# taz.de -- Buchvorabdruck von „Rebellen“: Die Daimler Stalin AG
       
       > Aus Revolutionären werden Manager und Minister. Wolfgang Schorlaus neues
       > Buch „Rebellen“ erzählt, wie gut sich die Linken von einst heute
       > zurechtfinden.
       
 (IMG) Bild: Die maoistische Phase: Nicht die schlechteste.
       
       Alexander hatte seine maoistische Phase nicht in allzu schlechter
       Erinnerung. Eine jugendliche Überspanntheit, ein Fehler, schlimm, das
       schon, aber er hatte in dieser Zeit viel gelernt.
       
       In den frühen Siebzigern hatte sich der Bund Kommunistischer Arbeiter aus
       Freiburg mit einigen anderen Gruppen aus Westdeutschland zum
       Kommunistischen Bund Westdeutschland KBW zusammengeschlossen, mit allem
       Drum und Dran, Zentralkomitee, freigestellten Berufsrevolutionären, Büros,
       erst in Mannheim, dann in Frankfurt.
       
       Mischa wurde in das erste Zentralkomitee gewählt und verließ Freiburg. Sein
       natürlicher Nachfolger war Mike, der Student mit den roten Haaren.
       Alexander wurde in die Freiburger Ortsleitung gewählt.
       
       Dieser Aufstieg hatte etwas Beruhigendes für ihn, so als würde er nun von
       dem Makel seiner bürgerlichen Abstammung befreit. Diese hatte ihn belastet,
       denn nur das proletarische Element schien immer den richtigen Weg zu kennen
       oder ihn auf geheimnisvolle, instinktive Weise zu gehen.
       
       Er erinnerte sich noch an den Sturm auf den Bauplatz in Wyhl. In der Gegend
       direkt um den Bauplatz, auf dem das Kernkraftwerk entstehen sollte, war ein
       Demonstrationsverbot verhängt worden. So hatten die Bürgerinitiativen zu
       einer großen Kundgebung nach Sasbach aufgerufen, und Zehntausende strömten
       zusammen.
       
       Am Ende der Kundgebung hieß es, es sei zwar verboten, am Bauzaun zu
       demonstrieren, aber dort spazieren zu gehen, könne niemandem untersagt
       werden. Alexander war mit Toni und Reintraud in deren altem R4 zur
       Kundgebung gefahren. Gemeinsam spazierten sie dann mit einigen zehntausend
       Menschen zum Bauzaun.
       
       ## Ängstliche Polizisten
       
       Plötzlich sahen sie Paul. Er war mit einer Gruppe Gewerkschafter aus
       Freiburg da. Alexander sah, wie er und seine Kollegen Gestrüpp, Reisig,
       Äste und Ähnliches aus dem Wald anschleppten und neben dem Zaun auftürmten,
       bis dieser Turm den Zaun überragte. Dann kippten sie weiteres Gestrüpp auf
       die andere Seite des Zauns. Vor ihren Augen entstand eine Art Brücke, eine
       sehr komfortable, leicht begehbare Brücke über den Zaun.
       
       Toni hatte sofort mitgeholfen und Äste aus dem Wald gezerrt. Alexander sah,
       wie auch an anderen Stellen derartige Brücken entstanden. Die Demonstranten
       strömten darüber auf den Bauplatz und besetzten ihn. Warum war er nicht auf
       diese Idee gekommen? Warum Paul? Lag das an seinem legalistischen
       bürgerlichen Klassenbewusstsein? Wahrscheinlich. Er fühlte sich klein und
       gedemütigt vor dem wahren revolutionären Bewusstsein, das Paul an den Tag
       legte.
       
       Die Polizei hatte sich auf den hinteren Teil des riesigen Geländes
       zurückgezogen und stand nun in einer langen Reihe vor ihnen,
       eingeschüchtert, hinter ihr nur der Zaun und der Rhein, vor ihnen
       achtundzwanzigtausend Menschen, die langsam auf sie zukamen. Alexander
       klaubte einige Steine vom Boden auf. Er wollte eine revolutionäre Tat
       vollbringen, die Scharte auswetzen, Toni zeigen, dass er auch Massen führen
       konnte. Gerade als er den Arm hob, um einen Stein auf die Polizisten zu
       schleudern, hielt Paul ihn fest.
       
       „Nicht werfen, Alexander. Sieh nur, sie haben Angst, sie halten die Hunde
       an der kurzen Leine. Wenn wir sie jetzt steinigen, müssen sie den Knüppel
       ziehen. Unsere Übermacht reicht. Keine Steine.“ Alexander ließ den Arm
       sinken. Und tatsächlich: Nach ein paar Minuten zogen die Polizisten ab.
       Niemand hinderte sie daran. Später erklärte der baden-württembergische
       Ministerpräsident, der Bau des Kernkraftwerks sei nicht mehr notwendig. Die
       Schlacht um Wyhl war gewonnen.
       
       Erstaunlicherweise hatten sich innerhalb des maoistischen KBW
       Führungsstrukturen entwickelt, die er später in Firmen- und
       Konzernvorständen wiederentdeckte. Es gab zwei Führungskader an der Spitze,
       zwei ehemalige Heidelberger Studenten. Der eine hieß Joki Öler und der
       andere Manfred Gabler. Der eine gab den nachdenklichen Strategen, der
       andere den Haudrauf. Der Guru und der Kommissar.
       
       ## Geniale Strategie der Zentrale
       
       Beide entwickelten das, was man später das Syndrom der Zentrale nannte und
       in zahlreichen Vorständen wiederfand. Öler und Gabler hielten alle in den
       Ortsgruppen für ausgemachte Idioten, die unfähig waren, die geniale
       Strategie der Zentrale richtig um zusetzen. Deshalb mussten sie die unteren
       Chargen „anleiten“. Aber die schafften es nie, Politik zur Zufriedenheit
       des Zentralkomitees zu entwickeln.
       
       In Wahrheit stieß sich die Wirklichkeit an den revolutionären Vorgaben.
       Alexander, der oft keine einzige Kommunistische Volkszeitung vor dem
       Werkstor bei Intermetall oder Hüttinger verkaufte, legte das Geld aus
       eigener Tasche dazu und erreichte so die gewünschte Vorgabe.
       
       Gabler vom ZK gefiel nicht, dass die Genossen sich Autos kauften, wie es
       ihnen gerade einfiel. Es wurde beschlossen, dass alle Genossen eine
       einheitliche Marke fahren sollten. Die strategische Überlegung dahinter
       war: Es sollte ein Wagen mit dickem Blech sein, der stabil genug war, um im
       Fall der Revolution ein Maschinengewehr auf dem Dach montieren zu können.
       
       Die Wahl fiel auf die Marke Saab. Erstaunlicherweise schien das gut zu den
       Plänen dieser Firma zu passen, die eine Marktoffensive in Deutschland
       vorhatte. Alle Ortsgruppen wurden angehalten, sich einen Saab zu kaufen.
       Das ZK bekam wunderschöne große Wagen mit Cockpits, die aussahen wie in
       einem Flugzeug. Öler und Gabler, mit ihrem feinen Gespür für
       Eigentumsverhältnisse, wollten nicht, dass diese schöne Flotte den Genossen
       gehörte, die die Fahrzeuge bezahlt hatten, sondern kassierten die
       Fahrzeugscheine direkt bei Lieferung ein und ließen die Autos auf den
       ZK-eigenen Verlag eintragen. So kam es, dass dieser Verlag, der drei
       Angestellte beschäftigte, 153 Firmenfahrzeuge besaß.
       
       ## Mit Mao gewinnen
       
       Irgendwann monierte das Finanzamt Frankfurt diese Konstruktion. Alexander
       erinnerte sich noch an den wütenden Artikel in der Kommunistischen
       Volkszeitung über diesen hinterhältigen Angriff der herrschenden Klasse.
       Immerhin erhielten die Genossen, die die Saabs bezahlt hatten, auf diesem
       Weg auch die Fahrzeugscheine und damit das Eigentum an den Autos zurück.
       
       Ja, er hatte viel gelernt in seiner maoistischen Phase. Eine Sitzung mit
       einem gemeinsamen Ergebnis abschließen. Abweichler aufspüren und isolieren.
       Einem Beschluss müssen Taten folgen. Das eigene Ego hinter der gemeinsamen
       Sache zurückstellen. Das Ziel nie aus den Augen verlieren. „Wenn die Linie
       geklärt ist, entscheiden die Kader alles“ (Stalin).
       
       „Entscheidend ist, dass Sie alle die Unternehmenswerte, unsere
       Verhaltensrichtlinie sowie die dazugehörigen Konzernleitlinien und
       Konzernrichtlinien leben und als Maßstab Ihres Handelns nutzen sowie deren
       Inhalte aktiv kommunizieren. Nur so können wir den Erfolg von Daimler
       langfristig sichern“ (Vorwort zur Verhaltensrichtlinie der Daimler AG).
       
       Wenn er heute Sitzungen in den Gremien des Verbands der
       Werkzeugmaschinenhersteller leitete und Abstimmungen durchführen musste,
       dann wählte er manchmal die maoistische Variante, wie er sie bei sich
       nannte. Er fragte: „Und? Ist jemand dagegen? Dann bitte ich um das
       Handzeichen.“ Er gewann solche Abstimmungen immer.
       
       Erstaunlich, was aus seinen alten Genossen geworden war: ein Dutzend
       Vorstände und einige Vorsitzende großer Unternehmen, eine Bundesministerin,
       ein Parteivorsitzender, mehrere Landesminister, neuerdings sogar ein
       Ministerpräsident.
       
       10 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wolfgang Schorlau
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Mao
 (DIR) Krimi
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 (DIR) Schwerpunkt 1968
       
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