# taz.de -- Regionalökonomie: Als sie sich Berlin zur Brust nahmen
       
       > Eine Ausstellung in der Heimatstube Burg erzählt die Geschichte der
       > Frauen aus dem Spreewald, die als Ammen die Kinder reicher Familien in
       > Berlin nährten.
       
 (IMG) Bild: Christiane Belka aus Sielow als Kindermädchen in Berlin um 1905.
       
       Gurken und Leinöl sind Exportschlager aus dem Spreewald, die jeder kennt.
       Es gab aber auch mal einen, von dem heute kaum noch jemand weiß:
       Muttermilch. Spreewälderinnen stillten die Babys der Bourgeoisie in Berlin,
       Potsdam, Dresden und Cottbus. Allein in der Reichshauptstadt soll es um das
       Jahr 1900 rund 1.000 Ammen aus dem „Venedig des Nordens“ gegeben haben.
       
       Diesem Thema widmet sich eine Sonderausstellung in der Heimatstube in Burg
       (Bórkowy): „Nach Berlin! Spreewälder Ammen und Kindermädchen in der
       Großstadt“. Die Heimatstube ist in einem alten Bauernhaus untergebracht,
       das auf einen historisch nachgestalteten Dreiseitenhof mit Ziehbrunnen
       umgesetzt wurde. Darin belegt die Ammen-Schau, eine Leihgabe des Wendischen
       Museums Cottbus, nur einen Raum, aber auch auf wenigen Quadratmetern
       gelingt es, die Geschichte der Ammen fast 100 Jahre nach ihrem Verschwinden
       wieder zum Leben zu erwecken. Fotos, Postkarten und andere Zeitzeugnisse
       geben dieser kleinen regionalhistorischen Lektion eine persönliche Note.
       
       Früher glaubte man, die Muttermilch verderbe durch Sexualkontakte in der
       Stillzeit. Überhaupt galt Stillen als „animalisch“ – es schickte sich nicht
       für Damen der bürgerlichen Gesellschaft, ruinierte die Figur und hinderte
       sie an der Erfüllung ihrer ehelichen und gesellschaftlichen Pflichten. Wer
       es sich leisten konnte, holte deshalb eine Nähramme ins Haus. Dabei galten
       die Dienstmädchen aus dem Spreewald als gesund, fleißig, treu, genügsam und
       gehorsam. Mit ihren ausladenden Hauben aus bestickten Tüchern waren sie
       zudem ein Statussymbol.
       
       ## Bessere Heiratschancen
       
       Für viele der Frauen, so erzählt es die Ausstellung, galt solch eine
       Anstellung als Vorbereitung auf die Ehe und das Hausfrauendasein und
       verbesserte damit ihre Heiratschancen. Zudem gehörten Ammen zu den am
       besten verdienenden Dienstboten in den herrschaftlichen Häusern.
       
       Aber warum ausgerechnet der Spreewald? Der erste Hinweis auf sorbische
       Ammen in Berlin führt in die Familie des deutschen Kaisers. Anna Cludi aus
       Burg war den kaiserlichen Spähern wegen ihrer prächtigen Brust aufgefallen
       und wurde mit einer Kutsche abgeholt. Sie stillte Prinz Adalbert von
       Preußen, das dritte Kind von Wilhelm II. und Auguste Viktoria. Auch der
       zweitgeborene Sohn des Kronprinzen Wilhelm und seiner Frau Cecilie Herzogin
       zu Mecklenburg, Louis Ferdinand Prinz von Preußen, wurde von einer Amme aus
       dem Spreewald genährt.
       
       Einen der Zwillingssöhne von Wilhelm Fürst von Hohenzollern und seiner Frau
       Maria Theresia legte sich Marie Jank aus Straupitz an die Brust. Dass sie
       ihre eigenen Kinder bei der Schwiegermutter im Spreewald ließ, um sich ein
       Jahr in Potsdam zu verdingen, war eine pragmatische Entscheidung: Das Haus
       der Familie brauchte ein neues Dach. Ihr „Amming“ – so die Bezeichnung für
       einen von Ammen gestillten Säugling – hielt später den Kontakt bis zu ihrem
       Tod aufrecht. Auch von Pauline Ruben aus der Nähe von Cottbus erfährt man:
       Sie war bei zwei Berliner Kaufmannsfamilien tätig und, so erzählte sie es
       in ihren letzten Lebensjahren, begleitete diese auch auf Reisen. In Monte
       Carlo hielt ihr ein Portier die Tür zum Hotel auf.
       
       Die Vermittlung der Ammen erfolgte anfangs vor allem auf Gesindemärkten,
       später auch über Annoncen privater Vermittler. Die meisten Frauen fanden
       wohl über persönliche Kontakte und Empfehlungen eine Anstellung in der
       Stadt.
       
       Beuteten Lausitzer Familien das Image der gesunden Spreewald-Amme
       gewerbsmäßig aus? Das legen Schriften von August Bebel nahe. Der
       Sozialdemokrat schrieb schon 1879 über die „Ammenzüchterei, die darin
       besteht, dass die Landmädchen sich schwängern lassen, um nach der Geburt
       ihrer Kinder sich als Ammen an eine wohlhabende Berliner Familie vermieten
       zu können“. „Mädchen“, so Bebel, „die drei und vier uneheliche Kinder
       gebären, um sich als Amme verdingen zu können, sind keine Seltenheit, und
       je nachdem sie bei diesem Geschäft verdienen, erschienen sie den jungen
       Männern des Spreewaldes begehrenswert.“ Die präsentierten Beispiele weisen
       aber eher darauf hin, dass die Frauen meist in intakten familiären
       Verhältnissen lebten und nur für eine begrenzte Zeit ihre leiblichen Kinder
       in der Obhut ihrer Familien ließen.
       
       Überkam die Ammen Heimweh, besuchten sie sorbische Gottesdienste in Berlin.
       Wie groß die Sehnsucht nach der Heimat war, zeigt ein Gedicht, das in der
       Ausstellung zu lesen ist: „In meines Vaters Blockhaus klein, da möchte ich
       doch lieber sein. Die Herrschaft mir nur Liebes thut, das Essen schmeckt ja
       auch sehr gut, doch Appetit hab ich so arg auf Leinölbrod mit frischem
       Quark.“
       
       ## Von Zille gezeichnet
       
       Viele Künstler setzten den Spreewälder Ammen, die mit den ihnen
       anvertrauten Kindern oft im Tiergarten zu sehen waren, ein Denkmal: Theodor
       Fontane beschrieb sie, Max Liebermann malte sie, Heinrich Zille zeichnete
       sie – biertrinkend und stillend.
       
       Als das Stillen durch Lohnammen ab den 1920er Jahren stark zurückging, weil
       Ersatzmilch verfügbar wurde, verschwanden auch die Spreewälder Ammen aus
       dem Berliner Stadtbild.
       
       ## ■ „Nach Berlin! Spreewälder Ammen und Kindermädchen in der Großstadt“.
       Bis März 2014 in der Heimatstube Burg, Am Hafen 1, Burg (Bórkowy). Mo.–So.
       13–17 Uhr
       
       9 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Bollwahn
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Roman
 (DIR) Homosexualität
       
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