# taz.de -- Schillernder Glanz: Die Doppeldeutigkeit des Scheins
       
       > Zwischen Reflexion und Täuschung: Eine Ausstellung in der
       > Kestnergesellschaft in Hannover beleuchtet die Ambivalenz des Scheins in
       > der Kunst.
       
 (IMG) Bild: Vergoldeter Einkaufswagen: Sylvie Fleury, "Ela 75K, Plumpity... Plump".
       
       HANNOVER taz | Es war eine kleine konzeptionelle Revolution in der Kunst
       und ihrer Wertschöpfung, wie Constantin Brâncusis in den 1920er-Jahren sein
       Material handhabte. Von seinem Pariser Atelier aus führte der rumänische
       Künstler die hochglänzende metallische Oberfläche in die Bildhauerei ein,
       indem er seine Bronzegüsse in langwieriger Prozedur penibel von Hand
       aufpolierte. Befreit wurden seine Skulpturen damit von jeglicher sichtbaren
       Spur handwerklicher Bearbeitung und durch ihren perfekten Glanz in die Nähe
       industrieller Produkte gerückt.
       
       Sie wurden aber auch, ihrer industriellen Anmutung eigentlich
       entgegenlaufend, zu neuzeitlichen Fetischen auratisiert, ähnlich religiösen
       Reliquiaren oder Ikonen der Kunstgeschichte mit ihrer üppigen Verwendung
       von Blattgold: eine Aufladung des Originals im Anschein seiner seriellen
       Reproduzierbarkeit.
       
       Brâncusi griff aber auch einer subtileren Wertsteigerungstechnik vor. Er
       arrangierte seine Objekte im Atelier immer wieder neu, dokumentierte die
       Ergebnisse in Fotografien, die er wiederum als autonome Werke ansah. Man
       könnte dies als frühe Form des (Eigen-)Kuratierens verstehen, auf die der
       heutige Kunstmarkt nicht mehr verzichten könnte.
       
       Ein aktueller Meister dieser Strategie ist Damien Hirst. 1988 ließ der
       Brite seine Ausstellung „Freeze“ geschickt von Kuratoren und der Presse
       „hochschreiben“: Sammler wurden aufmerksam, der Beginn seiner steilen
       Karriere. 2007 landete Hirst dann den großen Coup: Sein Platinschädel,
       besetzt mit 8.601 Diamanten, ist mit 50 Millionen britischen Pfund
       Auktionserlös das bislang teuerste Werk eines lebenden Künstlers.
       
       Von derlei Dingen, nämlich wie der „Schein“ – Oberfläche, Glanz und
       Illusion – in Artefakten auftreten und was sie auszudeuten helfen, erzählt
       derzeit eine Ausstellung in der Kestnergesellschaft in Hannover.
       Wissenschaftlich überfrachtet wird sie dabei nicht. Stattdessen vertraut
       sie auf die visuelle Kraft der Werke und reißt gesellschaftliche Fragen in
       freier Assoziation an.
       
       Von Damien Hirst ist dort nur eine goldgrundige, mit fotografierten
       Diamant-Imitaten bedruckte Tapete zu sehen, die als Rollenware übers
       Internet bezogen werden kann: Kunst-Merchandising at its best, jetzt in der
       Spielart Trash. Constantin Brâncusis Schaffen hingegen ist kunsthistorische
       und konzeptionelle Referenz auch aller weiteren Positionen. Die
       Oberflächenreflexion seiner Skulpturen etwa band diese in einen ständigen
       optischen Dialog mit der Umgebung ein, der auch die selbstverliebte
       Spieglung des Betrachters im Kunstobjekt einschloss.
       
       Dieses Moment wiederum griff die japanische Künstlerin Yayoi Kusama 1966 in
       ihrem „Narcissus Garden“ auf. Ohne zur Biennale in Venedig eingeladen
       worden zu sein, inszenierte sie sich inmitten 1.500 spiegelnder Kugeln auf
       dem Gelände. Dass sie diese für lächerliche 1.200 Lire pro Stück auch noch
       wohlfeil anbot, war unübersehbare Kritik an der Kommerzialisierung des
       Kunstbetriebs und seiner Organisation als closed shop.
       
       Brâncusi provoziert aber auch Persiflagen. Der aufblasbare „Brâncusi Tree“
       aus dünner Goldfolie des Amerikaners Paul McCarthy nimmt unsere Faszination
       am Glanz, der makellosen Oberfläche und den Glauben an das geistige Unikat
       im Kunstwerk gleich mehrfach auf die Schippe. Den Tanz ums Goldene Kalb des
       modernen Konsums perfektioniert die Französin Sylvie Fleury. Ihr
       Einkaufswagen ist ohne Inhalt, dafür aus vergoldeter Bronze und dreht sich
       lasziv auf einem verspiegelten Sockel. Gold als mittlerweile obsolete
       Sicherstellung sowie Metapher eines finanziellen Gegenwerts führt wiederum
       Thomas Demand vor: Die gestapelten Goldbarren auf seiner Fotografie sind
       nur Modelle aus Plastik, perfekt ausgeleuchtet und inszeniert.
       
       Ihren Impuls verdankt die Ausstellung übrigens einem Thema archäologischer
       Forschung, das zeitgleich im Landesmuseum Hannover gezeigt wird. Hier steht
       der 2011 geborgene „Goldschatz aus Gessel“ im Zentrum einer Präsentation
       rund um die Ausgrabungen auf der 200 Kilometer langen Trasse der
       Nordeuropäischen Erdgas-Leitung. Der sorgfältig zusammengestellte und
       versteckte Schatz, vielleicht eine kultische Deponierung, besteht fast
       ausschließlich aus straff aufgedrehten Goldspiralen. Deren Gegenwert ist
       durch das Material gedeckt, die spekulative Wertschöpfung kannte die
       Bronzezeit noch nicht.
       
       ## ■ „Der Schein. Glanz, Glamour, Illusion“: bis 3. November, Hannover,
       Kestnergesellschaft
       
       30 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Maria Brosowsky
       
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