# taz.de -- Ausstellung Jean Leppien: Das Gefühl hervorgezerrt
       
       > Der Lüneburger Künstler Jean Leppien lädt seine abstrakten Formen hoch
       > emotional auf. Zu sehen sind seine Werke derzeit in Hamburg.
       
 (IMG) Bild: Durch die Kunstströmungen geeilt: Ausschnitt aus Jean Leppiens "Pierres Steine" (1953)
       
       HAMBURG taz | Er wolle sich befreien, hatte er gesagt. Keinem Trend
       huldigen, sich nicht zum Sklaven irgendeines Systems machen. Hat er es
       geschafft? Der Maler Jean Leppien, 1991 verstorben und in Frankreich viel
       bekannter als hierzulande, hat eine Vita, die die Einordnung erschwert.
       
       Eigentlich wollte Leppien, 1910 in Lüneburg geboren, Architekt werden,
       schrieb sich 1929 am Bauhaus ein. 1930 wurde dessen Direktor entlassen,
       Leppien sah Adolf Hitler reden – und emigrierte nach Paris. Dort traf er
       seine spätere Frau Suzanne Ney, eine Jüdin, und schlug sich mit der
       Gestaltung von Buchumschlägen durch.
       
       Als Deutschland 1939 den Zweiten Weltkrieg anzettelte, nahmen die Franzosen
       alle Deutschen fest. Leppien ging zur Fremdenlegion, kam 1940 zurück. Mit
       Suzanne zog er ins nicht von der Wehrmacht besetze Südfrankreich, von wo
       aus sie 1944 nach Auschwitz deportiert wurde. Jean Leppien wurde wegen
       „Waffenhilfe für den Feind“ gefoltert und in deutsche Zuchthäuser
       geschickt.
       
       Das Paar fand sich 1945 in Paris wieder – jetzt erst begann das eigentliche
       Leben für die Kunst. Hier setzt die Hamburger Ausstellung an, die Jean
       Leppiens Neffen Helmut gewidmet ist: Der leitete von 1976 bis 1998 die
       Gemäldegalerie der Hamburger Kunsthalle und wäre jetzt 80 geworden.
       
       ## Die Idee vom Freisein
       
       Jean Leppiens Vorkriegswerke waren verloren, aber er haderte nicht lang. Er
       war froh, frei zu sein, liebte das Licht Südfrankreichs und wurde in den
       1950ern eine Art Bauhaus-Experte für die Franzosen. Der zwischen die Zeiten
       geworfene Künstler suchte Anschluss an die Kollegen zu finden und muss eine
       geradezu manische Idee vom Freisein gehabt haben, vom Suchen und
       Nicht-Verweilen. Jedenfalls ist er mit wechselndem Tempo durch die
       Kunstströmungen jener Jahre geeilt, und so liest sich auch die Hamburger
       Ausstellung: da abstrakte, liniendurchwirkte Bilder à la Manessier, dort
       Kubistisches frei nach Delaunay. Mondrian’sche Konstruktivismen neben
       Arbeiten, die an Paul Klee oder Max Ernst erinnern.
       
       Der wichtigste Theoretiker aber: Wassily Kandinsky und seine Idee, die
       Linie nicht mehr zur Begrenzung zu nutzen, sondern als Protagonistin und
       Geschichtenerzählerin. Leppien war lange mit der Witwe Kandinskys
       befreundet, übersetzte dessen Schrift „Punkt und Linie zur Fläche“ ins
       Französische. Kandinsky war es auch, der begriff, dass der Kreis
       unbegreifbar war: Selbst die „Kreiszahl“ Pi, das Verhältnis des Umfangs
       eines Kreises zu seinem Durchmesser, ist noch nie bis zur letzten
       Kommastelle ausgerechnet worden.
       
       Kandinsky erschien der Kreis als etwas Kosmisches – und dieses Faszinosum
       muss in den 1970er Jahren auch Leppien gespürt haben: Auf seinen
       „UFO-Bildern“ schwebt, wie ein Gestirn, ein farbiger Kreis über einer
       Linie, die vielleicht die Erde ist. Symbol der ewigen Bewegung? Oder des
       Stillstands?
       
       Parallel hat Leppien Predella-Bilder gemacht. Eine Predella ist ein Gemälde
       auf dem Sockel eines Altars, darüber hängt das Hauptbild. Genau so sind
       Leppiens Bilder konzipiert – nur, dass die Predella abstrakte Geometrien
       zeigt und das Hauptbild ein aufgeklebter Stofflappen ist: ein
       „Schweißtuch“, wie Leppien es nannte.
       
       ## Christliche Legende
       
       Das wiederum stammt aus einer christlichen Legende, in der die heilige
       Veronika Jesus, der sein Kreuz schleppte, ihr Tuch zum Gesicht-Abwischen
       geliehen haben soll. Warum so ein Motiv? Eine Parallele zwischen dem Mord
       am Juden Jesus und dem Holocaust, den Leppiens Frau nur knapp überlebte?
       Aber warum wird das Schweißtuch dann auf dem nächsten Bild zu einem mit
       Farbtupfern befleckten Tuch?
       
       Beim Gang durch die Hamburger Ausstellung wirken Leppiens großteils
       monochrome Bilder mit jeder Minute meditativer. Da war es nur konsequent,
       sie in die sakral wirkende Rotunde des Hauses zu hängen – und in Sichtweite
       der Mittelalter-Altäre. Genauso intensiv wirken die späten
       „Schießscharten“-Bilder: unscheinbar von oben ins Bild hineinragende
       Rechtecke, bei denen man sich ohne den Titel nicht viel gedacht hätte. So
       aber verweisen sie auf den Gefangenen, dessen einzige Freiheit das Stück
       Himmel vorm Guckloch war.
       
       Diese Bilder sind hoch explosiv und voller Emotionen, die bei leisester
       biografischer Berührung hochlodern. Die dem Betrachter keine Chance lassen,
       ins Unverbindliche zu fliehen. Leppien packt einen am Kragen und sagt:
       Abstrakte Kunst ist kein Selbstzweck. Sondern eine zeitweilig gültige Form,
       unter der man gefälligst das Sein hervorzuzerren hat. Jean Leppien hat das
       getan.
       
       ## „Jean Leppien. Vom Bauhaus zum Mittelmeer“: bis 22. September, Hamburg,
       Kunsthalle
       
       12 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Petra Schellen
       
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