# taz.de -- Klangkunst von Werner Cee im Radio: Durch GEZ ins künstliche Paradies
       
       > In dem Zeitalter „Anthropozän“ formt der Mensch die Natur. SWR 2 und
       > DKultur machen das hörbar. Gut, dass die Öffentlich-Rechtlichen auch
       > dafür Platz haben.
       
 (IMG) Bild: Der verlassene Salton Sea in Kalifornien ist eine Mischung aus Paradies und Apokalypse, ein Ort des Anthropozän.
       
       Im Radio steht die Quote an erster Stelle, direkt danach kommen
       Kostenüberlegungen. Kein Wunder, dass der künstlerische Anspruch dabei auf
       der Strecke bleibt. Über den definiert sich etwa die Sound Art als genuine
       Radiokunst. Sie ist selten und versteckt im Hörfunkprogramm ein paar
       weniger Kulturwellen von ARD und Deutschlandradio zu finden.
       
       Klangkunstredaktionen von SWR 2 und DKultur haben trotz der widrigen
       Umstände das grandiose opus magnum des Komponisten, Soundartisten und
       Musikers Werner Cee produziert: „[1][Das Anthropozän]“. So hat der
       Atmosphärenforscher Paul Crutzen unsere aktuelle, menschengemachte
       Klimaperiode benannt, die mit der Industrialisierung einsetzte.
       Hauptkennzeichen: drastischer Anstieg des CO2-Gehalts der Atmosphäre.
       
       Angelehnt an den radikalen Wechsel im Verhältnis von Natur und Kultur hat
       Werner Cee drei in sich geschlossenene Stücke komponiert: „Fires of the
       Earth“ (SWR/Schwedisches Radio Stockholm 2012), „Dry Haze“ (DKultur 2013)
       und „The Accidental Paradise“ (SWR/DKultur/Goethe-Institut 2013). Es sind
       50-minütige Hörtafeln, die als akustische Entsprechung eines dreiteiligen
       Gemäldes, Triptychon, angelegt sind.
       
       Sie bieten jeweils einen eigenständigen Blick auf den wechselseitigen
       Einfluss von Mensch und Atmosphäre. Cee liefert die elektronischen Sounds
       und spielt das Instrument e-chin. Er hat [2][eine Website eingerichtet],
       auf der multimediales Info- und Produktionsmaterial veröffentlicht ist.
       
       ## Song und Gedicht über Vulkanausbruch
       
       „Fires of the Earth“ dient als Textgrundlage für Keneva Kunz' englische
       Übersetzung von Jón Steingrímssons Augenzeugenbericht zum Ausbruch des
       Vulkans Laki 1783. Der lutherische Pfarrer auf Island fokussiert lokale
       Auswirkungen des Vulkkanausbruchs. Lava, Nebel und Schwefelgestank sind für
       ihn göttliche Zeichen, passiv hingenommen und notiert. Den Text
       interpretiert der schwedische Rocksänger Freddie Wadling als Song und
       Gedicht.
       
       Cee hat hierfür eine Art jazzigen Heavy Metal komponiert, dazu lassen harte
       Bässe die Lautsprechermembranen dröhnen. Cee verwendet aber auch leise aus
       den Boxen gluckernde Fieldrecordings, setzt elektronische Sounds ein und
       zeigt Mut zur Stille. „Das Anthropozän“ startet in der Nacht von Donnerstag
       auf Freitag um 0.05 Uhr mit „Fires of the Earth“ auf DKultur.
       
       ## Künstliche Molekülwolken stoppen die Erderwärmung
       
       Global wird die Perspektive eine Woche später in der düster sanften
       Ursendung „Dry Haze – Jahr ohne Sommer“. Die Folksängerinnen Rachel und
       Becky Unthank vertonen mit ihren zarten aber starken Stimmen das Gedicht
       „Darkness“ von Lord Byron – postapokalyptische, anti-biblische Lyrik von
       1816.
       
       Weite Teile Nordeuropas waren damals durch trockenen Staub eines
       Vulkanausbruchs verdunkelt. Wie künstliche Molekülwolken die Erderwärmung
       stoppen und das Wetter beherrschen können, erforscht das Geoengineering.
       Der aktuelle Forschungszweig wird von Cee weitergedacht, in Zwischentexten,
       die Neville Tranter spricht.
       
       Bei der Umsetzung von „The Accidental Paradise“ ist der SWR federführend.
       Die abschließende 'Hörtafel' setzt auf die Hybridisierung von
       elektronischen Sounds mit Fieldrecordings. Sie stammen von der
       kalifornischen Salton Sea, einer künstlich entstandenen, natürlich
       gefluteten Senke. Bizarre Strände und mitten in der Salzlake gedeiht eine
       wilde Fischart. Für sie ist der See zweifellos ein künstliches Paradies.
       
       Auch der Hörer findet sich in einem künstlichen Paradies wieder. Zum einen
       bezogen auf die Umsetzung aller drei Teile. Aber auch, weil Werner Cee die
       Künstlichkeit der Aufführungssituation aufzeigt und den Anklängen
       akustischer Illusionen immer wieder mit deren Brechung begegnet.
       
       Der Radiohörer lauscht keinen Stimmen in seinem Kopf und keinen sphärischen
       Klängen im Äther. Da stehen nur Lautsprecher in einem Raum. Und noch dazu
       ist der Eintritt schon bezahlt: Mit den Rundfunkbeiträgen, die hier wohl so
       sinnvoll wie selten eingesetzt werden.
       
       7 Nov 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/klangkunst/2309465/
 (DIR) [2] http://www.theanthropocene.de/#Home
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rafik Will
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Deutschlandradio
 (DIR) SWR
 (DIR) Anthropozän
 (DIR) Anthropozän
 (DIR) München
 (DIR) ZDF
 (DIR) Anthropozän
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Neue geologische Epoche: Verflixtes Anthropozän
       
       Eine internationale Forschergruppe will seit letztem Jahr ein neues
       Erdzeitalter, das Anthropozän, ausrufen. Bei der Umsetzung hakt es jedoch.
       
 (DIR) Ausstellung im Deutschen Museum: „Auf Wiedersehen im Anthropozän“
       
       Eine Kernfrage der Anthropozän-Ausstellung ist: Wird es dem Menschen
       gelingen, sich vom Parasiten der Erde zu dessen Symbionten zu verwandeln?
       
 (DIR) Öffentlich-rechtliche Sender: Geldsegen in Millionenhöhe
       
       Der neue Rundfunkbeitrag bringt ARD und ZDF eine halbe Milliarde Euro mehr.
       Das Geld könnte an die Beitragszahler zurückgegeben werden.
       
 (DIR) Geräuschkunst: Roboter spielen Rock
       
       Im Haus der Kulturen der Welt läuft derzeit das Themenwochenende
       „Unmenschliche Musik“. Den Besucher erwartet sehr viel Spaß und genialer
       Quatsch.
       
 (DIR) SCHRÄGES BERLIN: Nichts für die Ewigkeit
       
       Seit einigen Tagen hängt ein meiner Straße ein Schild: „Ab hier Leben
       verboten“. Sehr wahrscheinlich handelt es sich hierbei um eine Aktion der
       Gentrifizierungsgegner.
       
 (DIR) Konferenz zum Anthropozän: Das Zeitalter des Menschen
       
       Nicht mehr die Natur verändert die Erde, sondern der Mensch. Beim Auftakt
       des zweijährigen Anthopozän-Projekts gab es viel Kunst – und wenig Politik.