# taz.de -- Milizen in Libyen: Kurz-Kidnapping des Premiers
       
       > Ali Seidan soll die Verhaftung eines Al-Qaida-Mitglieds genehmigt haben.
       > Deshalb wurde der libysche Ministerpräsident für einige Stunden entführt.
       
 (IMG) Bild: Aus einem Hotel in Tripolis entführt: Regierungschef Ali Seidan.
       
       BERLIN taz | Um halb vier Uhr morgens rissen plötzlich Männer in Zivil die
       Tür zur Lobby des Luxushotels Corinthia auf. Während schwer bewaffnete
       Uniformierte das weitläufige Areal am Rande der Altstadt von Tripolis
       umstellten, forderten die Unbekannten unwirsch von dem Rezeptionisten die
       Zimmernummer von Premierminister Ali Seidan.
       
       Was dann geschah, verbreitete sich in Form von Handyvideos wie ein
       Lauffeuer in den sozialen Netzwerken Libyens. Mit stoischen Blick und im
       offenen Hemd wurde der Chef der Übergangsregierung zu bereitstehenden Autos
       geführt, die mit ihm und seinen Leibwächtern in der Nacht verschwanden. Die
       Sicherheitsleute des Hotels schauten verdattert zu.
       
       „Der aus dem Bett geholte Premierminister in der Hand von selbst ernannten
       Ordnungshütern. Ein symbolischeres Bild für die Rechtlosigkeit im
       nachrevolutionären Libyen hätte es wohl nicht geben können“, kommentierte
       ein Geschäftsmann aus Jordanien die Bilder.
       
       Die Aktion der Milizen war offensichtlich gut vorbereitet. Schon kurz vor
       dem unblutigen Angriff auf das Corinthia stürmten Bewaffnete das Rixos, das
       zweite große Luxushotel in Libyens Hauptstadt. Es liegt neben dem
       provisorischen Parlament Libyens, wo der Nationalkongress tagt. Viele
       Abgeordnete übernachten daher im Rixos. Dort wurden Finanzminister Alkilani
       Abdel-Kareem und drei liberale Abgeordnete aus dem Schlaf gerissen und von
       Milizionären mitgenommen.
       
       Die offiziell auftretenden Entführer im Corinthia hatten Papiere des
       Innenministeriums und angeblich einen Haftbefehl des Generalstaatsanwaltes
       bei sich. Darin wurden Minsterpräsident Seidan illegale Handlungen gegen
       die Interessen des Staates vorgeworfen. Gemeint war die Verhaftung des
       Al-Qaida-Kommandeurs Abu Anas al-Libi. Der ehemalige Vertraute von Osama
       bin Laden war vier Tage zuvor auf ein US-Kriegsschiff geflogen worden.
       Diese Aktion war offensichtlich von der libyschen Regierung genehmigt
       worden.
       
       ## Weitere Taten angekündigt
       
       Auf seiner Facebook-Seite bekannte sich ein „Kommandoraum der Revolutionäre
       Libyens“ am Donnerstagmorgen zu der Entführung von Seidan. Das Kommando
       kündigte weitere Taten an. Die Regierung sei korrupt und würde mit dem
       US-Militär zusammenarbeiten. Zudem wolle man sämtliche Ausländer „auf nicht
       offizielle Weise“ aus dem Land vertreiben – als Reaktion auf die
       Verschleppung von Abu Anas al-Libi durch US-Spezialeinheiten.
       
       Die Ehefrau von al-Libi behauptete gegenüber libyschen Journalisten, ihr
       Mann habe vor der US-Kommandoaktion bereits mit der libyschen Regierung
       über ein Verfahren gegen ihn in Libyen verhandelt. „Sie haben ihn dann an
       die Amerikaner verraten.“ Seidan bestreitet das allerdings. Er hatte sich
       sogar noch Stunden vor der Entführung mit der Familie von al-Libi
       getroffen. Offiziell fordert Seidans Justizminister sogar die Auslieferung.
       
       Das Bild des eingeschüchtert dreinschauenden Regierungschefs war aber dann
       doch eine Demütigung zu viel. Nach dem empörten Aufschrei der
       Öffentlichkeit stellten Revolutionäre aus dem Stadtteil Suq al-Juma den
       Entführern ein Ultimatum. Sie befreiten Seidan schließlich nach wenigen
       Stunden aus der Anti-Verbrechens-Abteilung des Innenministeriums, wo er
       festgehalten worden war.
       
       ## Das erste Mal siegreich gegen Milizen
       
       Nach Angaben des Chefs des Obersten Sicherheitsrates Hashim Bishar, der die
       Befreiung leitete, wurden Seidan und seine Leibwächter von den Entführern
       gut behandelt. Als Seidan begleitet von Soldaten der libyschen Armee in
       sein Büro zurückkehrte, brandete unter seinen Mitarbeitern Applaus auf. „Es
       ist das erste Mal, dass wir gegen diese Milizen nicht verloren haben“,
       postete ein Mitarbeiter Seidans.
       
       Seidan steht seit Ende 2012 an der Spitze der libyschen Regierung. Zwei
       Jahre nach dem Sturz von Muammar Gaddafi tobt in Libyen ein Machtkampf
       zwischen liberalen und islamistischen Milizen. Während Muslimbrüder und
       Islamisten von Misrata aus agieren, werden die liberalen Kräfte von
       Einheiten aus dem Zintan in den Nafusa-Bergen geschützt.
       
       Der liberale Ali Seidan versucht den Einfluss rivalisierender
       Stammesmilizen und radikaler Islamisten einzudämmen, indem er ihre Milizen
       zum Teil Armee und Polizei unterstellte. Diese Politik ist nun wohl
       endgültig gescheitert. Aktivisten fordern schon seit Langem, dass ehemalige
       Revolutionäre nur individuell und nicht als geschlossene Einheiten in Armee
       und Polizei aufgenommen werden.
       
       10 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mirco Keilberth
       
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