# taz.de -- Die Wahrheit: „Ich muss mähen!“
       
       > Die Abhängigkeit von Gartengeräten greift gerade im Frühjahr immer weiter
       > um sich. Mit Laubbläsern werden die Opfer angefixt.
       
 (IMG) Bild: Sie sind laut, machen Wirbel und man kann damit posieren wie mit einer Waffe: Motorsägen!
       
       „Ganz ruhig, Herr Brandner, jetzt nicht überreagieren.“ Die Stimme von Frau
       Dr. Selbmann klingt sanft und doch dringt sie mühelos durch den
       ohrenbetäubenden Lärm. Der Angesprochene, ein etwas untersetzter Beamter
       mittleren Dienstes im Vorruhestand, wendet in Zeitlupe seinen Kopf. Unter
       einer Kappe mit der Aufschrift „John Deere“ starren uns seine hellblauen
       Augen gleichermaßen fassungs- wie ausdruckslos an, der Schlips krümmt sich
       auf seinem Bauch, das kurzärmelige Hemd ist durchgeschwitzt. „Aber die
       Mahd“, krächzt Herr Brandner. „Ich muss doch die Mahd einbringen.“ Herr
       Brandner umkrallt mit weißen Knöcheln den Lenker seines Aufsitzmähers und
       versucht vergeblich das Gefährt aus seiner demolierten Sitzecke
       herauszumanövrieren, während die rotierenden Klingen den Perserteppich
       zerschnetzeln. Herr Brandner hat sich in seinem Wohnzimmer festgefahren,
       doch zuvor hat er die Buchsbaumhecke sowie den Foxterrier der Nachbarn
       gemäht.
       
       Die Polizei wurde gerufen und die wiederum hat Frau Dr. Selbmann
       hinzugezogen. „Es ist gut, Herr Brandner“, spricht sie begütigend. „Sie
       müssen nicht mehr mähen. Jetzt drehen wir den Zündschlüssel um und steigen
       ganz in Ruhe ab.“ Dr. Selbmann ist Psychologin, die sich auf die Behandlung
       baumarktinduzierter Wahnvorstellungen spezialisiert hat. Herr Brandner ist
       nämlich kein Einzelfall. „Besonders schlimm ist es im Frühjahr, wenn sogar
       die Discounter professionelle Gartengeräte zu Schleuderpreisen verhökern.
       Da werden viele angefixt.“ Angezogen von der virilen Aura der knatternden
       und stinkenden Maschinen fallen die Betroffenen, in der Regel Männer
       mittleren Alters, den Sonderangeboten wehrlos zum Opfer und beginnen bald
       landwirtschaftliche Maschinen zu horten, die sie nach menschlichem Ermessen
       niemals brauchen werden. Um deren Einsatz und vor allem die Kosten der
       Anschaffung dennoch zu rechtfertigen, flüchten nicht wenige Horter
       irgendwann in Fantasiewelten: Herr Brandner etwa wähnt sich im Besitz eines
       Landguts mit ausgedehnten Weideflächen, wenngleich er das Reihenhausviertel
       einer südwestdeutschen Kleinstadt bewohnt.
       
       „Noch vor wenigen Monaten war Herr Brandner ein vollkommen
       zurechnungsfähiger Mitbürger, der sich gerade einen Laubbläser zum Reinigen
       seiner Terrasse gekauft hatte“, erklärt Selbmann, die derlei Fälle zur
       Genüge kennt. Laubbläser bezeichnet Selbmann denn auch vollkommen
       unironisch als Einstiegsdroge: „Sie sind laut, machen Wirbel und man kann
       damit posieren wie mit einer Waffe. Ein ideales Kommunikationsmittel für
       Menschen mit latenter Ich-Schwäche. Außerdem sind sie im Gegensatz etwa zu
       Motorsägen sehr leicht zu bedienen.“ Bei dem Laubbläser ist es im Fall
       Herrn Brandners offensichtlich nicht geblieben, denn seine Einliegerwohnung
       gleicht einem abgasverpesteten Geräteschuppen. Auf den ersten Blick erkenne
       ich mehrere Motorsägen, ein paar elektrische Heckenscheren und eine
       Maschine zum Spalten von Baumstämmen. Sogar einen Motorpflug und eine
       Schneefräse der skandinavischen Edelmarke „Husqvarna“ hat Brandner
       angeschafft.
       
       Der kleine Garten jedoch, zu dessen Pflege die Geräte dienen sollten, ist
       nur mehr eine von Kratern zerfurchte Mondlandschaft. In den Spuren der
       Kettenfahrzeuge steht brackiges Wasser, ein kleiner Bagger steht verloren
       herum, daneben läuft ein Hochleistungshäcksler, der schon seit Wochen kein
       Futter mehr gesehen haben mag, liegt doch sämtliches Gehölz längst
       geschreddert am Boden. Ein typisches Bild, findet Selbmann. Denn im
       dichtbesiedelten Kosmos der Wohngebiete zeitigen die motorisierten Geräte,
       ursprünglich geschaffen für den Einsatz in den menschenleeren Tundren
       städtischer Grünanlagen, verheerende Folgen. „Ich habe vormals gediegene
       Viertel gesehen, die jetzt aussehen wie Truppenübungsplätze“, erzählt sie
       und betont zugleich die gravierenden sozialen Folgen der
       Gartengeräteabhängigkeit: Ganze Familien stürzten sich in den Ruin, um mit
       den Arsenalen der Nachbarn mithalten zu können.
       
       „Wussten Sie, dass eine durchschnittliche Kleingartenanlage mittlerweile
       mehr Lärm absondert als ein Großflughafen?“, fragt die Psychologin, die
       sich auch privat für Rüstungskontrollen in Baumärkten engagiert. Mit einem
       letzten Stottern erstirbt der Motor des Aufsitzmähers, offenbar ist der
       Tank leer. Wie aus tiefer Trance erwacht Brandner und lässt sich ohne
       Gegenwehr abführen. Fast meine ich, so etwas wie Erleichterung in seinem
       Gesicht zu lesen.
       
       5 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Bartel
       
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