# taz.de -- Kolumne Trends und Demut: Danke, liebe Subkultur!
       
       > Warum brauchen Hausbesetzer einen Pressesprecher? Damit der Mainstream
       > einen leichter finden kann. Mit Luxus macht Revolte eben mehr Spaß.
       
 (IMG) Bild: Vom Hausbesetzer zum Banker oder Museumskurator: In London nicht unmöglich.
       
       In einer meiner ersten Kolumnen schrieb ich über eine Hausbesetzergruppe,
       die meisten von ihnen Kunststudenten, und deren erstaunliches Maß an
       Professionalität. Damals mailten sie mir eine Presseinfo zu ihren
       Veranstaltungen. Haben nun sogar schon Hausbesetzer ihre Presseabteilung?,
       fragte ich mich sehr belustigt.
       
       Dabei ist genau das in England die ganz falsche Fragestellung! Wieso sollen
       Hausbesetzer keine PR-News versenden, wenn sie die Öffentlichkeit
       offensichtlich an ihren Kulturevents teilhaben lassen wollen?
       
       Wer sich heute als Subkultur begreift, will nicht allzu tief versteckt
       sein, damit der Geld und Ruhm bringende Mainstream einen möglichst schnell
       ausgraben kann. Das gilt in der Musik genau wie in der Kunst: Die art world
       ist spätestens seit Tony Blair nur ein anderes Wort für eine
       Kulturindustrie, die in London jährlich Millionen anzieht und Millionen
       umsetzt.
       
       Kunsttempel wie die Tate Modern sind keine Museen, sondern unternehmerische
       Institutionen. Das wissen auch Kunststudenten, die ein Haus besetzen.
       
       ## Ein junger Mann in Anzug netzwerkt, was das Zeug hält
       
       Mein damaliger Text endete in Spekulationen über mögliche Jobs, in denen
       man die gut organisierten Hausbesetzer eines Tages sehen würde. Meine
       bewusst überspitzte These: Ihr Weg wird ohnehin in eine der großen
       Vorzeigegalerien und Institutionen führen. Wirklich geglaubt daran habe ich
       allerdings nicht. Nun stehe ich rund drei Jahre später bei einer der
       wichtigsten Ausstellungseröffnungen der Stadt an der Bar, während neben mir
       ein junger Mann in Anzug netzwerkt, was das Zeug hält. Als mir klar wird,
       woher ich sein Gesicht kenne, verschlucke ich mich beinahe am Champagner.
       
       Der junge Typ, der kürzlich zum Kurator an ebendiesem international
       umschwärmten Museum gekürt wurde, war einer der Hausbesetzer, die mich
       damals durch die Etagen geführt hatten! Die schwarzen Leggins,
       Springerstiefel und den Parka hatte er gegen einen Helmut-Lang-Anzug
       getauscht und redete dermaßen stromlinienförmig, als hätte er die
       vergangenen Jahre eher auf einer Business-Uni in Genf verbracht.
       
       In der heizungslosen Villa in Mayfair, die sie besetzten, war er der
       „Pressesprecher“ der Gruppe gewesen, die perfekte Vorbereitung also auf das
       eloquente Präsentieren und Überzeugen, das er jetzt in seinem neuen
       Traumberuf braucht.
       
       ## Tennisanlage auf Sardinien
       
       Die Turbokapitalisten, gegen die er und seine Gang damals wetterten und
       deren Häuser er besetzte, waren nun plötzlich genau jene, die an diesem
       Eröffnungsabend neben ihm standen und mit ihren Gummibootlippen von ihrer
       Tennisanlage auf Sardinien erzählten.
       
       Wenn ich jetzt rübergegangen und ihn gefragt hätte, ob er sich nicht schäme
       und überhaupt, wie er seine einstigen „Ideale“ mit seinem Glas Schampus in
       der Hand vereinbaren könne, hätte er bestimmt gesagt: „Ich bin natürlich
       immer noch an Systemkritik interessiert, ich bin Kurator! Aber man muss
       doch zugeben, dass sich an der Revolte mit ein bisschen Luxus und Macht
       viel effektiver arbeiten lässt!“
       
       Das System London, das mit seinen Widersprüchen so dermaßen schlüssig in
       sich funktioniert, ist mir schlichtweg zu abstrakt. Denn natürlich würde
       dem jungen Kurator keiner seiner ehemaligen Besetzerkumpane ein zynisches
       „Verräter“ zuraunen. Sie sitzen doch sehr wahrscheinlich längst selbst in
       ähnlichen Positionen, streichen ihre Sakkos und Röcke glatt und denken:
       Danke, liebe Subkultur!
       
       20 Jun 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Grosse
       
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