# taz.de -- Theater bei der Drogerieausbildung: Azubis müssen auf die Bühne
       
       > Der Drogerie-Riese dm hat Kunst und Theater in seine Ausbildung
       > integriert. Theater-Workshops enden mit einer Vorstellung. Nicht alle
       > Lehrlinge sind damit glücklich.
       
 (IMG) Bild: Bevor die Regale befüllt werden können, muss erst einmal Theater gespielt werden.
       
       Als kürzlich im Frankfurter Städel-Museum ein Symposion über „Das
       Künstlerische als Bildungsprinzip“ stattfand, diskutiert Beatrice Werner
       mit auf dem Podium. Die gelernte Schauspielerin ist die Gattin des
       dm-Drogerie-Gründers Götz Werner. Der Drogerie-Markt hat bereits seit dem
       Jahr 2000 Theaterpädagogik als feste Säule verankert – als Teil seiner
       Ausbildung.
       
       Bei dm heißt dieser Spielraum „Abenteuer Kultur“. Dabei geht es
       ausdrücklich nicht um den Erwerb von Schlüsselkompetenzen, sondern um die
       Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen. Die Theater-Workshops finden im
       ersten und zweiten Lehrjahr statt und umfassen jeweils acht volle
       Arbeitstage in lockeren Abständen.
       
       Sie enden mit einer Vorstellung vor Freunden, Familie und Kollegen. Die
       leitenden Künstler geben Impulse vor, es wird improvisiert, Dialoge werden
       entwickelt, eine dramaturgische Struktur, bis der Aufführung nichts mehr im
       Weg steht.
       
       Für Derya Bilge, bisher dm-Auszubildende, galt es beim ersten
       Theater-Workshop eine riesige Hemmschwelle zu überwinden. Wenn sie gekonnt
       hätte, wäre sie am liebsten nicht hingegangen: „Theaterspielen – das war
       nicht mein Ding!“
       
       ## Ziemlich schnell gelöst
       
       Sie habe sich vorher nicht wirklich vorstellen können, auf der Bühne zu
       stehen und mit Künstlern zusammen zu arbeiten. Das habe sich dann aber
       ziemlich schnell gelöst. Die Künstler seien wirklich gut auf jeden
       Teilnehmer eingegangen, sodass sich am Ende jeder in dem gemeinsam
       erarbeiteten Stück wiederfinden konnte.
       
       Der zweite Workshop war für Bilge schon viel besser. Nie habe sie sich
       vorher vorstellen können, mal auf einer Bühne vor großem Publikum zu
       stehen. Für Florian Wendorf, Auszubildender im dritten Lehrjahr, war die
       Theatererfahrung hingegen von Anfang an mit viel Spaß verbunden.
       
       „Nur kurz vor der Aufführung hatte ich großes Lampenfieber.“ Beide
       berichten, dass sie seit dieser Theatererfahrung viel lockerer geworden
       seien, selbstbewusster, und das habe ihnen auch sehr geholfen im Umgang mit
       den Kunden und Kollegen im Betrieb.
       
       Auch die Hirnforschung beschäftigt sich längst mit dem Thema. Professor
       Gerald Hüther erläuterte in Frankfurt, dass die Verbindungen im Gehirn, die
       ein Mensch braucht, um im Leben Herausforderungen anzunehmen, nicht durch
       Auswendiglernen entstehen, sondern durch Erlebnisse, Selbsterfahrungen und
       im Umgang mit anderen Menschen. Dies könne besonders durch künstlerische
       Prozesse ermöglicht werden, sagte Hüther auf dem Symposion.
       
       ## Abenteuer Kultur
       
       Derya Bilge hat gerade ihre Abschlussprüfung bestanden. Ihr Ziel ist es,
       einmal Filialleiterin zu werden. Sie weiß, dass sie dann eine große Bühne
       bespielen muss. Seit 2000 nehmen jährlich etwa 1.700 Auszubildende an rund
       90 Abenteuer-Kultur-Projekten teil. Alle dm-Märkte entrichten unabhängig
       von der Anzahl der Lehrlinge einen pauschalen Betrag für die gesamte
       Ausbildung und ermöglichen damit auch die Finanzierung von Abenteuer
       Kultur.
       
       Seit 2009 fördern die Werners jenen Entwicklungsspielraum, von dem
       Hirnforscher Hüther so eindringlich spricht, auch in den sogenannten
       singenden Kindergärten. Es geht um „Zukunftsmusiker“.
       
       Inzwischen haben bereits 117 Workshops für knapp 2.000 Erzieherinnen
       stattgefunden. Ungefähr 76.000 Kinder seien dadurch erreicht worden.
       Während des achtmonatigen Projektzeitraums übernehmen Mitarbeiter aus nahe
       gelegenen dm-Filialen Patenschaften für die „singenden Kitas“.
       
       Die S 7 hält in Marzahn. Dann geht es weiter mit der Tram. Die Straßenbahn
       schlängelt sich vorbei an Einkaufszentrum, Freizeitpark, Bürgerpark.
       Dazwischen Plattenbauten. Endstation Ahrensfelde, gleich gegenüber die
       Kindertagesstätte „Marzähnchen“.
       
       ## „Singende Kindergärten“
       
       Man hört die Kinder, sie spielen draußen auf dem großen Hof. Das Gebäude
       ist von außen nicht sehr einladend, aber innen herrscht eine angenehme,
       warmherzige Atmosphäre. Die integrative Kindertagesstätte verfügt über
       großzügige, helle Räume und einen gut ausgestatteten Musikraum. Träger ist
       das Jugend- und Sozialwerk. Hier arbeitet Stefanie Torgler, die im letzten
       Jahr gemeinsam mit einer Kollegin am dm-Projekt der „singenden
       Kindergärten“ teilgenommen hat.
       
       Torgler, eine junge Frau in Lederjacke und Jeans, steht auf Musik, spielt
       Gitarre und Keyboard. Mit der Teilnahme bei den „singenden Kindergärten“
       habe es erst beim zweiten Bewerbungsanlauf geklappt. Aber dann habe sie
       gemeinsam mit einer Kollegin zum Tiergarten-Hotel gedurft, wo die
       musikpädagogischen Workshops stattgefunden haben.
       
       „In meiner Ausbildung als Erzieherin sind künstlerische Lehrinhalte gar
       nicht vorgekommen“, kritisiert sie. Für sie sei es jenseits der vielen
       Anregungen für die Arbeit mit den Kindern auch durchaus eine persönliche
       Bereicherung gewesen, denn sie habe ihre Stimme weiterentwickeln können.
       
       ## Singen in der Kita
       
       Das Singen sei mittlerweile voll in den Kita-Alltag integriert. Einmal in
       der Woche ist Musik-Club. Dann arbeitet Stefanie Torgler mit den Kindern
       eine Stunde lang im Musikraum. Es wird improvisiert, und unter ihrer
       Anleitung werden musikalische Geschichten entwickelt. Gemeinsam mit ihrer
       dm-Patin haben sie im letzten Sommer ein Sommerfest organisiert.
       
       Torgler hatte mit den Kindern eine musikalische Afrikareise initiiert, und
       es gab ein Trommelkonzert. Das Spiel mit den Trommeln sei besonders gut von
       denjenigen Kindern aufgenommen worden, die in der deutschen Sprache noch
       nicht so weit sind wie die Altersgenossen. „Ich habe den Kindern angemerkt,
       wie frei sie sich in dieser universellen Sprache gefühlt haben – obwohl sie
       alle neu lernen mussten“, sagt Torgler.
       
       In der dm-Filiale auf der Karl-Marx-Straße arbeitet Frau Tauchert. Sie ist
       mittlerweile schon dreimal Patin gewesen für eine singende Kita im
       Neuköllner Umfeld. Ob ein dm-Mitarbeiter Pate wird, ist freiwillig. Frau
       Tauchert pflegt einen engen Kontakt mit den Kitas. Sie liebe Kinder und sei
       Patin aus Leidenschaft.
       
       ## Klopfende Kinder
       
       Sie bekomme viel zurück: „Manchmal klopfen die Kinder an die
       Schaufensterscheibe und winken, wenn sie mit ihren Eltern über die
       Karl-Marx-Straße kommen.“ Sie habe eine sehr großzügige Filialleiterin, und
       in der Regel seien Besuche in der Kita meist während der regulären
       Arbeitszeit möglich. Aber sie habe auch gern Freizeit investiert, um
       Aktivitäten mit den Kindern zu organisieren.
       
       Jetzt steht ihre Versetzung nach Reinickendorf an, und sie muss sich von
       den vielen Kita-Kontakten im Kiez verabschieden. In Reinickendorf hofft sie
       auf eine erneute Patenschaft. Mit Glanz in den Augen erinnert sie sich an
       den Geburtstag der Filiale: Da kamen die kleinen Zukunftsmusiker und haben
       ein Ständchen angestimmt.
       
       Die dm-Drogeriemarktkette wurde für ihr Engagement, das Künstlerische als
       Baustein in der Ausbildung zu verankern, 2004 mit dem Initiativpreis der
       Otto-Wolff-Stiftung und der Wirtschaftswoche ausgezeichnet.
       
       Für die „singenden Kitas“ gab es 2012 den Kulturförderpreis des
       Bundesverbands der Deutschen Industrie. Die Werners setzen mit ihrem
       Engagement auf eine identitätsstiftende unternehmerische Kultur. Scheinbar
       geht die Rechnung auf: Wenn Geld für Kunst da ist, kann man mit Kunst auch
       Geld machen.
       
       *Die Autorin ist selbst Künstlerin
       
       9 Apr 2013
       
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