# taz.de -- Die Wahrheit: Das Leben Londoner Sklaven
       
       > Nicht nur für die Boulevardpresse war es ein gefundenes Fressen, als die
       > angeblichen Sklaven in der britischen Hauptstadt entdeckt wurden.
       
 (IMG) Bild: Druckbetankung: Wer braucht schon Gläser?
       
       Die Gelegenheit für eine Schlagzeile war einfach zu verlockend, als dass
       die Zeitungen sie hätten verstreichen lassen. „Sklaven in London“ – so oder
       ähnlich titelten Spiegel, Süddeutsche, Bild, B.Z. und auch die taz, und die
       englischen Blätter sowieso. 30 Jahre lang sollen der 73-jährige Aravindan
       Balakrishnan und seine 67-jährige Frau Chanda drei Frauen als Leibeigene
       gehalten haben, das Ehepaar wurde von der Polizei festgenommen. Als dann
       noch bekannt wurde, dass eine der Frauen das Kind von Balakrishnan und der
       57-jährigen nordirischen „Sklavin“ Josephine Herivel ist, kam auch noch
       eine Sexkomponente hinzu, was bei Boulevardblättern den Speichelfluss
       anregt.
       
       Die Wahrheit sieht etwas anders aus. Die Balakrishnans, Immigranten aus
       Malaysia, wurden nach zwei Tagen wieder freigelassen, was bei schwerer
       Sklaverei ungewöhnlich wäre. Ob es überhaupt zu einer Anklage kommt, ist
       zweifelhaft. Erstens wurde das Gesetz gegen häusliche Sklaverei erst vor
       drei Jahren verabschiedet, und zweitens haben die Balakrishnans offenbar
       nie Gewalt angewendet.
       
       Es handelt es sich in diesem Fall um Gehirnwäsche. Das ist bei Sekten nicht
       ungewöhnlich, man denke an Schweinotologen oder Backwahns. Die Sekte der
       Balakrishnans war jedoch nicht religiöser Art, obwohl „Genosse Bala“, wie
       er sich nannte, den Leuten weismachen wollte, er sei eine Art Jesus
       Christus, allerdings ein maoistischer.
       
       Genosse Bala und Genossin Chanda waren in den Siebzigerjahren aus der
       „Communist Party of England (Marxist-Leninist)“ wegen „verschwörerischer
       und spalterischer Aktivitäten“ hinausgeworfen worden und hatten die
       maoistische Gruppe „Workers’ Institute of Marxism-Leninism-Mao Zedong
       Thought“ gegründet. Zu ihren besten Zeiten hatte die Organisation 25
       Mitglieder, die in einer Kommune in Brixton lebten. Man hatte diesen
       Londoner Stadtteil ausgesucht, weil es „der schlimmste Platz auf Erden“
       sei, wie Bala damals erklärte.
       
       ## Chinas Einmarsch nach Süd-London
       
       Die Schriften der Gruppe erinnerten stark an den Monty-Python-Klassiker
       „Das Leben des Brian“. Man rechnete fest damit, dass die chinesische Armee
       jeden Augenblick in England einmarschieren und Süd-London befreien würde.
       Aber die Organisation vollzog die Wende zum Kapitalismus wesentlich früher
       als das Vorbild China. Sie besaß zeitweilig 13 Immobilien – drei mehr, als
       sie Mitglieder hatte, bemerkte der Journalist Tariq Ali sarkastisch.
       
       Bala hatte offenbar ein gewisses Charisma, mit dem er den wenigen
       Mitgliedern viel Geld aus der Tasche zog. Eine Sian Davies gab ihm 10.000
       Pfund, fiel danach aus einem Fenster des Kommune-Hauses und starb. Die
       „Sklavinnen“ schimpften gegenüber Journalisten, die den mysteriösen
       Fenstersturz recherchieren wollten, auf den „faschistischen Staat“
       Großbritannien.
       
       Eine der „Sklavinnen“, die 69-jährige Siti Aishah Wahab, wird in Malaysia
       wegen „kommunistischer Umtriebe“ von der Polizei gesucht. Scotland Yard
       erklärte, es sei wohl klar, dass im Fall der „Sklavinnen“ ein Verbrechen
       begangenen worden sei. Man müsse nur herausfinden, welches Verbrechen.
       
       1 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Sotscheck
       
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