# taz.de -- Ciftlik-Prozess: Der Angeklagte ist mal eben weg
       
       > Der wegen zahlreicher Straftaten angeklagte Hamburger Ex-SPD-Sprecher
       > wird nach einem Unfall in Indien festgehalten. Das Verfahren gegen ihn
       > droht zu platzen.
       
 (IMG) Bild: Darf Indien im Moment nicht verlassen: Bülent Ciftlik.
       
       HAMBURG taz | Platzt der Prozess gegen den ehemaligen Hamburger
       SPD-Sprecher Bülent Ciftlik? Der 40-Jährige, dem Anstiftung zum Meineid,
       Urkundenfälschung und diverse andere Delikte vorgeworfen werden, wird seit
       anderthalb Monaten in Indien festgehalten. Er steht unter dem Verdacht, in
       einen Verkehrsunfall verwickelt zu sein.
       
       Da ein Strafverfahren aber nur 30 Tage unterbrochen werden darf, muss der
       Prozess eventuell ganz von vorne aufgerollt werden. Ob es soweit kommt,
       darüber will das Landgericht nun am 6. Mai entscheiden.
       
       Entscheidend ist laut Strafprozessordnung, ob der Angeklagte die
       Prozess-Unterbrechung durch eigenmächtiges Handeln verschuldet hat. „Die
       Staatsanwaltschaft ist dabei, den Sachstand zu ermitteln“, sagt
       Gerichtssprecherin Ruth Hütteroth, will sich aber „zu Details nicht
       äußern“. Die Ergebnisse der staatsanwaltschaftlichen Recherche will das
       Landgericht kommenden Montag bewerten.
       
       „Es wäre eine mittlere Katastrophe, wenn der Prozess neu aufgerollt werden
       muss“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Carsten Rinio gegenüber der
       taz. Denn das Mammut-Verfahren dauert schon seit Februar vergangenen
       Jahres. Dutzende Zeugen wurden vernommen, die inzwischen aufgehäuften
       Verfahrensakten füllen Regale.
       
       Nach Auffassung Ciftliks, den die taz in Patilia, einer etwa vier
       Autostunden von Neu Dehli entfernten nordindischen Stadt ausfindig machte,
       ist „der Prozess längst geplatzt“. Denn die Frage, ob er schuldhaft dem
       Prozess fernblieb, ist aus seiner Sicht eindeutig beantwortet. Am 28.
       Februar habe er das letzte Mal im Gerichtssaal gesessen, am 11. März sei er
       aus beruflichen Gründen für eine Woche nach Indien geflogen, in fester
       Absicht, an der am 25. März angesetzten Fortsetzung der Verhandlung wieder
       in Deutschland zu sein.
       
       Doch es kam anders: Am Abend des 13. März kam es in Patilia zu einem
       Autounfall. Ein Autofahrer gab an, im Feierabendverkehr von der Straße
       gedrängt worden zu sein, die Fahrt endete an einem Baum. Der Geschädigte
       notierte das Kennzeichen des Unfallverursachers und die Polizei ermittelte,
       dass Bülent Ciftlik und ein Bekannter in dem Fahrzeug, das sich unerlaubt
       vom Unfallort entfernt hatte, saßen.
       
       Ciftlik, der „von einem Unfall nichts bemerkt“ haben will, wurde nach
       eigenem Bekunden zum Unfallzeitpunkt von seinem Bekannten zum Hotel
       gebracht. Und obwohl dieser wie auch Ciftlik aussagten, das Ciftlik nicht
       am Steuer saß, ermittelt die Polizei auch gegen den ehemaligen
       SPD-Sprecher. Es geht um Fahrerflucht und den Verdacht, die Männer könnten
       die Plätze getauscht haben. Denn Ciftlik und sein Beifahrer sehen sich
       ähnlich, die Zeugenbeschreibung passt auf beide Autoinsassen.
       
       Am folgenden Tag musste Ciftlik seinen Reisepass bei der Polizei abgeben –
       dort liegt er noch heute. Sofort habe er, so Ciftlik, Kontakt zur deutschen
       Botschaft und seiner Anwältin Gabriele Heinecke aufgenommen, die umgehend
       die gegen Ciftlik verhandelnde Strafkammer informierte. Deren Vorsitzender
       Richter Rüdiger Göbel habe ihn sogar wenige Tage nach dem Unfall angerufen
       und angekündigt, er werde dafür sorgen, dass sofort ein
       BKA-Verbindungsbeamter in Indien Kontakt mit Ciftlik aufnehme.
       
       Obwohl das Gericht daran interessiert sein muss, die Angelegenheit zu
       beschleunigen, passierte aber erst mal nichts. Erst Mitte voriger Woche,
       über einen Monat nach dem Telefonat, habe die BKA-Verbindungsbeamtin Sch.
       zu ihm Kontakt aufgenommen. Eine Ausreise konnte aber auch sie bislang
       nicht erreichen. „Dass ich hier festgehalten werde, ist absolut nicht mein
       Verschulden“, sagt Ciftlik: „Außer man unterstellt, mein Einfluss sei so
       groß, dass ich selbst die Entscheidungen indischer Ermittler manipulieren
       kann“.
       
       Das bestätigt seine Anwältin Heinecke: „Es ist nicht verboten in einer
       dreiwöchigen Verhandlungspause zu verreisen, eine Eigenmächtigkeit liegt
       nicht vor, die Unterbrechungsfrist ist abgelaufen, das Verfahren damit
       geplatzt.“ Das aber sei überhaupt nicht im Sinn ihres Mandanten: „Eine
       Wiederaufnahme kostet ihn eine Unmenge von Zeit und Geld. Er müsste mit dem
       Klammerbeutel gepudert sein, das Verfahren in diesem späten Stadium platzen
       zu lassen.“ Auch Ciftlik betont, „überhaupt kein Interesse“ an dem
       Verfahrensabbruch zu haben.
       
       Kommenden Montag wird nun die Staatsanwaltschaft Stellung nehmen. Kann sie
       nachweisen, dass Ciftlik aus eigenem Verschulden nicht am Prozess
       teilnimmt, wird dieser in seiner Abwesenheit fortgesetzt werden.
       
       Die Recherchen der Staatsanwaltschaft aber scheinen noch nicht so weit
       gedungen, zumindest spricht einiges für Kommunikationsdefizite im Apparat.
       Denn obwohl Gabriele Heinecke dem Gericht schon vor Wochen die Situation
       detailliert schilderte, betonte Staatsanwaltssprecher Rinio jetzt gegenüber
       der taz: „Ich weiß von einem Unfall, aber nichts von einer angeblichen
       Fahrerflucht!“
       
       2 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marco Carini
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Bülent Ciftlik
       
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