# taz.de -- ROCKER-CHRIST: „Der Abstand war nicht mehr da“
       
       > Die Kapernaum-Kirche in Hamburg-Horn, die jetzt zur Moschee wird, war in
       > den 1960ern schon einmal umstritten. Damals wirkte dort Wolfgang Weißbach
       > als evangelischer Rocker-Pastor – und das brachte ihm eine Menge Ärger
       > ein.
       
 (IMG) Bild: Die Rocker sind ihm zugelaufen: Pastor Wolfgang Weißbach.
       
       taz: Herr Weißbach, wie wird man Rocker-Pastor? 
       
       Wolfgang Weißbach: Die Rocker sind mir zugelaufen. Ich wurde 1966 in die
       Kapernaum-Kirche nach Hamburg-Horn geschickt, wo die Gemeindejugend
       zeitgemäßere Gottesdienste haben wollte. Ich habe dann Beat-Gottesdienste
       veranstaltet – und da waren bis zu 700 Leute. Zu einem kamen 20, 30 Rocker,
       drängten sich in die erste Reihe, schubsten die „feinen Pinkel“ weg und
       setzten sich breitbeinig hin.
       
       Was tun? 
       
       Hab ich auch überlegt und gesagt, lasst uns erst mal den Gottesdienst zu
       Ende machen. Und die Rocker bleiben danach bitte hier. Wir wollen sehen, ob
       wir einen Weg finden. Der bestand unter anderem in einer Rocker-Disco. Sie
       wurde schnell zum Hamburg-weiten Szenetreffpunkt. Vier, fünf Gruppen trafen
       sich da – etwa die Wild Dogs, die Bloody Devils und die Black Angels.
       
       Warum haben Sie sich der Rocker angenommen? 
       
       Weil ich mich Ausgestoßenen immer nahe gefühlt habe. Das liegt wohl an
       meiner Biografie: Ich stamme aus Sachsen, habe zu DDR-Zeiten oft den Mund
       aufgemacht. Das war gefährlich, und ich hätte gut im Knast in Bautzen
       landen können. 1953 ist unsere Familie dann weg. Erst nach Berlin, später
       nach Buxtehude.
       
       Fühlten Sie sich dort wohl? 
       
       Nein. Die Mitschüler verspotteten mich wegen meines Dialekts. Ich war
       wieder ein Ausgestoßener, und irgendwas ist da wohl hängen geblieben.
       Außerdem hat sich auch Jesus mit den Zöllnern abgegeben und hat sie
       gegenüber der Mehrheitsgesellschaft in Schutz genommen.
       
       Wie Sie. 
       
       Ja, ich habe Rocker, die auf Knast-Freigang waren, bei mir versteckt. Ich
       habe auch einmal die Kasse unseres Clubs geplündert und einen von uns
       freigekauft.
       
       Sie hießen also die Taten der oft gewalttätigen Rocker gut? 
       
       Natürlich nicht! Aber jeder verdient, dass man ihm zuhört und mit ihm
       redet.
       
       Und was haben Sie den Rockern erzählt? Die 10 Gebote? 
       
       Dostojewski hat mal gesagt: „Einen Menschen lieben heißt, ihn so sehen, wie
       Gott ihn gemeint hat.“ Das war meine Motivation. Ich habe sogar die Störer
       im Gottesdienst umarmt und versucht, Hass durch Liebe zu überwinden.
       
       Haben die Rocker Sie ernst genommen – oder ausgenutzt? 
       
       Ich denke, sie haben mich respektiert. Denn sie sahen, dass ich das, was
       ich predigte, auch durchsetzte – zur Not auch mit Körperkraft. Einmal
       verfolgte einer ein Mädchen, das in meiner Wohnung Zuflucht suchte. Der
       stand an der Tür, und ich sagte, du kommst hier nicht rein. Als er mich
       wegstoßen wollte, habe ich ihm einen Handkantenschlag verpasst. Hinterher
       haben wir uns versöhnt. Ich hab gesagt, guck, jetzt sind wir beide
       verletzt, rein kommst du trotzdem nicht.
       
       Haben Sie aus heutiger Sicht immer genug Distanz gewahrt? 
       
       Irgendwann hatte ich wohl nicht mehr den nötigen Abstand. Das ging so weit,
       dass ich vielfach die Sichtweise der Rocker übernahm. Das wurde mir auch
       leicht gemacht, ich stand ja ständig unter Polizeibeobachtung. Da habe ich
       die Polizisten irgendwann nur noch als Feinde betrachtet – wie die Rocker
       es taten.
       
       Wie ertrug Ihre Familie Ihr Engagement? 
       
       Immer schlechter. Anfangs hat meine damalige Frau noch mitgeholfen. Sie hat
       Erste Hilfe geleistet, wenn die Rocker mit Flaschenhälsen aufeinander
       losgingen, aber irgendwann konnte sie nicht mehr.
       
       Sie haben Rocker in Ihren privaten Kellerräumen beherbergt. War das eine
       gute Idee? 
       
       Inzwischen weiß ich, dass das zu nah war, räumlich und emotional. Heute
       muss ich sagen, mein Familienleben kam viel zu kurz.
       
       Wie haben die Nachbarn damals auf die Rocker reagiert? 
       
       Wenn Disco war, haben sie schon im Fenster gelegen und gelauert. Es hat
       auch Beschwerden gegeben und eine Unterschriftensammlung. Ich habe die
       Horner dann zu Gemeindeversammlungen eingeladen und ihnen zu erklären
       versucht, dass diese Rocker Ausgestoßene sind, die eine menschenwürdige
       Behandlung verdienen. Und allmählich glaubten sie mir. Außerdem nahm die
       Gewalt ab: Nach ein paar Jahren gab es in der Disco keine Verletzten mehr.
       
       Trotzdem haben Sie sich nach sieben Jahren ins beschauliche Bargteheide
       versetzen lassen. 
       
       Die Dinge wuchsen mir über den Kopf. Ich habe hier alles aufgegeben, die
       Rocker-Disco geschlossen und nur zu wenigen Rockern Kontakt gehalten. Meine
       damalige Familie habe ich trotzdem nicht retten können.
       
       Hat Ihr Engagement für die Rocker Früchte getragen? 
       
       Einige Rocker – sie sind jetzt ja auch schon Rentner und wir sehen uns
       einmal im Monat – haben ein geordnetes Berufsleben hinter sich gebracht.
       Einer war Maler, einer sogar Beamter. Das ist sicherlich nicht nur mein
       Verdienst. Aber wenn ich nur einen auf den richtigen Weg gebracht hätte,
       würde ich sagen: Für den einen hat es sich schon gelohnt!
       
       Jetzt wohnen Sie wieder in Sichtweite Ihrer damaligen Kirche. Wie
       beurteilen Sie deren Umwidmung in eine Moschee? 
       
       Das muss man pragmatisch sehen: Die Kirchen werden leerer, und deshalb ist
       es sinnvoll, Gemeinden zusammenzulegen. Und der Unterhalt der
       Kapernaum-Kirche war nicht mehr bezahlbar. Die verfiel und hätte in ein
       paar Jahren abgerissen werden müssen. Ich bin froh, dass die islamische
       al-Nour-Gemeinde gesagt hat, wir kaufen die Kirche und richten sie her.
       
       Aber wie damals sind nicht alle Nachbarn einverstanden. 
       
       Das stimmt, aber man muss auch sehen: Der Stadtteil hat sich verändert. Die
       evangelische Mittelschicht ist weggezogen. Stattdessen leben hier viele
       Muslime. Warum sollen sie kein Gotteshaus haben? Ich würde jederzeit für
       die Umwidmung eintreten. Denn die Muslime sind doch die Ausgestoßenen von
       heute.
       
       20 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Petra Schellen
 (DIR) Petra Schellen
       
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       Sie wollen „Deutschland“ retten, aber können es nicht mal richtig
       schreiben: Die Hetzparolen an einer Hamburger Moschee sind fast schon
       komisch.