# taz.de -- Torkild Hinrichsen übers Dänentum: „Diese Abgrenzung wollte ich nicht“
       
       > Torkild Hinrichsen, gerade ausgeschiedener Direktor des Altonaer Museums,
       > ist dänisch aufgewachsen. Während seiner Schulzeit in Hamburg hat er den
       > Mund gehalten, um sich zu outen.
       
 (IMG) Bild: Empfindet Alltagskultur als besonders subversiv: Ex-Museumsdirektor Torkild Hinrichsen.
       
       taz: Herr Hinrichsen, Sie sammeln Versteinerungen. Ist Mumifizierung ein
       gutes Motto für einen Museumsdirektor? 
       
       Torkild Hinrichsen: Versteinerungen sind ja Verewigungen von Leben – und
       das ist durchaus ein Anspruch des Museums: Hinterlassenschaften des
       Menschen aufzubewahren. Nicht, um eine Antiquitätensammlung zu erstellen,
       sondern um eine Quelle des Menschen zu haben, der nicht mehr da ist. An
       seiner statt sprechen die Dinge – falls man sie zum Sprechen bringt.
       
       Ist das so schwer? 
       
       Wenn man nichts über diesen Menschen weiß, hängt man in der Luft – was bei
       90 Prozent der Museumsstücke der Fall ist. Da vermutet man, dass Dinge
       genauso funktionieren wie diejenigen, die man kennt. Wenn ich ein Gefäß
       habe, das aussieht wie eine Tasse, beweist das aber gar nichts. Es kann
       ganz anders benutzt worden sein. Es kann sogar auf dem Kopf gestanden und
       etwas anderes getragen haben.
       
       Aber ein kulturhistorisches Museum sammelt jedenfalls repräsentative Dinge. 
       
       Nicht unbedingt. Es kann gut sein, dass der Sammler, der die Dinge einst
       kaufte, das unter völlig anderen Gesichtspunkten tat. Dass er zum Beispiel
       seltene oder seltsame Dinge sammelte. Ein Museum ist vor allem Ausdruck
       einer Zeit, die etwas Bestimmtes mit einem Museum wollte – oder eines
       Direktors, der einen bestimmten Spleen hatte.
       
       Und dann sagen die Politiker auch noch, das alles sei verstaubt und man
       müsse das Museum schließen. 
       
       Das mit dem Staub werden sie immer sagen, wenn das Gezeigte nicht den
       allgemeinen Erwartungen entspricht. Verstaubt ist aber nur das, was man
       nicht wahrnimmt, weil man es nicht erkennt. Und es ist die Verpflichtung
       eines Museums, das Verstaubte so aufzubereiten, dass es verstanden wird,
       indem man zum Beispiel erklärt: Warum ist da Staub drauf?
       
       Der Politiker von heute sagt: Staub bedeutet, diese Dinge interessieren
       nicht mehr. 
       
       Der Politiker sagt im Augenblick etwas ganz anderes. Der will ein Inventar,
       um zu wissen, welchen dinglichen Wert die Exponate haben. Durch solche
       Kampagnen wollen die Financiers den schlummernden materiellen Schatz zum
       Beispiel einer Stadt feststellen. Mit der Idee, dass man ihn beleihen kann
       und indirekt zu Geld machen kann.
       
       Deckt sich der dingliche Wert mit dem finanziellen? 
       
       Das ändert sich ständig. Deshalb ist eine Wertbemessung von Museumsgut eine
       zweifelhafte Sache. Denn erstens müsste sie jährlich revidiert werden –
       wegen schwankender Kunstpreise. Zweitens: Wenn man all das, was in Museen
       verkaufbar wäre, auf den Markt würfe, gäbe es diesen Markt nicht mehr. Da
       nämlich niemand diese Massen bewältigen könnte, sänke deren Preis.
       
       Wie erklären Sie einem Finanzsenator den ideellen Wert von Museumsstücken? 
       
       Den kann man nicht erklären, weil das etwas ist, das man von innen her
       begreifen muss.
       
       Sie haben erfolgreich gegen die Schließung des Altonaer Museums gekämpft.
       Wurden da solche Gespräche geführt? 
       
       Da wurden Gespräche geführt.
       
       Mit Hamburgs damaligem Kultursenator. 
       
       Ja, aber da zogen inhaltliche Argumente nicht. Da ging es nur darum, einen
       bestimmten Betrag einzusparen.
       
       Glauben Sie der Hamburger Politik eigentlich, dass sie kein Geld hat für
       Kultur? 
       
       Das ist kein Hamburger Problem, sondern ein zeittypisches. Außerdem stellt
       sich die Frage, was die Politik unter Kultur versteht: Kulturgeschichte
       bzw. Alltagskultur wird immer eine Liga niedriger angesetzt als
       Kunstgewerbe oder Kunst. Das können Sie schon an der Finanzausstattung von
       Kunst- und Kulturgeschichtlichen Museen sehen.
       
       Hat das ideologische Gründe? 
       
       Natürlich. Kunst ist toll – und das andere ist zu verständlich, um als
       wertvoll zu erscheinen. Dabei können Sie alle menschlichen
       Hinterlassenschaften – vom Schuh bis zum Ölbild – als gleichberechtigt
       betrachten. Diese Dinge haben unterschiedliche Preise, aber das hängt vom
       Tagesgeschmack ab. Wertvoll ist, was eine Zeit als wertvoll definiert.
       
       Aber noch nie hat die Politik Alltagskultur wertvoll gefunden. 
       
       Das stimmt. Denn man kann mit diesen Dingen etwas anderes tun als mit einem
       Bild. Ein Kunstwerk hat eine Aura, einen Marktwert und so weiter.
       Alltagskultur dagegen ist verdächtig.
       
       Inwiefern? 
       
       Sie können kulturgeschichtliche Alltagsgegenstände so kombinieren, dass Sie
       damit Sozialkritik üben. Sie können fragen: Wer hatte sowas und wer nicht?
       Und schon haben Sie die Menschheit auseinanderdividiert – in die
       Wohlhabenden und die Habenichtse. Die Allermeisten haben nämlich gar nichts
       hinterlassen.
       
       Dann müssten doch linksgerichtete Regierungen die Kultur der kleinen Leute
       schätzen. Hamburgs SPD-Senat tut das aber nicht explizit. 
       
       ... weil er möglicherweise genau dieses nicht so gern herausarbeiten
       möchte, damit er nicht in den Ruf kommt, zu links zu sein.
       
       Sie haben mal erwähnt, dass Sie deutsch-dänisch aufgewachsen sind. Wie kam
       das? 
       
       Ich bin eher dänisch aufgewachsen. Meine Mutter stammte aus Nordjütland,
       mein Vater war Nordschleswiger, daher wurde zu Hause Dänisch gesprochen.
       Und zwar schon seit 1910, als meine Großeltern von Dänemark nach Altona
       zogen. Man sprach im Beruf Deutsch und privat Dänisch. Mit dem Erfolg, dass
       ich bei meiner Einschulung 1954 kein deutsches Wort konnte. Da es nicht
       angesagt war, zuzugeben, dass man dänisch war, habe ich 13 Jahre lang
       geschwiegen.
       
       Hatten die Eltern das nicht bedacht? 
       
       Sie haben wahrscheinlich gedacht, das käme von allein.
       
       Wie brillant war dann Ihre Schulkarriere? 
       
       Ich habe mich zwar nie gemeldet, aber natürlich mitgelernt. Und was ich
       nicht wusste, habe ich im Lexikon nachgeguckt.
       
       Wie groß war die dänische Community damals in Altona? 
       
       Jedenfalls größer als unsere Familie. Das haben wir aber erst in den 1960er
       Jahren bemerkt, als man sich offen zu seinem Dänisch-Sein bekennen konnte.
       
       Vorher ging das nicht? 
       
       Es war nicht angesagt, denn die Deutschen waren neidisch auf die Dänen: Das
       waren die Speckdänen, die während des Zweiten Weltkriegs immer genug zu
       essen gehabt hatten. Deshalb war es für mich in der Schule besser, so zu
       tun, als sei ich beknackt. Und den Mund zu halten.
       
       Welcher Identität fühlen Sie sich stärker verbunden? 
       
       Wenn Sie in zwei Kulturen aufgewachsen sind, hängen Sie da drüber und
       nehmen sich aus jeder das Positive. Auf Reisen gab es dann allerdings schon
       Konfrontationen. Als wir in den 1950er, 1960er Jahren mit dem Auto nach
       Dänemark reisten, war es gefährlich, irgendwo zu parken. Da wurde man
       angegiftet. Das hat sich übrigens bis jetzt gehalten – mühsamst
       zugekleistert unter der großen Völkerverständigung.
       
       Warum schwelt das noch? 
       
       Unter anderem, weil die Ressentiments von den Freiheitskämpfern gepflegt
       wurden. Von ihnen leben zwar nicht mehr viele. Aber wenn sich der 9. April
       – das Datum des Nazi-Einmarschs in Dänemark – nähert, hören Sie im
       dänischen Rundfunk Pferdegetrappel. Es ist immer noch da.
       
       Es gibt eine antideutsche Stimmung? 
       
       Nun – man ist sich des großen Nachbarn eben sehr bewusst. Denn es ist
       unangenehm, einen wirtschaftlich starken Nachbarn zu haben. Dänemark hat
       das immer mit seinem Sozialstaat gekontert, aber der geht gerade den Bach
       runter. Dänemark ist pleite.
       
       Hatten Sie eigentlich mal erwogen, in Dänemark zu leben? 
       
       Ich war in Versuchung. Das Schloss in Sonderburg suchte vor 25 Jahren eine
       Direktor. Da dachte ich, ich kann genau das: Grenzgänger. Das Schloss liegt
       ja in dieser Bucht, an der Bruchzone gewissermaßen. Aber das war genau das
       Problem: Ich hätte mich entscheiden müssen, hundertprozentig dänisch zu
       sein und zu signalisieren: Hier sind wir Dänen, dort sind die Deutschen.
       Diese Abgrenzung wollte ich nicht.
       
       Sprechen Sie zu Hause Dänisch? 
       
       Nein. Aber meine Frau hat mehrere Kurse besucht und versteht alles. Wobei
       man sagen muss, dass Dänemark etliche Dialekte hat, deren Sprecher einander
       kaum verstehen. Als Hans Christian Andersen 1819 in Kopenhagen auftauchte,
       war er deshalb so erfolgreich, weil er eine komische Figur war: Die Leute
       verstanden ihn nicht, weil er Fünisch sprach. Oder nehmen Sie den Politiker
       Mogens Glistrup, der in den 1970ern hochkam. Er sprach Bornholmerisch, was
       man in Kopenhagen nicht verstand. Deshalb war er komisch und konnte eine
       Protest-Partei um sich scharen.
       
       Welchen dänischen Dialekt sprechen Sie? 
       
       Ein altertümliches Dänisch, wie es im Langwellen-Sender Kalundborg noch vor
       drei Jahren zu hören war.
       
       Woran liegt das? 
       
       Daran, dass unsere Familie 1910 aus Dänemark wegging, dann als Enklave in
       Altona wohnte und das alte Dänisch konservierte. Wenn ich heute in einen
       Laden komme und akzentfrei sage, was ich haben möchte, gibt es zwei
       Möglichkeiten: Entweder der Verkäufer ist über 50 und versteht mich. Oder
       er ist unter 25. Dann versteht er mich nicht.
       
       14 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Petra Schellen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Altona
       
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