# taz.de -- Drogen in der Leistungsgesellschaft: Das schaff´ ich doch mit Meth
       
       > Der Münchner Zoll stellte knapp 20 Kilogramm Crystal Meth sicher. Die
       > Droge ist die Verheißung auf besser, schneller, vitaler schlechthin.
       
 (IMG) Bild: Im Egotrip fühlt der Konsument sich wie Superman.
       
       Mit den Augen des getriebenen Woyzeck in Büchners Drama blicken sie uns an:
       die verpickelten Fratzen, deren Zähne von Crystal Meth zerfressen sind. Die
       Kristallsplitter haben ihre Schönheit zerstört, haben Furchen über ihre
       Stirn geschnitzt. Haben ihre Haut in fahles Grün getüncht.
       
       Fotos von Junkies aus den USA sollen die Leser von Welt und Focus und die
       „Galileo“-Zuschauer davon abhalten, die „Horrordroge“ auch nur einmal zu
       schnupfen. Denn Crystal Meth macht beim ersten Konsum abhängig, schreibt
       jedes Medium vom anderen ab. Falsch.
       
       Keine Droge macht unbedingt sofort abhängig, bestätigt die Deutsche
       Hauptstelle für Suchtfragen. Und es gibt sie tatsächlich, Menschen, die
       seit 15 Jahren Crystal konsumieren und immer noch leben. Menschen, die drei
       Jahre lang jeden Monat ein Gramm geschnupft haben, und deren Zähne noch
       intakt sind.
       
       Genauso falsch ist, dass Crystal ein Nischenphänomen sei. Eine Droge, auf
       die ein paar Heroinjunkies ausweichen, weil sie leichter zu kriegen und
       billiger ist: Ein Gramm, das verspricht 30 Stunden Highlife, gibt’s schon
       für 100 Euro, in Tschechien wird es sogar für 20 bis 30 Euro verkauft.
       Crystal Meth ist längst in allen Altersgruppen und Gesellschaftsschichten
       angekommen – vom Streber, der einen Einser in Mathe heimbringen will, bis
       zur Hausfrau, weil das Saubermachen da gleich mehr Spaß macht.
       
       ## Der Egobonus
       
       Denn schnupft man die „Horrordroge“ nur gelegentlich, wirkt sie wie ein
       Aufputschmittel mit Selbstbewusstseinsbonus. Crystal ist die Droge für den
       Egotrip: Nur ich, ich und noch mal ich. Wenn ich zuschlage, liegst du am
       Boden. Ich habe drei Stunden lang Sex. Ich tanze drei Nächte durch. Ich bin
       in der Arbeit voll auf Zack. Ich räume mein Zimmer um, ich sauge selbst
       hinterm Schrank. Ich strotze vor Energie.
       
       Die Droge enthält das synthetische Stimulans Methylamphetamin, daher der
       Name. Schnupft, raucht, spritzt man Crystal Meth oder bröselt es in den
       Tee, produziert der Körper Dopamin und Nodrenalin in hohen Mengen. Crystal
       ist recht einfach aus einem freiverkäuflichen Grippemittel herzustellen.
       Und hochwirksam.
       
       Unter dem Namen „Pervitin“ wurde es den Piloten der Deutschen Luftwaffe
       verabreicht. Denn das Zeug hielt länger wach als Kaffee, und bis zu 70
       Stunden haben Konsumenten weder Hunger noch Durst. Noch dazu war Pervitin
       billiger als Kaffee – und tötete die Angst. Crystal macht unbesiegbar,
       zumindest in der Fantasie.
       
       Kein Wunder, dass gerade heute viele Menschen das Zeug schnupfen, die am
       Wochenende durchbrennen und unter der Woche leistungsfähig sein wollen.
       Wurden 2009 in Deutschland 364 erstauffällige Konsumenten gezählt, waren es
       zwei Jahre später 1.693. Und obwohl die Zahl der Drogenkonsumenten 2012
       gesunken ist, nahmen gut 50 Prozent mehr Menschen als im Jahr zuvor
       erstmals Crystal.
       
       ## Alles unter einen Hut kriegen
       
       Crystal trifft den Nerv der Zeit. In Deutschland genauso wie in Japan,
       wohin die 20 Kilogramm geschmuggelt werden sollten, die der Zoll am
       Münchner Flughafen aufgegriffen hat. Denn es stillt das Verlangen nach
       ständiger Optimierung. Die Droge verheißt, Arbeit, Vergnügen, Kreativität,
       also all das, was heute verlangt wird, unter einen Hut zu kriegen. Wer eine
       Nacht durchtanzen will, schluckt Ecstasy. Aber wer durchhalten will, nimmt
       Crystal Meth.
       
       Crystal zerstört Menschen, die das Gefühl haben, mit ihrem Leben nicht
       klarzukommen. Denn süchtig werden meist die, die bereits zuvor an
       Depressionen oder Minderwertigkeitskomplexen gelitten haben. Kein Wunder,
       dass der Körper wie ausgelutscht ist, wenn man drei Tage und Nächte nicht
       geschlafen hat, kaum gegessen, und die Wirkung nachlässt. Wer dann den
       nächsten Kick sucht, der zerbricht an seiner Dauerhöchstleistung und trägt
       irreparable kognitive Schäden davon.
       
       Aber die Zähne fallen erst spät aus. Dann, wenn der Egotrip Gefühle wie
       Einfühlsamkeit und Freude längst abgetötet hat. Die gruseligen Fratzen sind
       der Ausdruck eines eh schon kaputten Lebens. Die Vorher-nachher-Fotos aus
       den USA schrecken Konsumenten deshalb kaum ab. Wir sollten lieber die
       Ursache des Konsums hinterfragen: Ob immer mehr gelernt und geleistet
       werden muss. Ob wir wirklich so weitermachen wollen.
       
       15 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Maria Amberger
       
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