# taz.de -- Soziologin über Kirche und Beziehungen: „Familie neu erfinden“
> Die Soziologin Insa Schöningh hat ein umstrittenes Papier der
> Evangelischen Kirche zu neuen Familienformen zu verantworten. Ein
> Gespräch.
(IMG) Bild: Ist auch Familie: Schwules Paar
taz: Frau Schöningh, was ist aus Ihrer Sicht das Neue an dem
Orientierungspapier der Evangelischen Kirche (EKD) zum Thema Familien?
Insa Schöningh: Das Neue ist, dass wir alle Familienformen, in denen
Verantwortung übernommen wird, wertschätzen und das auch ausdrücken.
Ist das nun ein „Kurswechsel“, wie Ihre Kollegin in der Kommission, die
Soziologin Ute Gerhard, meint? Der Präses der EKD, Nikolaus Schneider, sagt
ja das Gegenteil.
Ich würde es eher als Weiterentwicklung bezeichnen. Bisher wurde alles
andere zwar auch akzeptiert, aber die wirklich „richtige“ Familie, die gab
es dann doch nur mit Ehe. Das sagt die Evangelische Kirche nun so nicht
mehr. Sie erkennt an, dass es auch andere Familien gibt, die nicht auf die
Ehe gegründet sind, und gleichwohl gut für betreuungsbedürftige
Familienangehörige sorgen können.
Jürgen Schmude, der ehemalige Präses des EKD, hat kritisiert, dass die Ehe
für die Protestanten nun kein Leitbild mehr sei.
Die Ehe bleibt ein Leitbild. Ehen zerbrechen nicht so schnell wie andere
Partnerschaften und das ist für Kinder zum Beispiel von Vorteil.
Aber Sie schreiben auch, dass in konfliktbeladenen Ehen die Trennung besser
sein kann als das Zusammenbleiben. Das vertreten Ihre Familienberatungen
seit jeher. Ist die EKD da einfach ehrlicher geworden?
Für mich ist es eher ein Verschieben des Fokus‘ auf die Kinder. Hinter dem
Leitbild Ehe darf das Kindeswohl nicht mehr verschwinden. Dem Kindeswohl
dient es nicht, wenn Eltern, die sehr zerstritten sind, zusammen bleiben.
Das ist wissenschaftlich eindeutig belegt. Und wir können nicht das
normative Bild der Ehe über den Menschen stellen.
Ihre Kritiker finden es theologisch etwas dünn, nun noch die letzte
Textstelle in der Bibel finden zu wollen, die etwas über Zärtlichkeit
zwischen Männern sagt, um damit die Homoehe zu legitimieren.
Das überlasse ich gern den Theologen. Aber was auch ich in der Bibel finde,
ist die Wertschätzung von Verlässlichkeit, Fürsorge und Bindung. Und diese
Werte sehen wir eben auch bei nichtehelichen Beziehungen und bei
homosexuellen Paaren.
Protestantische Familien tragen ja das Erbe Martin Luthers mit sich: eine
stark traditionelle Arbeitsteilung. Ist dieses Erbe noch zu präsent?
De fakto müssen sich alle Familien heute neu erfinden. Das traditionelle
Familienverständnis hilft uns da nicht weiter. Auch da kann man biblisch
argumentieren: Alle Menschen sind für Jesus gleich. Das nehmen wir auf und
sagen: Wir stellen uns eine partnerschaftliche Familie vor.
Es sieht so aus, als wären die Kritiker ihres Vorstoßes ältere Männer.
Verteidigen die noch ihre alten Privilegien?
Die Kritiker sind eher Männer. Die Frauen äußern sich, etwa in den
Zuschriften, sehr viel zustimmender.
Ist das ein Geschlechterkampf?
Ja, und der wird auf dem Feld der Familie ausgetragen. Das ist ja nicht
neu, das hat die Frauenbewegung schon getan.
Jetzt kommen also ein paar Feministinnen und mischen die EKD auf.
Naja, die Themen sind nun nicht gerade revolutionär. Vieles ist doch
bereits familienpolitischer Mainstream.
Welche praktischen Konsequenzen sollte die EKD nun aus diesem Papier
ziehen?
Zuerst trägt diese Veröffentlichung zur Klarheit bei: So glauben etwa viele
Alleinerziehende, sie könnten ihre Kinder nicht taufen lassen, weil sie
nicht verheiratet sind. Das ist ein Irrtum. Nun sagt die Kirche klar und
deutlich: Ihr seid willkommen. Außerdem ist sie ja in Teilen nicht als
familienfreundlicher Arbeitgeber bekannt. Kirchliche Einrichtungen könnten
Vereinbarungen abschließen, in denen Zeit für Pflege gewährt wird. Das ist
nach dem Familienpflegezeitgesetz möglich. Es wäre schön, wenn die Kirche
dabei voranginge und nicht hinterherhinkte.
11 Jul 2013
## AUTOREN
(DIR) Heide Oestreich
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