# taz.de -- Pirat Lauer wirft hin: Von hundert auf null
       
       > Er hat sich Professionalisierung verordnet - und die Mitstreiter gegen
       > sich aufgebracht. Nun verzichtet der Promi-Pirat überraschend auf das Amt
       > als Fraktionschef.
       
 (IMG) Bild: Noch-Fraktionschef Christopher Lauer.
       
       Sein erster [1][Wikipedia-Eintrag] über sich selbst wurde wegen Irrelevanz
       gelöscht, nur vier Minuten nachdem er ihn angelegt hatte. Sieben
       autobiografische Zeilen aus dem Leben eines 22-Jährigen: „Mit 17 Jahren
       nahm er während der Schule am begabtenförderprojekt der Universität Bonn
       ’Fördern, Fordern, Forschen‘ Teil und machte im Wintersemester 2001/2002
       seinen ersten Schein im Fach Physik“, meldete Christopher Lauer in
       wackeliger Rechtschreibung über Christopher Lauer. Das war am 2. Dezember
       2006, zweieinhalb Jahre bevor er Pirat wurde. Lauer hatte gerade sein
       Studium geschmissen und arbeitete nach eigenen Angaben als „Leiter der
       Presse- und Öffentlichkeitsarbeit“ eines Literaturmagazins in Berlin.
       
       Im Wikipedia-Archiv reihen sich weitere Anläufe zur Selbsterfindung. Keine
       zwei Monate nach seinem Eintritt in die Piratenpartei im Sommer 2009 war
       aus dem PR-Mann ein „Politiker“ geworden. Er hieß jetzt David Christopher
       Georg Lauer, die Begabtenförderung der Uni Bonn hatte sich in ein
       „Hochbegabtenförderprogramm“ verwandelt. Doch auch [2][dieser Eintrag] fiel
       wegen Irrelevanz durch. Es wurde 2011, bis die Wikipedia-Gemeinde Lauer
       endlich für so wichtig erachtete wie er sich selbst. Da war er gerade auf
       dem zehnten von 15 Listenplätzen ins Berliner Landesparlament eingezogen.
       
       ## Zunehmend unbeliebt
       
       Und die Sehnsucht nach Anerkennung treibt ihn weiter. Seit einem Jahr steht
       der 28-Jährige auch an der Spitze der Berliner Abgeordnetenhausfraktion, er
       gehört zu den wenigen prominenten Piraten der Republik. Politisch
       allerdings läuft es schlecht.
       
       In einem Beliebtheitsranking Berliner Politiker landete er im Frühjahr auf
       dem vorletzten Platz. Auch die Hauptstadt-Piraten nähern sich in Umfragen
       wieder den „Sonstigen“. In der Partei war Lauer nie umstrittener als dieser
       Tage. Die Fraktion stand kürzlich sogar vor dem Bruch. Am heutigen Dienstag
       wählt sie ihren Vorstand neu. Der Co-Vorsitzende Andreas Baum kündigte nach
       heftigen internen Querelen kürzlich seinen Rückzug an, Lauer wollte – bis
       gestern – trotzdem für den Chefposten kandidieren.
       
       Warum eigentlich? Christopher Lauer richtet sich blitzartig in seinem Stuhl
       auf. „Weil ich das kann“, sagt er aufgebracht. „Und weil ich das will.“
       Übrigens sei das ja eine sehr interessante Frage. „Würde man Angela Merkel
       fragen, warum sie noch mal Bundeskanzlerin werden möchte?“
       
       Es ist der Dienstag vor der Vorstandsneuwahl. Vor ihm auf dem Tisch im
       kleinen Besprechungszimmer der Fraktion unter dem Dach des
       Abgeordnetenhauses liegt sein iPhone. Die Aufnahmefunktion ist aktiviert,
       der Pirat schneidet das Gespräch mit. Er ist nicht allein erschienen.
       „Bedingung für das Interview ist die Autorisierung der Zitate in ihrer
       Endfassung und es wird ein Mitglied der Pressestelle der Fraktion anwesend
       sein“, hatte die Pressestelle vorab per E-Mail mitgeteilt.
       
       Das „Mitglied“ ist Chris Linke, unter Piraten inzwischen besser als Lauers
       „Schwiegermutter“ bekannt. Denn ihre Tochter, ebenfalls in der
       Piratenfraktion angestellt, und Christopher Lauer sind ein Paar. Chris
       Linke hat auch schon mal als Sprecherin des Sängers Daniel Küblböck
       gearbeitet, Telefonsex-Gerüchte und Autounfälle kommentiert. Jetzt will sie
       dem Promipiraten Lauer helfen, sich ein besseres Image zu verschaffen.
       
       ## Sprechstunde in der S-Bahn
       
       Das Projekt ist zwar noch nicht bei Wikipedia eingetragen, aber in kurzer
       Zeit weit gediehen.
       
       Im Herbst 2011 war der Abgeordnete angetreten, einen neuen Politikstil zu
       prägen: transparent, lässig, unkonventionell. Eines Samstagabends zum
       Beispiel lud er per [3][Twitter zur „Bürgersprechstunde“] in die S-Bahn.
       Bierflasche in der einen Hand, iPhone in der anderen, zuckelte er durch die
       Hauptstadt, grölte Popsongs und ließ sich dabei filmen. [4][Youtube-Videos]
       zeigen den Politiker inmitten anderer Piraten – alle sind bierselig locker,
       nur einer bemüht sich, der Spaßchef zu sein: Christopher Lauer. Sogar
       Fraktionssitzungen wollte der Parlamentsneuling damals in die S-Bahn
       verlegen.
       
       Vorbei, die wilden Zeiten. Auf die S-Bahn-Sitzung angesprochen, reagiert
       der Pirat heute so pikiert, als wolle man ihn gezielt mit einer Affäre aus
       der Pubertät vorführen. Dabei sind die Jugendsünden keine zwei Jahre alt.
       Der Vorschlag, sagt Lauer abwiegelnd, sei „im Überschwang“ nach dem Einzug
       ins Abgeordnetenhaus entstanden. Und Ideen habe es damals so einige
       gegeben.
       
       Christopher Lauer hat sich Professionalisierung verordnet. Ein
       naheliegendes Projekt angesichts der Peinlichkeiten, mit der seine Partei
       seit Monaten in den Schlagzeilen ist. Und keine neue Idee. Schon 2010, in
       seiner ersten Bewerbungsrede für den Bundesvorstand der Piraten, forderte
       Lauer genau das.
       
       „Professionalisierung bedeutet nicht, dass man seinen Charakter verliert“,
       versichert der Fraktionschef. Genau das aber befürchten Mitstreiter.
       
       Christopher Lauer ist kein Diplomat, er kultiviert lieber den
       Frontalangriff. Parteiintern war er deshalb schon immer umstritten. Doch
       bei keinem anderen Piraten klaffen Binnen- und Außenbild inzwischen so weit
       auseinander wie bei ihm. Es ist irritierend, wie leicht man Weggefährten
       findet, die sich viel Zeit nehmen, um die schlechten Seiten ihres
       Parteifreundes auszuleuchten. Anonym, versteht sich.
       
       Viele Piraten fanden Lauer schon immer unerträglich, mehrfach kandidierte
       er für Führungsposten – und fiel durch. Er gilt als gnadenlos auf den
       eigenen Vorteil bedacht und sozial unkontrolliert. Bei seiner Bewerbung als
       Parteichef 2011 stellte ihn eine Piratin auf dem Podium zur Rede, weil er
       sie am Telefon angeschrien habe. Lauer ergänzte witzelnd, er schlage ja
       auch seine Frau. Und Katzen. Dann versprach er, beim nächsten Mal im
       Zweifelsfall vorher aufzulegen. Der Bundesparteitag entschied sich gegen
       ihn.
       
       ## Die Auftritte knallen
       
       Journalisten umwarben Lauer trotzdem wie den heimlichen Vorsitzenden. Er
       denkt rasant und sprunghaft, sieht mit 28 Jahren aus wie Ende dreißig. Sein
       schauspielerisches Talent – laut dem ersten, unveröffentlichten
       Wikipedia-Eintrag war er vier Jahre lang Mitglied der Jungen Bühne Bonn –
       beweist er bei jedem Parteitag. Er spricht dort nicht nur, er tritt auf.
       Und die Auftritte knallen. Christopher Lauer beherrscht, was wenige können:
       mit Worten und Gesten eine ganze Halle bannen.
       
       Der Fraktionschef ist intelligent genug, sich über das Image seiner Partei
       einige Gedanken gemacht zu haben. Was er schildert, ist eine klassische
       Lose-lose-Situation. Er sei, räumt er ein, inzwischen „durch die
       Öffentlichkeit ein Stück weit domestiziert“ und „vorsichtiger“ geworden.
       „Wenn wir heute so auftreten würden wie am Anfang, dann hieße es:
       Chaos-Truppe, Latzhosen-Pirat, Spaßpartei, unwählbar!“ Doch sobald die
       Piraten arrivierter würden, sich professionalisierten und weniger
       Angriffsflächen böten, heiße es: „Ach, jetzt haben sie ihren Anfangscharme
       verloren!“ Er findet das „ein bisschen absurd“.
       
       ## Kontrolle statt Show
       
       Das kann man allerdings auch über seine Folgerungen aus dem Dilemma sagen.
       Seit seiner [5][SMS-Attacke] gegen den damaligen Politischen
       Geschäftsführer Johannes Ponader in diesem Frühjahr („… wenn Du bis morgen
       12.00 Uhr nicht zurückgetreten bist, knallt es gewaltig“) krempelte er sein
       Kommunikationsverhalten komplett um. Es geht jetzt um Kontrolle statt Show.
       
       Er, der früher quasi rund um die Uhr bei Twitter in eigener Sache auf
       Sendung war und dort gerne auch Parteifreunde bloßstellte, nutzt die
       Plattform kaum noch. Für Interviews gibt seine Sprecherin Regeln vor, die
       selbst für die PR-Branche ungewöhnlich sind. Ihre E-Mails enthalten den
       Hinweis, alle autorisierten Zitate seien nur „in ihrer kompletten Länge“
       freigegeben. Jede Kürzung erfordere eine „erneute Freigabe“. Das verlangen
       vielleicht exzentrische Promis, aber nicht mal Bundesminister.
       
       Ausgerechnet die Pressestelle, Lauers Maschinenraum für das Projekt
       Professionalisierung, ist inzwischen selbst zum Problem geworden. Am
       Freitag vor Pfingsten überraschte Lauer seine Parlamentskollegen mit einer
       Eilpressekonferenz. Was er dort über seine Beziehung zu einer
       Fraktionsmitarbeiterin enthüllte, war längst ein offenes Geheimnis.
       
       Eines aber wussten auch gut informierte Piraten nicht: Der
       Fraktionsvorstand, dem Lauer angehört, hatte die Mutter seiner Freundin zur
       Pressechefin befördert – obwohl diese nur befristet als
       Elternzeitvertretung eingestellt ist. Für den Bereich Pressearbeit
       innerhalb der Fraktionsspitze zuständig: Lauer. Die Familienbande ist
       juristisch nicht angreifbar, für die Piraten als selbsternannte
       Antifilzpartei trotzdem ein Politikum.
       
       Am Montag nun erklärt Lauer, 24 Stunden vor der Neuwahl, nicht erneut für
       die Fraktionsspitze anzutreten. Warum genau, lässt er offen. In einem von
       der Pressestelle verbreiteten Statement ist nur die Rede davon, dass Lauer
       sich mehr auf sein „Privatleben konzentrieren“ möchte und auf seine
       Ausschussarbeit. Dann bedankt er sich noch bei seinen „Kollegen“ für die
       „gemeinsame Zusammenarbeit“. Sätze wie von der CDU-Bank.
       
       Christopher Lauer spricht inzwischen gerne über Realpolitik, erläutert
       staatsmännisch, warum eine Oppositionspartei selbst auf kleine
       parlamentarische Erfolge stolz sein dürfe. Er ist jetzt so, wie viele
       Piraten nie werden wollten. Er wirkt mit sich im Reinen.
       
       11 Jun 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Christopher_Lauer&oldid=24592636
 (DIR) [2] http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Christopher_Lauer&oldid=63814128
 (DIR) [3] http://twitter.com/Schmidtlepp/status/137984220504129536
 (DIR) [4] http://www.youtube.com/watch?v=m_jhvUSG9p4
 (DIR) [5] http://netzkind.net/2013/02/7/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Astrid Geisler
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Piratenpartei
 (DIR) Piraten
 (DIR) Christopher Lauer
 (DIR) Berlin
 (DIR) Piraten
 (DIR) Piratenpartei
 (DIR) Piratenpartei
 (DIR) Piratenpartei
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Neuer Piraten-Fraktionschef in Berlin: „Twitter ist Gossip“
       
       Alexander Spies weiß, warum ihn trotz seines Fleißes nur wenige kennen.
       Vier Fragen an den neuen Berliner Piraten-Fraktionschef.
       
 (DIR) Piraten sortieren sich: Knigge statt Sabotage
       
       Die Piraten-Fraktion wählt sich einen neuen Vorsitzenden und gibt sich nach
       jüngsten Verwürfnissen feste Verhaltensregeln.
       
 (DIR) Konfrontation bei Berliner Piratenfraktion: Von Vettern und Verrätern
       
       Ein Abgeordneter soll Informationen über das Privatleben von Christopher
       Lauer gestreut haben. Der will den Denunzianten finden und ausschließen.
       
 (DIR) Berliner Piraten-Fraktion: Lauer sehen statt hören
       
       Als in der Piratensitzung die Fetzen flogen, war Fraktionschef Lauer
       plötzlich stumm geschaltet. Nur eine „Tonpanne“, versichert die
       Landtagsfraktion.
       
 (DIR) Zwist in der Piratenpartei: Kabale und Liebe
       
       In einer Marathonsitzung rechnet die Berliner Piratenfraktion mit sich
       selbst ab. Zuvor gab es Turbulenzen um ihren Chef Christopher Lauer.