# taz.de -- Verhandlung gegen Gewerkschafter: Ein Prozess, der nicht in die Zeit passt
       
       > Linke Gewerkschafter stehen in der Türkei wegen Unterstützung der PKK vor
       > Gericht. Der Prozess widerspricht den Friedensbemühungen.
       
 (IMG) Bild: Kurden feiern Abdullah Öcalan.
       
       ANKARA taz | Lami Özgen, der Vorsitzende der linken
       Gewerkschaftskonföderation KESK (Kamu Emekcileri Sendikalari
       Konfederasyonu), hat auf den ersten Blick wenig mit einem typischen
       Gewerkschaftsboss zu tun. Doch der schlanke, asketische Intellektuelle hat
       das klassische Gewerkschaftsrepertoire durchaus drauf: Auf einem
       Demonstrationswagen vor Hunderten Gewerkschaftern vor dem Gericht in Ankara
       legt er los, dass die Genossen in Jubel ausbrechen. Ein „infamer Anschlag“
       auf die Gewerkschaft sei der Prozess, wir werden „bis zuletzt dagegen
       kämpfen“, ruft er.
       
       Tatsächlich ist der Prozess, der am Mittwoch vor der Großen Strafkammer in
       Ankara gegen die Führungsspitze der KESK stattfand, ein Novum, selbst in
       der Türkei, wo Gewerkschaften es ohnehin schwer haben. Laut Anklage sollen
       72 Funktionäre und Mitglieder der KESK einen Geheimbund gegründet haben,
       der aktiv die kurdische Guerilla PKK unterstützt hat.
       
       Die KESK-Leute sollen deshalb als Mitglieder einer terroristischen
       Vereinigung zu Strafen von 6 bis 10 Jahren Gefängnis verurteilt werden. Von
       den im Juni 2012 Festgenommenen sind 50 aus der U-Haft entlassen worden, 22
       waren bis zur ersten Verhandlung am 10. April fast 300 Tage in Haft.
       
       Als Lami Özgen am Mittwochmorgen vor dem Gericht im Zentrum von Ankara
       seine Rede hält, ahnt er allerdings bereits, dass der Prozess gut ausgehen
       wird, denn die im Vorjahr zusammengeschusterte Anklage passt seit einigen
       Wochen nicht mehr in die politische Landschaft.
       
       ## Kurdisch in der Schule? Warum nicht!
       
       Die linke Gewerkschaftskonföderation KESK, zu der auch die
       Lehrergewerkschaft Egitim Sen gehört, ist jahrelang vom Staat verfolgt
       worden, weil sie sich traditionell auch für ihre kurdischen Mitglieder
       engagiert hat und kurdischen Unterricht in den staatlichen Schulen
       forderte. Doch was im Vorjahr für viele Staatsanwälte noch Hochverrat war,
       ist seit dem Beginn der Friedensverhandlungen zwischen PKK-Chef Abdullah
       Öcalan und der Regierung fast schon zu einer Selbstverständlichkeit
       geworden. Kurdisch in der Schule, „warum nicht“, heißt es plötzlich.
       
       So ist Gewerkschaftschef Lami Özgen, der selbst ebenso vor Gericht steht,
       seit einer Woche Mitglied der von Regierungschef Tayyip Erdogan
       eingesetzten „Kommission der Weisen“, eine Gruppe handverlesener
       prominenter Frauen und Männer, die in Veranstaltungen und Gesprächen für
       den Friedensprozess in der Bevölkerung werben soll. „Diese Widersprüche,
       das ist die Tragödie der Türkei, die sich in dieser Weise in meiner Person
       manifestiert“, sagte Özgen am Vorabend des Prozesses vor einer Runde
       internationaler Gewerkschafter, die zur Prozessbeobachtung nach Ankara
       gekommen war.
       
       ## Polizisten mit Maschinenpistolen
       
       Im Gericht selbst ist allerdings zunächst nichts von den veränderten
       politischen Verhältnissen zu spüren. Polizisten der Anti-Terror-Einheit mit
       Maschinenpistolen in der Hand sind aufgezogen und schirmen die 22
       Angeklagten wie Schwerverbrecher von Zuschauern und Verteidigern ab.
       Stundenlang müssen sich die Angeklagten dann zu den „absurden Vorwürfen“
       der Staatsanwaltschaft äußern. „Ich bin seit 20 Jahren Lehrer und habe
       Tausende Schüler unterrichtet. Ich habe immer versucht, bei ihnen ein
       Verständnis für Fairness und Gerechtigkeit zu wecken, und jetzt soll ich
       deshalb ein Terrorist sein“, sagte einer der Angeklagten empört. „Woher
       nehmen Sie das?“
       
       Die Erlösung kommt dann nach acht Stunden Verhandlung am frühen Abend. Alle
       22 Angeklagten werden aus der U-Haft entlassen. Im Gerichtssaal und vor
       allem vor dem Gericht, wo immer noch Hunderte ausharren, bricht Jubel aus.
       Doch die Gewerkschafter werden zwar aus der Untersuchungshaft entlassen,
       der Prozess ist damit aber nicht vom Tisch. Friedensprozess hin oder her,
       im Juli wird der Prozess fortgesetzt. Özgen will trotzdem in der
       Erdogan-Kommission bleiben. „Nicht für Tayyip Erdogan, aber für das Volk“,
       sagt er.
       
       11 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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