# taz.de -- Kolumne Halleluja: Gerade sind leider die Handwerker da
       
       > Warum ihn der Alte nach Berlin geschickt hatte, wusste nur er. Jedenfalls
       > war es Jesu Job, die Kirche vom bevorstehenden Jüngsten Gericht in
       > Kenntnis zu setzen.
       
 (IMG) Bild: Aufwachen, bimmelimm: Der Herr Jesus ist da!
       
       Jesus schlug die Beine übereinander und strich sich durchs schulterlange
       schwarze Haar. Eine geschlagene Stunde wartete er nun schon auf den
       Kardinal. Er blätterte durch die Zeitschriften auf dem gläsernen
       Beistelltisch. Das katholische Magazin Theo propagierte eine heidnische
       Ernährungslehre: „Auch Hildegard von Bingen und der heilige Benedikt haben
       ’ayurvedisch‘ gelebt, glücklich und ausgewogen.“ Jesus verdrehte die Augen.
       
       Warum ihn der Alte ausgerechnet nach Berlin geschickt hatte, wusste mal
       wieder nur er. Oder auch nicht. Jedenfalls war es jetzt Jesu Job, die
       Kirche vom nach immerhin 2.000 Jahren nun doch unmittelbar bevorstehenden
       Jüngsten Gericht in Kenntnis zu setzen. Und jetzt hatte der Kardinal keine
       Zeit für eine kurze Audienz im Dachgeschoss. „Der Herr Jesus sitzt hier“,
       hatte die Büroleiterin gedehnt in den Hörer gesprochen und ihn über den
       Rand ihrer Lesebrille hinweg fixiert. Egal. Dass ihn die meisten Menschen
       nicht für voll nahmen, kannte er vom letzten Mal.
       
       ## "Wir sind Zeugen"
       
       Auf dem Weg in den Soldiner Kiez hatte er im Vorbeigehen zwei Alkoholiker
       und einen Spielsüchtigen geheilt, mehr war nicht drin. Und jetzt, kurz vor
       Schluss, galt es keine größere Aufmerksamkeit zu erregen. Der Kardinal
       sollte Alarm schlagen, das war laut Protokoll sein Job. Allein, Monsignore
       ließ sich bitten. Jesu Blick blieb zum wiederholten Mal am Wappen neben dem
       Franziskus-Porträt hängen. „Nos sumus testes“, stand auf dem Spruchband im
       unteren Teil, „wir sind Zeugen“. Jesus seufzte und stand auf.
       
       Die Toilette war in schwarzem Schiefer gehalten. Alles sehr sauber. Als
       Jesus ins Wartezimmer zurückkam, saß auf dem Ledersofa ein junger Mann in
       Soutane, der sofort das Wort an ihn richtete. „Ich will gar nicht wissen,
       wer Sie geschickt hat“ – er sprach leise, aber eindringlich und mit
       osteuropäischem Akzent – „aber es gibt hier keinen Skandal. Der Kardinal
       bewohnt fünf Zimmer, es gibt einen Andachtsraum, keine Kapelle, alles
       wertig saniert, kein Luxus. Das können Sie bei Ihren Kollegen nachlesen.“
       
       Jesus verstand nichts. Was für Kollegen? „Mein Vater schickt mich, mit dem
       Kardinal zu reden“, hob er an, aber der Soutanenträger schnitt ihm das Wort
       ab. „Lassen Sie doch Ihren Vater aus dem Spiel! Ich weiß, Sie suchen eine
       Story. Aber wir sind fromme Menschen. Der Kardinal fährt gerne Fahrrad.
       Außerdem bevorzugt er Duschbäder.“
       
       Was war hier eigentlich los? Hatte ihm der Alte einen Streich gespielt?
       Jesus unternahm einen letzten Versuch: „Bitte lassen Sie mich zum Kardinal.
       Es geht um Leben und Tod.“ – „Leben und Tod“, ätzte der junge Mann, „um die
       Auflage geht es Ihnen.“ Er erhob sich brüsk. „Sie können nicht hoch.
       Außerdem sind gerade die Handwerker da.“
       
       Den letzten Satz schien der Adlatus sofort zu bereuen. „Wiedersehen, Herr
       …“, murmelte er und verschwand im Büroflur. Jesus war fassungslos.
       „Nirgends hat ein Prophet so wenig Ansehen wie in seiner Familie“, dachte
       er, nickte der Sekretärin zu und ging. Dann hatte er ja etwas Zeit fürs
       Touriprogramm. Im Imbiss an der Ecke bestellte er eine große Portion
       Schawarma.
       
       20 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Claudius Prößer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kirche
       
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