# taz.de -- Die Wahrheit: Apokalyptisch schnarchender Reiter
       
       > Früher galten Schlafwandler als heilige Geschöpfe. In Wahrheit handelt es
       > sich beim Mondsüchtigen meistens um einen harmlosen Tropf.
       
 (IMG) Bild: Die närrische Pferdeliebe hat den Wandel der Zeiten eigenartigerweise überdauert.
       
       Früher einmal, zu einer Zeit, da unsere romantischen Dichter die Wälder mit
       Elfen, Trollen und Zauberwichteln bevölkerten und einen zuckrigen
       Mittelalterkleister über Stadt und Land ausgossen – früher einmal galten
       Schlafwandler als geradezu heilige Geschöpfe, die, ausgestattet mit einer
       paranormalen Sensibilität, während der nächtlichen Entrückung mit der
       Geisterwelt in Kontakt standen: Hörte man sein Eheweib gegen vier Uhr früh
       somnambul durch die Wohnung schlurfen, hielt man dies für eine formidable
       Gelegenheit, mit ihrer Hilfe einen Blick ins Nirwana zu werfen oder
       Verbindung zu Onkel Anton selig aufzunehmen und ihn zu fragen, wo in drei
       Teufels Namen er den Familienschatz vergraben habe, von dem er zu Lebzeiten
       immer gefaselt hatte.
       
       In Wahrheit jedoch handelt es sich beim Mondsüchtigen meistens um einen
       harmlosen Tropf, der sich mit halbgeschlossenen Augen im Bett aufrichtet,
       drei Schritte durchs Zimmer macht und sich mit den Worten: „Höret die
       Botschaft der Käsemauken!“ wieder hinlegt, ohne dem Ruf der Mauken zu
       folgen oder sonst wie Spektakel zu machen.
       
       Versteht sich freilich, dass einer wie Raimund ganz und gar nicht zu dieser
       harmlosen Sorte gehört. Einmal sollte ich ihn ein paar Wochen lang
       beherbergen, weil seine Bleibe wegen eines Wasserrohrbruchs unbewohnbar
       geworden war. Schon in der ersten Nacht wurde ich von einem eigenartigen
       Rumpeln und Rumoren geweckt, da seinem lunatischen Zwillings-Ich
       offenkundig die alphabetische Ordnung meiner Bücher missfiel und er sie der
       Größe nach umsortierte, was dem Regal das gar nicht mal unschicke Aussehen
       einer Orgel verlieh. Weit weniger niedlich war es da, dass er ein paar
       Nächte später zu meinem CD-Player wandelte und Wagners „Walkürenritt“ in
       einer so ohrenbetäubenden Lautstärke abspielte, dass draußen die
       Autoalarmanlagen anschlugen und die Nachbarn befürchteten, dass gleich eine
       Hubschrauberstaffel das Haus beschießen würde. Als er schließlich den
       Küchenfußboden mit Olivenöl schrubbte und ich mir morgens auf dem Weg zum
       Wasserkocher fast das Genick brach, war meine Geduld erschöpft, und so bat
       ich ihn, noch ächzend am Boden liegend und vorsichtig meine Knochen
       sortierend, seine Siebensachen zu packen und die restliche Zeit zu Theo zu
       ziehen.
       
       Auch Theo wies ihm allerdings schon nach wenigen Nächten die Tür – genauso
       wie Carlo, Alfons oder auch Mathilda, bei der er tief in der Nacht wie ein
       schnarchender apokalyptischer Reiter durchs Wohnzimmer preschte, ein langes
       Fleischmesser über dem Kopf kreisen ließ und, ein befriedigtes Brummen
       absondernd, die Orchideen auf der Fensterbank köpfte.
       
       So wechselte er in den nächsten Wochen noch häufig das Quartier, bis der
       Wasserschaden in seiner Wohnung endlich beseitigt war und er des Nachts
       wieder in Wanderstiefeln auf den Kleiderschrank klettern oder eine moderne
       Adaption der Höhlenmalereien von Lascaux mit Schuhcreme auf die Flurtapete
       bannen durfte, ohne sich dafür von verständnislosen Freunden anmeckern
       lassen zu müssen.
       
       14 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Joachim Schulz
       
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