# taz.de -- Essayband zum Boxen: Mit der Wucht von fünf Tonnen
       
       > Der Machismo des Boxers hat eine Kehrseite im Masochismus. Das und noch
       > viel mehr erfährt man in Joyce Carol Oates' Buch „Über Boxen“.
       
 (IMG) Bild: Der Boxer Muhammad Ali und der Schriftsteller Norman Mailer messen ihre Kräfte im Sommer 1965.
       
       Ein heißer Tag mit hoher Luftfeuchtigkeit ist der 30. Oktober 1974 in
       Zaire. Im Stadion der Hauptstadt Kinshasa fordert Muhammad Ali, 32 Jahre
       alt, den sieben Jahre jüngeren Weltmeister im Schwergewicht, George
       Foreman, heraus.
       
       Der Kampf geht als „rumble in the jungle“ in die Sportannalen ein, dauert
       acht Runden und endet mit einem Knock-out. Wenige Sekunden vor dem Gong
       geht Foreman zu Boden, nachdem ihn Ali mit einem Jab und einer Rechten hart
       am Kopf getroffen hat.
       
       Erstaunlich daran ist nicht nur, dass der Herausforderer auf seinen Gegner
       einredet, dass er stichelt und foppt, wann immer er kann, erstaunlich ist
       vor allem die sogenannte Rope-a-dope-Taktik. Ali hängt die meiste Zeit in
       den lose gespannten Seilen, während Foreman viele Körpertreffer landet. In
       der fünften Runde zum Beispiel: Gut zweieinhalb von drei Minuten lang
       steckt Ali Leberhaken ein, dann löst er sich überraschend von den Seilen,
       geht auf Foreman los und trifft ihn einige Male am Kopf.
       
       „Ich trainiere nicht wie andere Boxer“, erklärt er 1975 in einem Interview.
       „Zum Beispiel dürfen meine Sparringspartner etwa achtzig Prozent der Zeit
       versuchen, auf mich einzuprügeln. Ich halte mich zurück und krieg ein paar
       Fausthiebe auf Kopf und Körper, und das ist gut so: Körper und Gehirn
       lernen, solche Schläge auszuhalten, schließlich wird man in jedem Kampf ein
       paar Mal richtig schwer getroffen.“
       
       ## Die Rope-a-dope-Taktik
       
       Die US-amerikanische Schriftstellerin Joyce Carol Oates versteht es
       spielend, populäre Kultur zu beschreiben und zu analysieren. 2005 widmet
       sie Muhammad Ali ein Essay, in dem sie unter anderem über die Taktik des
       Aushaltens nachdenkt. „Wie hat Ali das gemacht?“ fragt sie sich, „wie
       konnte sein Körper diesen wiederholten erbarmungslosen Schlägen
       standhalten? In der Rope-a-dope-Taktik triumphiert der nackte, zielbewusste
       Masochismus; doch ein solcher Triumph zieht unvermeidlich nicht
       wiedergutzumachende Schäden nach sich.“
       
       Oates legt dar, unter welchen Umständen er sich die Taktik aneignet. Weil
       er den Kriegsdienst in Vietnam verweigert, wird er 1967 zu fünf Jahren
       Gefängnis und zu einer Geldbuße in Höhe von 10.000 Dollar verurteilt. „Wie
       unrühmlich reagierte das weiße Amerika“, schimpft die Autorin, „wie
       schamlos rassistisch bestrafte es Ali!“ Zwar tritt er die Haftstrafe nicht
       an, doch Boxlizenz und Weltmeistertitel werden ihm entzogen.
       
       Als er 1971 endlich wieder in den Ring steigt, ist er nicht mehr so schnell
       wie in der ersten Phase seiner Laufbahn, das muss er ausgleichen. Die Zeit,
       in der sein Körper am leistungsfähigsten gewesen wäre, ist ein blinder
       Fleck in seiner Karriere. Oates zitiert Angelo Dundee, Alis Trainer, mit
       den Worten: „Wir haben Muhammad Ali nie in Bestform gesehen.“
       
       ## Dichte Beschreibung, treffsichere Analyse
       
       Das lesenswerte Essay über Ali liegt nun zusammen mit fünf weiteren Texten
       der Autorin in dem Band „Über Boxen“ auf Deutsch vor. Weil die Essays zu
       unterschiedlichen Zeiten entstanden sind und sich passagenweise thematisch
       überschneiden, hat das Buch manchmal etwas Redundantes. Vielleicht
       beschwört Oates auch einmal zu oft den archaischen, mystischen Charakter
       des Boxens. Doch das ist eine quantité négligeable angesichts der dichten
       Beschreibungen und treffsicheren Analysen.
       
       Ihre Fähigkeit, in der scheinbar ungezügelten Brutalität die Kunst und die
       Technik wahrzunehmen, ist frappierend, für sie ist das Boxen „ein Spiegel
       menschlicher Aggression“ und zugleich „das in höchstem Grade kontrollierte,
       ’spielerische‘ Ausleben dieser Aggressionen“. Diese Ambivalenz findet sich
       anderswo wieder. Der Machismo des Boxers, den Oates mit einer lustigen
       Namensliste von „The Manassa Mauler“ (Jack Dempsey) über „The Brown Bomber“
       (Joe Louis) bis „The Bronx Bull“ (Jake LaMotta) belegt, hat eine Kehrseite
       im Masochismus, im Aushalten und Einstecken der Schläge.
       
       Oates’ Argumente bauen nicht streng aufeinander auf, sie sind eher wie
       Wellen, die wieder und wieder anbranden und dabei unterschiedliche Sujets
       und Informationen anspülen. Dabei lernt man eine Menge, zum Beispiel, wie
       der gezielte Schlag eines Schwergewichtlers den Kopf seines Gegners treffen
       kann: mit der Wucht von fünf Tonnen. Dass viele Boxer aus Geldsorgen bei
       Preiskämpfen antreten, obwohl sie dazu körperlich nicht mehr in der Lage
       sind.
       
       Oder dass bis 1915 die Zahl der Runden nicht beschränkt ist; es gibt
       „Marathonkämpfe“, in denen Boxer „an die hundert Runden“ bewältigen; ein
       Kampf im Jahr 1893 dauert „betäubende sieben Stunden“. Wer untrainiert ist
       und versucht, die Fäuste auch nur zwei mal drei Minuten lang oben zu
       halten, wird verblüfft sein, wie schwer die eigenen Arme werden.
       
       ## Rassismus rund um den Ring
       
       Ein Sujet spült „Über Boxen“ wieder und wieder an: den Rassismus der
       US-amerikanischen Gesellschaft, der vor dem Feld des Sports nicht Halt
       macht. Dass es überproportional viele schwarze Boxer gibt, erklärt Oates
       mit den mangelnden Aufstiegschancen und den schlechten Lebensbedingungen
       für schwarze Jugendliche. Boxen bietet einen Ausweg. Was nicht heißt, dass
       die Welt in und rund um den Ring frei von Rassismus frei wäre, im
       Gegenteil.
       
       Aus Furcht zu verlieren, lassen sich weiße Schwergewichtsboxer zu Anfang
       des 20. Jahrhunderts erst gar nicht auf afroamerikanische Herausforderer
       ein. Als Jack Johnson 1908 gegen den Champion Tommy Burns, einen weißen
       Kanadier, antritt, findet der Kampf in Sidney statt; und währenddessen,
       schreibt Oates, hallt „die Arena von Rufen wie ’Nigger‘ und ’schwarzer
       Geck‘“ wider. Johnson gibt sich nach seinem Sieg alles andere als
       bescheiden, unter anderem wagt er es, sich in der Öffentlichkeit mit weißen
       Frauen zu zeigen, das bringt das weiße Establishment maßlos gegen ihn auf.
       
       Eine Generation später gilt Joe Louis den US-Amerikanern zwar als Held,
       weil er 1938 den Deutschen Max Schmeling besiegt. Doch peinlich genau
       achten seine Berater darauf, dass er ein bescheidenes, nüchternes Image
       pflegt, das jede Assoziation mit Johnsons Flamboyanz verhindert. Es ist
       eine besonders bittere Ironie, dass Louis, der Champion, verarmt, sich als
       Wrestler verdingt, Drogen nimmt und am Ende seines 66 Jahre währenden
       Lebens in einem Casino in Las Vegas als „greeter“ arbeitet, als Grüßaugust.
       
       8 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cristina Nord
       
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