
       ob es zur Anklageerhebung kommt.
       
       So lange können unsere Medien natürlich nicht warten, und so versuchen
       viele schon heute zu sagen oder zu mutmaßen, was die Staatsanwaltschaft
       selbst heute noch gar nicht weiß. Das kann monatelang so weitergehen und
       ist – Wahlhilfe für die Linkspartei im Osten.
       
       Gysi hat gesagt, er habe nie wissentlich und willentlich über Mandanten
       oder sonst wen der Stasi berichtet. Die Welt hatte vor einiger Zeit ein
       Stasidokument bekannt gemacht, aus dem hervorgeht, dass Gysi nach einem
       Interview, das er Anfang 1989 dem Spiegel gegeben hat, mit Stasioffizieren
       über jene Spiegel-Redakteure gesprochen hat. Das sollte angeblich schon
       genügen, um Gysi der Falschaussage zu beschuldigen.
       
       Es geht hier um Strafrechtliches. Da müssen die Beweise wasserdicht sein –
       und nicht wortklauberisch. Kein deutsches Gericht würde Gysi wegen
       eidesstattlicher Falschaussage verurteilen, wenn er einem Stasioffizier
       gesagt hätte: Honecker hat graue Haare, obwohl er ja dann über „sonst
       jemanden“ berichtet hätte.
       
       Ein Gericht würde Gysis eidesstattliche Erklärung aus ihrem damaligen
       Zusammenhang interpretieren, und das war der Vorwurf, er sei Mitarbeiter
       der Staatssicherheit gewesen. Also wollte Gysi dagegen sagen, dass er nie
       Mandantenverrat oder Vertrauensbruch begangen hat. Nur wenn ihm eines von
       beidem nachgewiesen wird, kann er der eidesstattlichen Falschaussage
       bezichtigt werden.
       
       Wenn ein anderes Dokument sehr nahelegt, dass die Stasi unter „IM Notar“
       keine Sammelmappe angelegt, sondern Unterlagen zu einer bestimmten Person
       gesammelt hat, ist auch das noch kein Beweis für eine eidesstaatliche
       Falschaussage. Denn die Aussage über die Sammelmappe konnte ja nie etwas
       anderes sein als Gysis Vermutung über die Arbeitsweise der
       Staatssicherheit. Jenes Dokument beweist ja noch nicht einmal, dass Gysi
       wissentlich und willentlich Stasimitarbeiter war.
       
       Gregor Gysi war Anwalt in einem Unrechtsstaat, und zwar einer der wenigen,
       die Dissidenten und Oppositionelle vor Gericht vertreten haben – damals
       zumeist zu ihrer Zufriedenheit. Er war überzeugtes SED-Mitglied und gehörte
       als Sohn eines hohen SED-Funktionärs zur Nomenklatura. Er hat den
       Sozialismus und die DDR nicht abschaffen, sondern verbessern wollen und
       übrigens auch Vorschläge für mehr Rechtsstaatlichkeit gemacht, namentlich
       hinsichtlich des Verwaltungsrechts. Berührungsangst gegenüber der Stasi war
       ihm mit Sicherheit fremd, Servilität gegenüber der Stasi aber wohl auch.
       
       Wenn Dissidenten und Oppositionelle ihn in der DDR zum Anwalt genommen
       haben, dann doch weil und nicht obwohl er so vernetzt war und weil sie sein
       Geschick schätzten. Die entscheidende Frage ist doch die, ob er als Anwalt
       im Interesse und im Sinne seiner Mandanten gehandelt hat, gemessen und
       beurteilt nach den damaligen Verhältnissen und nicht nach heutigen
       rechtsstaatlichen Maßstäben.
       
       Allerdings ist nicht jeder seiner damaligen Mandanten für diese Frage heute
       ein verlässlicher Zeuge. Manche betreiben gelegentlich kreative
       Geschichtsdeutung zu seinen Lasten.
       
       Nicht jedes Stasidokument zu Gregor Gysi, das jetzt ans Tageslicht kommt,
       gibt zu jener zentralen Frage etwas her. Da laufend zerrissene Akten
       rekonstruiert werden, kann auch niemand genau sagen, was wir noch
       dokumentiert bekommen werden – außer Gregor Gysi selbst. Da er wenig
       erzählt, aber viel klagt und in diesem Felde jede Selbstkritik vermeidet,
       ist er nicht ganz unschuldig an der Dunstwolke von Mutmaßungen und
       Bezichtigungen, die ihn umgibt.
       
       Ich persönlich warte mit meiner Einschätzung ab, bis die Staatsanwaltschaft
       gesprochen hat. Sie weiß möglicherweise mehr als ich und kann zweifellos
       gründlicher ermitteln und gewichten als so mancher Möchtegern-Richter in
       Redaktionsstuben.
       
       19 Feb 2013
       
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