# taz.de -- Die Wahrheit: Auf dem Flugfeld
       
       > Wind aus Nordost war zu hören und entferntes Bellen eines Hundes. Ich
       > staunte beim Anblick des alten, trümmerübersäten Flugfelds.
       
 (IMG) Bild: Hat alle neun Leben schon verbraucht: Katzendämon im Geisterzug.
       
       Mir fiel nichts anderes ein, deshalb begab ich mich zur Flugschule. Heute
       fragt man mich, wie ich dorthin gelangte: Durch eine Handbewegung? Mit
       einer Art Steuerrad? Hatte ich Helfer, die sich zum Beispiel an den
       Scheinwerfern meines Fahrzeugs zu schaffen machten? Oder ritt ich, elegant
       im Sattel sitzend? Kam ich mit einem dumpfen Knall an? Die Antwort lautet:
       Ich weiß es nicht mehr.
       
       Das letzte Tageslicht versickerte in der Tiefe. Wind aus Nordost war zu
       hören und entferntes Bellen eines Hundes. Ich staunte beim Anblick des
       alten, trümmerübersäten Flugfelds. Hier waren zahllose Flugschüler
       angetreten, um sich mit im Unterricht selbst gebauten Flugmaschinen in die
       Luft zu schwingen. Die Lebensdauer ihrer Versuche hatte sich jedoch als
       gering erwiesen. In der Höhe hatten sie die Ausläufer der Atmosphäre zu
       spüren bekommen und wegen des Luftwiderstands nach wenigen Minuten alle
       Geschwindigkeit eingebüßt. Wie Meteore waren sie in rasendem Sturz, noch
       bevor sie in der Luft verbrennen konnten, auf dem Feld niedergegangen. Ihre
       Form war dadurch stark beeinflusst worden.
       
       Es mutete geradezu wunderbar an, dass anscheinend nie ein Flugzeug das
       Schulgebäude getroffen hatte. Jedenfalls war es noch im ursprünglichen
       Bauzustand von 1946, wie ich erkennen konnte. Flugschulen lassen sich
       beliebig gestalten, diese hier war einstöckig und besaß keinen Glocken-
       oder Aussichtsturm. Im Vergleich mit der Blockstelle wirkte sie geradezu
       unwichtig.
       
       Wenn ich nun den Eindruck erwecken wollte, ich sei ein Gesandter der Oberen
       Flugbehörde, musste ich hingehen und mich beim Fluglehrer melden. Als ich
       mich dem Gebäude näherte, gewahrte ich mit einem beiläufigen Seitenblick in
       etwa dreißig Metern Entfernung eine Vogelscheuche auf dem Flugfeld. Mir
       war, als ob sie sich bewegte, indes blieb mir keine Zeit zur Überprüfung
       dieses Eindrucks, schon hatte ich den Eingang erreicht und klingelte.
       Zunächst geschah nichts, doch gerade rechtzeitig, bevor ich einschlafen
       konnte, wurde die Tür einen Spalt breit geöffnet. Eine, wie ich leider
       sagen muss, wenig sympathische Frau unbestimmbaren Alters sah misstrauisch
       heraus und fragte, was ich wolle. Ich stellte mich vor und sagte, dass ich
       im Auftrag meiner Behörde den Fluglehrer zu sprechen wünsche.
       
       „Der Fluglehrer ist tot“, versetzte die Frau. Einigermaßen bestürzt fragte
       ich: „Und was ist dann mit den Flugschülern und ihrer Macht? Und ihrer
       Schuld?“ – „Da müssen Sie den da fragen“, erwiderte die Frau resigniert.
       Sie zeigte auf die Vogelscheuche. „Das ist keine Vogelscheuche“, erklärte
       sie mir, „sondern ein irrer Engel.“
       
       Ein irrer Engel – das war eine Idee wie von Brahms! Trotzdem wollte ich mir
       diesen „Engel“ einmal aus der Nähe ansehen. Ich verabschiedete mich und
       ging zum Flugfeld. Die Gestalt machte nun nicht mehr den Eindruck einer
       Vogelscheuche. Sie ging langsam auf und ab wie jemand, der auf einen Bus
       wartet. Von mir nahm sie keine Notiz. Flügel hatte der falsche Engel nicht,
       und bald konnte ich hören, wie er das Kleine Einmaleins memorierte.
       
       15 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eugen Egner
       
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