# taz.de -- Neuer Roman „Die Sonnenposition“: Sex mit einem Schwan
       
       > Marion Poschmanns Roman „Die Sonnenposition“ zeigt, wie viel Lyrik in
       > einer Anstalt stecken kann. Die Autorin ist für den Deutschen Buchpreis
       > 2013 nominiert.
       
 (IMG) Bild: Auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2013: Marion Poschmann.
       
       In ihrem Roman „Die Sonnenposition“ fängt Marion Poschmann ein Stück Zeit
       ein: die Zeit der Mauergeneration. Dazu walkt die Lyrikerin die deutsche
       Sprache und überhaupt das ganze Deutsche gründlich durch.
       
       Wie Poschmann selbst sind die Protagonisten kurz nach dem Mauerbau geboren
       und erleben die Wende mit Anfang dreißig. Ihre Gegenwart mischt sich mit
       der Erinnerung an die Nachkriegsgegenwart der Eltern, ihr Deutschland
       erweitert sich um den Osten. Irgendwo in diesem diffusen Osten findet
       Altfried Janich, der Erzähler des Romans, eine Stelle in einer
       psychiatrischen Klinik. Die Anstalt ist in einem Barockschloss
       untergebracht, das schon als Lazarett und Unterkunft für Zwangsarbeiter
       diente, zwischendurch war es Materiallager und Chemielabor. Nun bröselt die
       Geschichte als Putz von der Wand.
       
       Die Story neben der History beginnt mit dem rätselhaften Tod eines Freundes
       namens Odilo. Odilo hatte etwas mit Mila am Laufen, der Schwester des
       Erzählers. Und der Erzähler fragt sich immer häufiger nach dem Unterschied
       zwischen sich und seinen Patienten. Aber darum geht es nur am Rande. Diesen
       Roman liest man wegen der eingeschobenen Theorie des Ortes und des Schönen,
       wegen der Tapetenkapitel, die jeweils für eine Lebensstation stehen. Man
       liest ihn wegen seiner Sprache.
       
       Die Namen zum Beispiel sind bei Poschmann nicht sprechend, sondern
       klingend: Mila und Odilo, Isidor und Sidonia, Eleonore Leonberger; die
       Mutter von Altfried heißt Hiltrud. Eine Spielerei? Vielleicht. Die Themen
       sind dafür umso ernster. Für sich genommen können sie kaum mehr als Prosa
       durchgehen. Dieser Roman ist ein Gedicht über Licht und Zeit, unterlegt mit
       Gegenwart.
       
       ## Erleuchtete Wortkombinationen
       
       Das Licht findet sich in Wortkombinationen wie „Sonnenbrocken,
       Barocksonnen“, „einäugige Glühbirne“ oder „Lichtkapuze der Tankstelle“.
       Odilo beschäftigt sich zudem beruflich mit Biolumineszenzen, mit natürlich
       schimmernden Quallen und künstlich leuchtenden Mäusen. Grüne Mäuse sehen
       auch die Patienten. Als Arzt möchte Altfried ihnen eine Sonne sein,
       Orientierung bieten, Licht in ihren Alltag und ihr Unbewusstes bringen. Der
       Tod des Freundes konfrontiert den Arzt dann mit den Schattenseiten des
       eigenen Lebens. Ein „Grundgefühl des Abseits“ verbindet ihn mit Odilo,
       durch den der Riss der Welt „persönlich“ hindurchgeht. Nur ein einziges Mal
       wird erwähnt, dass Altfried lieber ein Mädchen gewesen wäre.
       
       Auch in seiner Freizeit interessiert sich der Psychiater für das Abwesende,
       für die Leerstellen des Lebens. Er jagt Erlkönige: getarnte Automodelle der
       kommenden Saison, die in nebligen Nächten Probe fahren. Ein anderes
       Beispiel für die hintergründige Mythologie dieses Textes wäre ein
       Geschlechtsakt zwischen Mila und Odilo, den die Autorin mit Vokabeln aus
       der Vogelwelt beschreibt. So wirkt es, als hätte Mila Sex mit einem Schwan.
       
       Die meisten Gestalten in „Sonnenposition“ sind „Mischwesen“. Als Kind
       albträumt Mila von einer Puppe, welche die Identität wechselt, später
       kleidet die Modedesignerin ihre Models in Tiermasken. Und wenn Odilo die
       Schweinemänner und Hundsdrachen eines gotischen Doms betrachtet, fühlt er
       sich selbst aus „fragwürdigen“ Teilen zusammengesetzt.
       
       Nur die Patienten scheinen mehrere Leben gleichzeitig zu leben. Dank der
       Nebenwirkungen ihrer Medikamente wandeln sie zudem in einer Art
       „Zeitenthobenheit“. Immer wieder sucht der Erzähler nach Bildern für die
       Zeit. Touristen halten an der Ostsee nach Bernstein Ausschau und finden
       golden gestauchte Zeit. An Weihnachten isst Altfried Aachener Printen und
       schmeckt gespeicherte Vergangenheit, schmeckt die Geschichte der
       Seidenstraße.
       
       Schließlich vergleicht er Europa mit einer Kugel, von der man immer nur die
       Hälfte sieht. So überlagert sich das Bild der Geschichte mit dem eines
       Planeten, und damit auch mit dem des rotierenden Protagonisten. Bei allen
       bleibt ein Teil im Dunkeln. Die Last der Vergangenheit spüren die Figuren
       immer wieder. Jetzt heißt es: „Ich bin die Last.“ Der Mensch ist die
       Geschichte. Ein „Ich bin das Licht“ scheint noch nicht in Sicht, trotz
       Altfrieds Versuchen, Sonne zu sein. Mit solchen anspielungsreichen
       Metaphern beschenkt Poschmann nicht nur Germanisten, sondern auch die
       Gegenwart. Denn dank „Sonnenposition“ erkennt der Leser, wie viel Lyrik in
       der Welt stecken kann. Sogar in Deutschland.
       
       6 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Catarina von Wedemeyer
       
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