# taz.de -- Textilindustrie in Bangladesch: Stoff für Geschichten des Wandels
       
       > Im Hochhaus in Rana Plaza starben mehr als 1.000 Menschen. Die
       > Gewerkschaften drängen auf ein Arbeitsschutzabkommen mit den Konzernen.
       
 (IMG) Bild: Ein Soldat an der Einsturzstelle in Savar.
       
       DHAKA taz | Eine Frist bis zum 15. Mai hatten die bengalischen
       Gewerkschaften den Modefirmen gesetzt. Bis dahin sollten die Unternehmen
       dem neuen Brand- und Gebäudeschutzabkommen zustimmen, das sie mit
       Zulieferern, Regierung und Gewerkschaften in Bangladesch an einen Tisch
       bringen soll. Die Gewerkschaften erhoffen sich damit, Unglücke wie das
       eingestürzte Hochhaus Rana Plaza in einem Vorort von Dhaka zu verhindern.
       
       Am 24. April brach das Gebäude zusammen und begrub mehr als 3.500
       TextilarbeiterInnen unter seinen Trümmern. 1.127 Menschen starben, Hunderte
       wurden verletzt. „Es ist höchste Zeit, dass etwas passiert“, sagte Kalpona
       Akter von der Nichtregierungsorganisation Zentrum für Arbeitersolidarität
       noch vor wenigen Tagen in ihrem Büro, versteckt in einer Gasse im Osten der
       bengalischen Hauptstadt Dhaka.
       
       Heute ist ihr die Erleichterung anzuhören, denn fünf prominente Modelabels
       aus Europa haben zugesagt: H&M, C&A, der Zara-Mutterkonzern Inditex,
       Benetton und die britische Billigmarke Primark. Hinzu kommen aus
       Deutschland Hess Natur und Tchibo und aus den USA der Konzern PVH, der
       Marken wie Tommy Hilfiger und Calvin Klein vertreibt. Tchibo und PVH haben
       bereits einem ähnlichen früheren Papier zugestimmt.
       
       „Wir sind optimistisch, dass sich etwas ändert“, sagt Akter. Auch Amirul
       Haque, Chef eines Gewerkschaftsverbands für Textilarbeiter, sagt: „Erstmals
       ist das Bekenntnis zu mehr Sicherheit nicht freiwillig, sondern
       verpflichtend.“ Auch er kann sich vorstellen, dass sich die Bedingungen
       verändern.
       
       ## Unzählige Überstunden
       
       Die Arbeitsbedingungen in bengalischen Textilfabriken sind berüchtigt. Die
       Mindestlöhne sehen monatlich 30 und 50 Euro für ungelernte HelferInnen und
       gelernte NäherInnen vor. Die ArbeiterInnen, meist Frauen, machen unzählige
       Überstunden und verdienen dann das Doppelte.
       
       Die Arbeiterinnen aus den Fabriken im Rana Plaza berichten von monatlich
       bis zu 150 Überstunden, umgerechnet mit je 30 Cent bezahlt. Sie erzählen
       von Schikane und Zwang der Vorarbeiter und von höchstens zwei freien Tagen
       im Monat.
       
       Die schlechten Arbeitsbedingungen sind ein Grund für die Unglücke.
       Gekoppelt mit lax durchgesetzten Bau- und Brandschutzstandards kommt es zu
       Katastrophen. Das Rana Plaza war offenbar illegal errichtet worden, ein
       Umstand, der der Bauaufsicht und den eingemieteten Fabrikbesitzern entging.
       
       Viele ArbeiterInnen hatten sich am Tag des Einsturzes geweigert, das
       Gebäude zu betreten, nachdem am Vortag Risse in tragenden Säulen entdeckt
       worden waren. Die Vorarbeiter zwangen die ArbeiterInnen aber in die Fabrik.
       Hausbesitzer und Fabrikchefs sind nun in Haft. Als vor sechs Monaten rund
       120 Textilarbeiter bei einem Brand starben, war eine der Ursachen für die
       hohe Zahl an Toten, dass Vorarbeiter die Arbeiter eingeschlossen hatten.
       
       ## Keine Arbeit bei Sicherheitsmängeln
       
       Das neue Abkommen sieht unabhängige Inspektionen in Fabriken vor – darunter
       auch die Prüfung von Elektrik- und Bauplänen. Außerdem müssen die Gebäude
       in Zukunft renoviert und Mängel müssen repariert werden. Arbeiter und
       Gewerkschaften erhalten mehr Rechte.
       
       So sollen Arbeiter in Zukunft wegen Sicherheitsmängeln die Arbeit
       verweigern dürfen, ohne dafür bestraft zu werden oder Lohn einzubüßen.
       Zentral ist laut der Gewerkschaft IndustriALL, dass die Käuferfirmen die
       Kosten der Renovierung bei den Zulieferern übernehmen. Unklar ist jedoch,
       wie viel Geld die Modelabels bereitstellen.
       
       Zudem macht das Abkommen den Anspruch auf sichere Arbeitsbedingungen
       gerichtlich durchsetzbar – auch gegen die internationalen Modefirmen. Die
       Prozesse dürfen auch die örtlichen und internationale Gewerkschaften
       führen, die das Abkommen ebenfalls unterzeichnen. Damit hängt es nicht an
       den Arbeitern, ihre Rechte in langwierigen und teuren Verfahren
       durchzusetzen. Jahrelang hatten sich die Unternehmen gegen einklagbare
       Rechte gewehrt. Nun haben sie sich darauf eingelassen, und das sei die
       entscheidende Neuerung, sagen Arbeiteraktivisten.
       
       Auch die Regierung Bangladeschs versucht, den Eindruck von Tatendrang zu
       erwecken. So kündigte sie am Sonntag an, den Mindestlohn zu erhöhen.
       Zuletzt war er im Jahr 2010 gestiegen. Auch will die Regierung eine Klausel
       wieder abschaffen, die die Gründung von Gewerkschaften in Fabriken
       erheblich erschwert. Seit sieben Jahren muss die Regierung die
       Werksgewerkschaften erlauben.
       
       ## Eingeschüchtert, versetzt, entlassen
       
       Zuvor legt der Staat aber eine Liste der ArbeiterInnen, die die
       Gewerkschaft unterstützen, den Fabrikchefs vor – angeblich um zu prüfen, ob
       die ArbeiterInnen wirklich dort arbeiten. Gewerkschaftern zufolge werden
       diese ArbeiterInnen eingeschüchtert, versetzt oder entlassen.
       
       Diese Bestätigung durch die Fabrikbesitzer soll nun wegfallen. Das werde
       aber nicht viel ändern, glauben Arbeiteraktivisten. „So wird nur eine
       zusätzliche Schikane wieder abgebaut“, sagt Amirul Haque, Chef eines
       Gewerkschaftsverbands der Textilarbeiter. „Vor 2006 gab es diese Klausel
       nicht und schon damals war es schwierig, eine Gewerkschaft zu gründen.“
       Textilarbeiterin Kalpona Akter wurde gefeuert, als sie in den 1990er Jahren
       versuchte, eine Werksgewerkschaft zu gründen.
       
       15 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lalon Sander
       
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