# taz.de -- Ausstellung Kurt Schwitters: Dada Daddy in England
       
       > Was Kurt Schwitters’ Emigration für seine Kunst und sein Leben bedeutete,
       > zeigt das hannoversche Sprengel Museum.
       
 (IMG) Bild: ... und dann verließen die Journalisten den Saal: Kurt Schwitters beim Vortrag der Ursonate 1944 in London.
       
       HANNOVER taz | Der Künstler Fred Uhlman war beeindruckt, als er im Oktober
       1940 das Atelier von Kurt Schwitters betrat. „Das Zimmer stank“, notierte
       Uhlman. „Ein muffiger, säuerlicher, unbeschreiblicher Gestank, der von drei
       Dada-Plastiken ausging, die er aus Haferbrei gefertigt hatte, da an Gips
       nicht heranzukommen war. Der Haferbrei hatte Schimmel entwickelt, und die
       Skulpturen waren mit grünlichem Haar und bläulichen Exkrementen einer
       unbekannten Bakterienart bedeckt.“
       
       Uhlman ließ sich dennoch von Schwitters porträtieren und zahlte Schwitters
       für das Bild fünf englische Pfund. Der eine Künstler unterstützte den
       anderen, aber Gips blieb trotzdem Mangelware: Uhlman und Schwitters waren
       interniert im Lager Hutchinson Camp auf der Isle of Man, gelegen in der
       Irischen See zwischen Irland und England.
       
       Uhlman und Schwitters waren vor den Nationalsozialisten nach England
       geflohen und wurden dort zunächst als „enemy aliens“ behandelt. Dass
       Schwitters in diesem Lager überhaupt ein Atelier hatte, lag am
       Lagerkommandanten Captain H. O. Daniel: Der mochte die Kunst und tat, was
       er konnte.
       
       Kurt Schwitters hat in den 17 Monaten seiner Internierung über 200 Werke
       geschaffen. Ein kleiner Teil davon ist derzeit in der Ausstellung
       „Schwitters in England“ zu sehen, die das hannoversche Sprengel-Museum in
       Kooperation mit der Tate Britain erarbeitet hat. Erst war die Ausstellung
       in London, nun macht sie Station in Hannover – der Stadt, in der Kurt
       Schwitters in den 1920er Jahren zu einem Protagonisten des Dadaismus und
       der abstrakten Kunst wurde, ehe die Nationalsozialisten seine Kunst als
       „entartet“ verfemten.
       
       ## Aus Abfällen wird Kunst
       
       Die Ausstellung zeigt Schwitters’ Arbeit geordnet nach den Orten, an denen
       er lebte: Nach seiner Zeit im Internierungslager ging er für drei Jahre
       nach London und schließlich für drei Jahre aufs Land in den Lake District.
       Immer schlug sich die jeweilige Umgebung in seiner Arbeit unmittelbar
       nieder: Auch in England arbeitete Schwitters mit den Abfällen des Alltags,
       arrangierte Zeitungsschnipsel, Buskarten, Stoffe, Steine, Knochen,
       Holzstücke und Fotos zu Collagen und Assemblagen.
       
       Schwitters wollte mit seiner „Merz-Kunst“ Beziehungen schaffen – und zwar
       „am liebsten zwischen allen Dingen der Welt“. Seine Werke verfolgen keinen
       vordergründigen Darstellungszweck, gleichwohl erzählen sie über die
       verwendeten Materialien von den politischen und kulturellen Konnotationen
       ihren Zeit.
       
       Außerdem erzählen sie von der Situation des Künstlers: Auffallend häufig
       verwendet Schwitters Bustickets, Briefumschläge und Paketscheine.
       Schwitters war viel unterwegs, um sich in der englischen Kunstszene zu
       etablieren. Er schrieb viele Briefe, um Kontakt zu halten zu Künstlern und
       Museumsdirektoren in anderen Ländern der Welt. Auch seiner Familie schrieb
       er Briefe, und seinem Sohn Ernst widmete er ganze Arbeiten: „for Ernst on
       16.11.43 from Dada Daddy“ ist der Titel einer der Kleinskulpturen.
       
       ## Überlebenskampf eines Künstlers
       
       Den Kampf, als Künstler in England zu überleben, thematisiert die
       Ausstellung auch anhand von Dokumenten aus dem damaligen Kunstbetrieb. Sie
       zeigt den euphorischen Dankesbrief, den er dem Kritiker Herbert Read
       schickte, nachdem dieser einige freundliche Zeilen für einen Katalog
       verfasst hatte. Sie zeigt Ausstellungsplakate und die Porträts von reichen
       Leuten, die Schwitters malte, um Geld zu verdienen oder im Tausch eine
       Zahnbehandlung zu bekommen.
       
       Schwitters’ Überlebenskampf steht nicht im Fokus der Ausstellung, im Fokus
       steht die These: Schwitters’ englische Schaffensphase hat mehr
       Aufmerksamkeit verdient, als ihr bisher zuteil wurde. Weil er seine
       Collage-Techniken vertieft, die skulpturale Arbeit verstärkt und die
       Neuauflage eines Merz-Baus in Angriff genommen hat.
       
       Die Qualitätsfragen mögen für Schwitters-Experten zentral sein, für die
       Nicht-Experten ist die interessantere Geschichte die eines Künstlers, der
       versucht, sich zu etablieren in einem neuen Land, vor dem Hintergrund des
       Krieges und mit Werken einer vergleichsweise unpopulären Kunstrichtung.
       
       ## Keine Chance für die "Ursonate"
       
       Einer der ausgestellten Texte berichtet beispielsweise, wie Schwitters in
       London seine Ursonate aufführte. BBC-Mitarbeiter sollten den Vortrag
       aufnehmen, verließen ihn aber vorzeitig. Gezeigt wird außerdem ein
       Ablehnungsschreiben der Royal Academy of Arts, ein noch nicht einmal mit
       einer Anrede versehener Standardbrief, der Schwitters wissen lässt, dass
       seine Arbeiten auf der Sommerausstellung nicht gezeigt würden.
       
       Schwitters hat diese Rückschläge in seiner Erzählung „On the Bench“
       verarbeitet, ist weiter Bus gefahren in die Innenstadt, wo die Szene war,
       und ist irgendwann aufs Land gezogen. 1948, einen Tag nachdem ihm die
       britische Staatsbürgerschaft bewilligt worden war, stirbt er 60-Jährig an
       einem Lungenödem und einer Herzmuskelentzündung. Der neue Merz-Bau, den er
       in einer Scheune bauen wollte, blieb unvollendet. Zurück blieb eine
       Reliefwand, die 17 Jahre später aus der Scheune entfernt wurde. Auch von
       ihr sind Teile in Hannover zu sehen.
       
       ## ■ Bis 25. August 2013, Sprengel Museum Hannover. Katalog (Hatje Cantz
       Verlag) 29 Euro
       
       12 Jun 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Irler
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Exil
       
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