# taz.de -- Kolumne Kulturbeutel: Schöner Scheißsport
       
       > Der Radsport ist tot, die Tour de France aber ist nicht totzukriegen.
       > Neues vom Buchmarkt vor der 100. Schleife durch Frankreich.
       
 (IMG) Bild: Untoter im windschnittigen Outfit: der Amerikaner Tejay Van Garderen fährt Rad.
       
       Max Witt mag nicht mehr. Er reißt sich die Startnummer vom Trikot, knüllt
       sie zusammen und wirft sie weg. Noch einmal hatte er es allen gezeigt, war
       am Mont Ventoux allen davongefahren, auch Tyler Robinson, dem scheinbar
       ewigen Triumphator, dem absolutistischen Herrscher über das Peloton.
       
       Am Chalet Reynard hat er ihn abgehängt und war auch auf der Abfahrt zum
       Etappenort in Malaucène nicht mehr einzuholen. Jetzt rast er über die
       Ziellinie, fährt einfach weiter, lässt das aufgebaute Podium links liegen
       und rast hinaus aus seiner Geschichte – der Geschichte des ersten
       Deutschen, der die Tour de France gewonnen hat, der Geschichte eines der
       größten Sportbetrüger, die Deutschland je hervorgebracht hat.
       
       Johannes Schweikle hat Max Witt in dem [1][Roman] „Ausreißversuch“ (Klöpfer
       & Meyer) eine Stimme gegeben. Mit der berichtet er über seine
       Radlerkarriere. Er packt aus, erzählt vom Radeln, vom Spritzen, vom
       Schwitzen und Lügen. Er ist kein Genie, er ist aber auch kein Depp, er ist
       nicht das personifizierte Böse, er ist ein Sportler und vor allem ein
       Mensch.
       
       Schweikle versucht schier Unmögliches in seinem Roman. Er schildert die
       Dopinghölle in den finstersten Farben und will dennoch Reklame machen für
       den Radsport, für das ehrliche Kurbeln am Berg, für den archaischen Kampf
       des tretenden Menschen gegen Wind, Wetter und Steigungen. Geht das? Kann
       man ein radsportkritisches Buch schreiben, um genau damit Menschen zu
       animieren, sich dem Radsport regelrecht hinzugeben?
       
       Schweikle versucht das, indem er Max Witt als Taumler durch eine
       manipulierte Welt beschreibt, in der schon lange nichts mehr echt ist,
       schon gar nicht die Brüste seiner Frau, die so schön stehen, seit die
       Silikonkissen unter die Warzen geschoben worden sind. Und auch der wichtige
       Mann aus dem Management des Sponsors, der Witt ermöglicht hat, dass er in
       einem Sportwagen über die Landstraßen rasen und eine Villa in der Schweiz
       beziehen kann, kommt nur durchs Leben, indem er sein Hirn mit Chemie pimpt.
       Neuro-Enhancement ist für Max Witt, auch für Schweikle, nicht anders als
       Eigenblutdoping zu bewerten. Und weil es in dieser Welt noch Menschen gibt,
       die sich nicht manipulieren, ist sie lebenswert, so wie der Radsport
       liebenswert bleibt, weil es auch da Männer gibt, die von Betrügereien
       nichts halten.
       
       Max Witts Trainer ist so einer, eine ehrliche Haut, ein guter Geist des
       Radsports. Und so wird Schweikles Buch zu einer Werbung für den Radsport,
       zur Reklame für die [2][100. Tour de France], die am Samstag auf Korsika
       gestartet wird, zu einer Hommage an ein verdammtes Rennen. So wie der
       Betrüger Witt am Ende zum Opfer wird. Seine Blutwerte sind zu hoch, obwohl
       er nichts genommen hat. Er weiß, dass man ihm, dem ins Rennen
       zurückgekehrten Doper, nicht glauben wird, und reißt aus seiner Karriere
       aus. Er radelt weiter, weil radeln einfach schön ist.
       
       ## Männer mit Furchen
       
       Eine Hommage an die Tour kann auch ganz anders aussehen. Hässlich. Der
       niederländische Zeichner Jan Cleijne malt in seiner [3][Graphic Novel]
       „Unmöglich ist kein französisches Wort“ (Covandonga) die finstersten Bilder
       aus den Anfangsjahren der Tour. Beinahe immer, wenn es ernst wird in einem
       Rennen, wird es dunkel, es regnet, Blitze schlagen in die Seiten ein.
       
       Männer mit zerfurchten Gesichtern, die nicht viel anders aussehen als die
       Mondlandschaften im Hochgebirge, durch die sich die Helden quälen,
       strampeln sich da ab. Von dem Fahrer, der seine Gabel selbst
       zusammenschweißt, dem Wahnsinnigen, der nach einem Sturz in einen 70 Meter
       tiefen Abgrund zurück auf die Straße klettert und dem Schluck Champagner,
       der jede Angst vor einer kurvigen Abfahrt nimmt, haben Tour-Fans – und für
       solche ist der Band zweifelsohne gemacht – sicher schon gelesen; so
       eindrucksvoll gezeichnet hat sie noch niemand.
       
       Für Cleijne sind es diese Geschichten aus der alten und für ihn guten Zeit,
       die der Tour ihre Existenzberechtigung geben. Der Dopingwahnsinn der jungen
       Vergangenheit, Epo und Blutransfusionen sind für ihn indiskutabel. „Wie
       soll es weitergehen?“, lässt er einen Reporter fragen. Seine Antwort: Der
       Radsport ist tot – es lebe die Tour!
       
       28 Jun 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.kloepfer-meyer.de/default.asp?Menue=32&Buch=223
 (DIR) [2] http://www.letour.com/le-tour/2013/us/
 (DIR) [3] http://www.covadonga.de/etappe3.php?k=0&s=0&id=978-3-936973-77-8&PHPSESSID=cc296eeca721ee0532921b7ac1337476
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Rüttenauer
       
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