# taz.de -- Homotaz Freundschaft: „Miss Gezi“ kämpft für seinen Park
       
       > Bei den Protesten in Istanbul wehte die Regenbogenflagge in erster Reihe.
       > Die lauteste und fröhlichste Demo war die Gay Pride der Lesben und
       > Schwulen.
       
 (IMG) Bild: Ich bin schwul, ich bin lesbisch. Ich bin hier. Wir sind hier.
       
       ISTANBUL taz | Nein, gewählt hat Boysan Yakar niemand zur „Miss Gezi“. Er
       hat sich selbst ernannt. Auf der Gay Pride am Sonntag in Istanbul gehört er
       zu den Cheerleadern, die mit Megafon die Demonstranten anfeuern. 50.000
       Leute sind gekommen; zwei Wochen nach der Räumung des Geziparks erlebt die
       Stadt die lauteste, schrillste und fröhlichste Demonstration der
       vergangenen Wochen.
       
       Es ist nicht nur die bislang größte Gay Pride in Istanbul, es ist auch die
       in jeder Hinsicht bunteste. Mit den Schwulen, Lesben, Bi- und
       Transsexuellen laufen ihre Heterofreunde. Linke sind da, Liberale,
       [1][Ultras von Besiktas]. Für viele Heteros ist es die erste Gay Pride
       ihres Lebens. Vereinzelt sieht man rote Fahnen, aber keine einzige
       türkische Nationalflagge. Das Zentrum von Istanbul gehört an diesem Tag
       ganz klar der Regenbogenflagge.
       
       Boysan Yakar ist 29 Jahre alt, stammt aus einer Offiziersfamilie und
       arbeitet als freier Publizist. Früher war er in der LGBT-Organisation
       Lambda aktiv, inzwischen hat er sich ein wenig zurückgezogen. Zur Gay Pride
       trägt er ein dunkelgrünes Kleid mit großen Bommeln und tiefem Dekolleté,
       unter dem seine behaarte Brust zum Vorschein kommt.
       
       An eine Schulter hat er eine Brosche aus Gestrüpp angeheftet, über der
       anderen hängt ein gekrümmter Ast, so breit wie ein Kinderarm. Boysan, der
       wandelnde Baum. Ursprünglich ging es im Gezipark, man hatte es fast schon
       vergessen, ja darum: um ein paar Bäume im Stadtzentrum, die einem
       Einkaufszentrum im neuosmanischen Stil weichen sollten. Zu seinem
       Baumkostüm trägt Yakar Symbole des Widerstands: Atemschutzmaske, Megafon,
       Bauarbeiterhelm, standesgemäß in Pink.
       
       Drei Stunden braucht der Zug für die anderthalb Kilometer. Drei Stunden, in
       denen Yakar keine Sekunde still ist. „Wo bist du, Liebster?“, fragt er die
       Menge mal hysterisch, mal schmachtend, dann wieder im strengen tiefen
       Tonfall. „Hier bin ich, Liebster“, schallt es zurück. Es ist eine der
       Demoparolen, die der Gezi-Protest hervorgebracht hat. Fast schon
       klischeehafter türkischer Homoslang und nicht allzu sinnvoll. Oder
       vielleicht doch: Ich bin schwul, ich bin lesbisch. Ich bin hier. Wir sind
       hier. Der Hashtag des Tages lautet denn auch: #direnayol (sehr frei
       übersetzt: „Kämpfe, Darling“).
       
       ## Lustiger und lustvoller
       
       Parolen und Chorgesänge der türkischen Homobewegung („Der Staat ist
       homophob“) wechseln sich ab mit Sprüchen der Gezi-Bewegung („Überall ist
       Taksim, überall ist Widerstand“). Ganz klar: Diese Gay Pride ist politisch
       und Teil der Gezi-Bewegung. Nur lustiger und lustvoller.
       
       Am Tünelplatz hält Yakar die Abschlussrede. Mit Mühe gelingt es ihm und
       seinen Mitstreitern, wenigstens die Umstehenden dazu zu bringen, sich aufs
       Straßenpflaster zu setzen. Die Rede ist humorloser als die Performance
       vorher, auch Yakar blickt nun mit dem grimmigen Ernst eines
       Gewerkschaftsführers. „Im Gezipark haben wir die Erfahrung gemacht, dass
       wir gemeinsam für ein Leben in Würde und eine Welt ohne Klassen und
       Ausbeutung kämpfen können“, brüllt er ins Megafon. All zu viele Menschen
       sind es nicht, die ihn hören können. Weiter unten sind die aus dem
       kurdischen Diyarbakir angereisten LGBT-Leute zu dem übergegangen, was
       kurdische Oppositionelle am liebsten auf Demos tun: Sie tanzen Halay.
       
       Nach seiner eigenen Rede hält Yakar noch türkischen und deutschen
       Politikern das Megafon. Dann ist der offizielle Teil beendet, und er fällt
       erschöpft seiner jüngeren Schwester in die Arme. Eine lange, eine
       tränenreiche Umarmung.
       
       Sie ist stolz auf ihn. Und er glücklich, dass sie dabei ist. „Für die
       türkische Homobewegung war Gezi immens wichtig“, erzählt er später. „Aber
       das war für uns nicht nur Mittel zum Zweck. Der Park war immer ein
       Treffpunkt der Istanbuler Schwulen, auch deshalb waren wir von Anfang
       dabei.“
       
       In der 14 Tage andauernden Besetzung war Yakar ständig im Gezipark. Nur zum
       Schlafen ging er nach Hause. Im Zeltdorf war das Viertel der Homos neben
       dem der Ultras und der Ecke der Kurden das lauteste.
       
       ## Homos, die vor Wasserwerfern sitzen
       
       Auch bei den Auseinandersetzungen mit der Polizei wehte oft eine
       Regenbogenfahne in vorderster Reihe. Bei der [2][Erstürmung des
       Taksimplatzes] war es eine Gruppe von Homos, die friedlich vor einem
       Wasserwerfer sitzend am längsten auf dem Platz ausharrte. An anderer Stelle
       flatterte die Regenbogenfahne inmitten einer Gruppe von Leuten, die hinter
       einer Barrikade verschanzt die Gaskartuschen zurückschleuderten.
       
       Beim Gay Pride verfolgen drei Frauen Ende 20 die Szenerie nach den Reden.
       Eine ist bi-, die beiden anderen sind heterosexuell. Aber als
       Homoaktivistinnen verstehen sie sich alle. „Man kann nicht gegen Sexismus
       kämpfen, ohne die Rechte von Schwulen und Lesben zu verteidigen“, sagt
       Ebru.
       
       Nilüfer ergänzt: „Viele Oppositionelle haben LGBT-Leute bislang für
       Menschen gehalten, die sich allein über ihre Sexualität definieren. Jetzt
       haben sie gesehen, dass zu unserer Identität auch andere Dinge gehören. Und
       sie haben gesehen: dass, wenn sich ein Mann in den Arsch ficken lässt, das
       noch lange nicht heißt, dass er nicht auf einer Barrikade kämpfen kann.“
       Doch diese Nacht ist keine der Barrikaden.
       
       5 Jul 2013
       
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