# taz.de -- Madeleine Albrights biografisches Buch: Geschichte mit doppeltem Boden
       
       > Erst spät erfuhr die Ex-Außenministerin der USA von ihrer jüdischen
       > Herkunft. Nun hat sie ein Buch über ihre Kindheit geschrieben und es in
       > Berlin vorgestellt.
       
 (IMG) Bild: Madeleine Albright mit dem tschechischen Außenminister Jan Kohout (rechts) 2010 in Prag.
       
       „Herauszufinden, dass man jüdisch ist, ist die eine Sache. Zu erfahren,
       dass ein Teil der Familie in Auschwitz und Theresienstadt starb, ist etwas
       anderes.“ Mit diesen Worten fasste Madeleine Albright zusammen, was ihr
       1996 geschah. Erst mit 58 Jahren, kurz vor ihrer Vereidigung als erste
       Außenministerin der USA, erfuhr sie von ihrer jüdischen Herkunft und dem
       Schicksal der Großeltern.
       
       Es folgte eine intensive Auseinandersetzung mit der jüdisch-tschechischen
       Familiengeschichte. Albright vertiefte sich in die Zeugnisse ihrer Eltern,
       ging in die Archive. Herausgekommen ist das soeben auf Deutsch erschienene
       Buch „Winter in Prag. Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg“.
       
       Am Dienstag hatte der Siedler Verlag mit der American Academy zu einem
       Gespräch zwischen Albright und ihrem ehemaligen Kollegen und langjährigen
       Freund Joschka Fischer in Berlin eingeladen. Mittlerweile ist Madeleine
       Albright 75 Jahre alt, ein Alter, das man ihr nicht anmerkt. Mit Witz
       glänzte sie zwischen ihrem Gastgeber Gary Smith von der American Academy
       und einem behäbigen Joschka Fischer.
       
       ## Von London aus nach Prag geblickt
       
       „Winter in Prag“ beinhaltet eigentlich drei Bücher, hob Gary Smith hervor;
       die persönliche Geschichte, die des Zweiten Weltkrieges und die der
       folgenreichen diplomatischen Entscheidungen.
       
       Albright wurde 1937 als Marie Jana Korbolová in Prag geboren. Zwei Jahre
       später ging die Familie nach London. Ihr Vater arbeitete dort als junger
       Diplomat eng mit der Exilregierung um Edvard Benes zusammen. „Ich wuchs auf
       in der Überzeugung, dieses Land sei das beste“, erinnert sich die Autorin
       an das Bild der Tschechoslowakei, das ihr die Exil-Tschechoslowaken, unter
       denen sie aufwuchs, vermittelten. Schließlich war das Land bis Mitte der
       30er Jahre eine liberale Demokratie gewesen, mit einer Verfassung nach
       amerikanischen Modell, multiethnisch.
       
       ## Geliebte Tschechoslowakei
       
       Dieses Ideal hat sie sich bis heute erhalten, das hört man ihren
       Erzählungen an über die Prag-Besuche und ihre Freundschaft mit Václav
       Havel. Entsprechend enttäuscht war Albright vom Nationalismus der
       Sudetendeutschen, der Regierungsübernahme der Kommunisten 1948, nach der
       die Familie in die USA auswanderte, und dem Auseinandergehen der Slowaken
       und Tschechen nach dem Fall der Mauer.
       
       Detailliert beschreibt die Autorin die Tschechoslowakei als europäisches
       Schlüsselland. Zentral blieb für sie die Unterzeichnung des Münchner
       Abkommens 1939. Dass die Alliierten das Feld kampflos räumten, sieht die
       ehemalige Außenministerin als Sündenfall. Eine Erkenntnis, die ihre
       späteren Entscheidungen prägen sollte. „Der Wille, Hitler zu stoppen, war
       nicht da“, resümiert Albright. Erst später habe sie die komplexe Situation
       der Westmächte nachvollziehen können: ermüdet vom Ersten Weltkrieg,
       finanziell am Boden.
       
       „Wir sehen die Dinge hauptsächlich schwarz und weiß, aber im Grunde
       genommen sind sie schwarzweiß“, sagt sie. Die moralische Doppelbödigkeit
       politischer Entscheidungen ist ein roter Faden in Albrights Autobiografie
       und dürfte sie an ihre eigene Geschichte als Politikerin erinnern. 1999
       hatte sie die Nato-Bombardierung Serbiens im Kosovo-Konflikt mit zu
       verantworten. In diese Zeit fällt auch ihr erstes Zusammentreffen mit
       Joschka Fischer.
       
       ## Einsatz Joschka Fischer
       
       In Berlin schilderte der frühere Außenminister das Dilemma, als Grüner für
       den ersten deutschen Kriegseinsatz nach 1945 zu werben. Entscheidend sei
       das Massaker von Srebrenica gewesen. Albright beschreibt Fischer
       entsprechend als Schlüsselfigur bei der Durchsetzung des Einsatzes,
       unermüdlich habe er für die Intervention geworben. Wie sich das angehört
       haben könnte, zeigt Fischer Minuten später, als er sich zu der Einschätzung
       versteigt, in Mazedonien habe 2001 nur die Nato-Präsenz im benachbarten
       Kosovo ein „neues Bosnien“ verhindert.
       
       Nach einer guten Stunde sind die beiden Freunde bei der aktuellen Weltlage
       angelangt. Albright fasst zusammen: „The world is a mess.“ Trotzdem lässt
       sie es sich nicht nehmen, etwas zur Untätigkeit des Westens im Syrienkrieg
       zu sagen. Es sei wie vor dem Münchner Abkommen: Die Hauptakteure seien
       ermüdet von Afghanistan, warum sollten sie sich um Länder mit
       unaussprechlichen Namen kümmern?
       
       Es ist faszinierend zu sehen, wie sehr die persönliche Verstrickung in die
       europäische Geschichte die US-Politikerin geprägt hat. Dass Politik so
       läuft, ist für eine Welt im Dreck zwar keine tröstliche, aber eine wichtige
       Erkenntnis.
       
       ## Madeleine Albright: „Winter in Prag. Erinnerungen an meine Kindheit im
       Krieg“. Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz. Siedler Verlag, München
       2013, 544 Seiten, 24,99 Euro.
       
       17 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sonja Vogel
 (DIR) Sonja Vogel
       
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