# taz.de -- Proteste gegen Cohn-Bendit: Tränen und Wut
       
       > Die Vorwürfe der Verharmlosung von Kindesmissbrauch lasten schwer auf dem
       > Grünen. Weggefährten, aber auch politische Gegner verteidigen ihn.
       
 (IMG) Bild: Daniel Cohn-Bendit während der Preisverleihung in Stuttgart.
       
       STUTTGART dpa | Es war eine emotionale Preisverleihung im Stuttgarter Neuen
       Schloss: Der dort geehrte Träger des diesjährigen Theodor-Heuss-Preises,
       der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit, brach während seiner Dankesrede in
       Tränen aus.
       
       In seiner Stellungnahme zu [1][den Vorwürfen], er habe sich an Kindern
       vergangen, schilderte er auch seine Kindheit, die vom frühen Tod von Vater
       und Mutter geprägt war. Bei der Erinnerung an diesen Verlust kam der
       68-Jährige ins Stocken.
       
       Der langjährige Europa-Abgeordnete Cohn-Bendit wurde in Stuttgart für seine
       Verdienste um die deutsch-französischen Beziehungen und um die Demokratie
       gewürdigt. Vor dem Gebäude herrschten Wut und Empörung: Etwa 70
       Demonstranten, organisiert von der Jungen Union, beschimpften die Gäste der
       Veranstaltung mit „Schämt Euch“-Rufen
       
       Der Grund: Cohn-Bendit, einst in Frankfurter Kinderläden tätig, hatte sich
       in den 70er und 80er Jahren über Intimitäten mit Kindern geäußert. Auf den
       Plakaten der Protestierenden war zu lesen: „Heuss-Preis für Kinder-Sex“,
       „Missbrauch darf nicht salonfähig werden“ und „So nicht Herr Kretschmann“.
       
       ## Worte und Taten
       
       Denn neben Cohn-Bendit war auch dessen alter Grünen-Freund,
       Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, ins Visier der
       Opposition im Stuttgarter Landtag geraten. Kretschmann widersetzte sich
       deren wiederholter Aufforderung, von seinem geplanten Grußwort Abstand zu
       nehmen. Er argumentierte, Cohn-Bendits Äußerungen seien zwar unerträglich,
       doch bestehe ein Unterschied zwischen Worten und Taten. Daraufhin warfen
       ihm Liberale und Christdemokraten vor, Kindesmissbrauch zu verharmlosen und
       die Opfer zu verhöhnen.
       
       Nicht nur die grün-rote Koalition im Südwesten wittert dahinter eine
       Kampagne, die aus wahltaktischen Gründen angezettelt wurde, um den
       populären grünen Landesvater zu diskreditieren. Der Laudator Cohn-Bendits,
       der Schweizer Publizist Roger de Weck, warnte vor Verleumdungen und davor,
       dass „Hass salonfähig“ werde.
       
       Auch der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) scherte sich nicht
       darum, dass liberale Mitglieder des Bundestages und des Landtages die
       Veranstaltung boykottierten. Er sei gerade deshalb gekommen. Denn: „Man
       muss die Größe haben, einen politischen Konkurrenten zu ehren.“ Das
       Verhalten seiner Parteifreunde sei „Wahlkampf auf dem Rücken der
       Theodor-Heuss-Stiftung“. Der Protest draußen vor dem Schloss sei
       „unglaublich“.
       
       ## Leistungen würdigen
       
       Kretschmann warb in seiner Rede um Vergebung für Irrtümer und Fehler. Er
       teile die Meinung seiner Lieblings-Denkerin Hannah Arendt: „Vergeben
       bezieht sich nur auf Personen, niemals auf die Sache.“ Demnach seien
       Cohn-Bendits Äußerungen inakzeptabel und würden ihn sein Leben lang
       verfolgen, aber seine Person könne dennoch geehrt werden. Der gläubige
       Katholik betonte: „Verzeihung gibt die Chance, immer wieder neu anfangen zu
       können.“
       
       Und Kretschmann erinnerte auch an den Namensgeber der Stiftung, Theodor
       Heuss. Dieser habe dem Ermächtigungsgesetz der Nazis zugestimmt, sei aber
       als Bundespräsident ein Glücksfall für die Bundesrepublik Deutschland
       gewesen. Sein Ja zur Machtübernahme der Nazis von 1933 sei nicht
       auszumerzen, aber dennoch sei er für seine späteren Leistungen zu würdigen.
       
       Draußen im Regen machte sich ein ehemaliger Schüler der durch
       Missbrauchsskandale in Verruf geratenen Odenwaldschule auf den Heimweg.
       Anders als die Gäste im Schloss kann er nicht vergeben und vergessen. Denn
       der 53-Jährige ist Opfer der Übergriffe von Pädagogen an der früheren
       Reformschule geworden und protestierte mit dem Banner „Die Odenwaldschule
       lässt grüßen“ gegen die Auszeichnung. „Das ist schon eine Verletzung“,
       sagte er mit Blick auf die Ehrung des Grünen-Politikers. „Das, was er
       beschrieben hat, habe ich selbst sieben Jahr lang in der Odenwaldschule
       erlebt. Davon habe ich mich nie erholt.“
       
       20 Apr 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Cohn-Bendit-und-Kindesmissbrauch/!114644/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Giertz
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Daniel Cohn-Bendit
 (DIR) Kindesmissbrauch
 (DIR) Parteitag
 (DIR) Daniel Cohn-Bendit
 (DIR) Andreas Voßkuhle
 (DIR) taz lab 2025
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Parteitag der Grünen: Wir wollen euer Geld!
       
       Die Partei wagt ein Experiment: Sie bittet ihre eigene, gut verdienende
       Wählerschaft zur Kasse. Aber wie solidarisch ist sie?
       
 (DIR) Cohn-Bendit und Kindesmissbrauch: Der Tabubrecher
       
       Daniel Cohn-Bendit bekommt den Theodor-Heuß-Preis. Der Laudator hat seine
       Teilnahme abgesagt. Dem Grünen-Politiker wird Kindesmissbrauch vorgeworfen.
       
 (DIR) „taz“ & Cohn-Bendit auf der Buchmesse: „Ich halte Parteien nicht aus“
       
       Daniel Cohn-Bendit diskutiert im taz-Gespräch auf der Buchmesse mit dem
       Sozialpsychologen Harald Welzer Sinn und Unsinn von Parteien im 21.
       Jahrhundert.
       
 (DIR) Umstrittene Äußerungen Cohn-Bendits: Eingeholt von freieren Zeiten
       
       Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle hat seine Festrede für Daniel
       Cohn-Bendit abgesagt. Der Grund: Äußerungen zur „Sexualität zwischen
       Erwachsenen und Kindern“ von 1975.
       
 (DIR) Peter Unfried auf dem taz.lab: Antiautoritäre Kinder
       
       Der taz-Chefreporter und Experte für Schwabentum fragt sich in seinem neuen
       Buch, was er falsch macht, obwohl er seinen Nachwuchs „zeitgemäß modern“
       erzieht.