# taz.de -- Hamburger Erotik-Weihnachtsmarkt: Oh Tannenbaum
       
       > Auf der Reeperbahn geht es im Advent eher sinnlich als besinnlich zu. Der
       > Weihnachtsmarkt Santa Pauli bietet Holzdildostände und Porno-Karaoke.
       
 (IMG) Bild: Der Weihnachtsmann kommt.
       
       Auf dem Hamburger Spielbudenplatz beginnen gute Verkaufsgespräche mit einem
       Herrenwitz. „Den bekommen Sie von mir zum Einführungspreis“, sagt der
       Budenbesitzer zur Besucherin, die gerade einen pinklackierten Holzvibrator
       bestaunt, Modell „Bärenzunge“. Die Frau in weißer Daunenjacke und weißer
       Strickmütze lacht laut auf und macht eine halbe Drehung, weg vom Stand, hin
       zu ihrem Mann und einem befreundeten Paar.
       
       Eine Übersprunghandlung: Lieber abhauen? Oder eintauchen in die Welt der
       Sexspielzeuge? Nach dem kurzen Schreckmoment entscheidet sie sich für
       Letzteres, wendet sich wieder dem Stand zu und lässt sich die Vorteile von
       handgedrechselten Dildos erklären. Willkommen auf Santa Pauli an der
       Reeperbahn, laut Eigenwerbung „Hamburgs geilstem Weihnachtsmarkt“.
       
       Seit sechs Jahren verkauft hier Elmar Thüry seine hölzernen Vibratoren,
       Dildos und Butt-Plugs. Die Anfahrt aus dem Odenwald lohnt sich. Für die
       Firma Waldmichlsholdi ist der Weihnachtsmarkt im Rotlichtviertel eine
       ideale Verkaufsfläche. Der 57-Jährige analysiert das letzte
       Verkaufsgespräch: „Bei vier Leuten ist mindestens einer dabei, der Späße
       macht, wenn er Dildos sieht. Ich mach auch meine Witze, und so kommen wir
       ins Gespräch.“
       
       Kaum ein Kunde kaufe gleich auf dem Weihnachtsmarkt. „Aber zwei Wochen
       später bestellt er dann online für seine Frau unsere Doppelhummel“ – einen
       besonders langen Vibrator, der in zwei Kugeln ausläuft, wie er gleich
       darauf erklärt.
       
       Auf den ersten Blick ist Santa Pauli ein Weihnachtsmarkt wie so viele in
       Deutschland: Aus grobem Holz gezimmerte Hütten, wie auf der Alm;
       Rindenmulch kaschiert den Asphalt; und an jeder Ecke gaukeln frisch
       abgeholzte Tannenbäume Wald vor. Die Illusion ist gemütlich, aber nie
       perfekt: Ringsum blinken die Neonlichter der Theater, Clubs und Laufhäuser.
       Santa Pauli ist wie der Kiez, das legendäre Rotlichtviertel Hamburgs, aber
       im Kleinen: ein geschäftstüchtig organisiertes, sauber abgezirkeltes Areal
       für den gesitteten Exzess am Wochenende.
       
       ## „Schweinkram“ serviert Spanferkel
       
       An jeder Ecke stößt man auf Anspielungen auf das Erotik-Business, das St.
       Pauli berühmt gemacht hat. „Wollust und Leder“ steht über einem Stand mit
       Handtaschen und Strickwaren, „Schweinkram“ serviert Spanferkel. „Diese
       Sprüche schaffen eine lockere Atmosphäre“, lobt Dildo-Drechsler Elmar
       Thüry. „Das geht gar nicht gegen die Kirche – man muss ja nicht gar so
       ernst und trocken an das Fest rangehen.“
       
       Dabei hatten Weihnachtsmärkte mit Kirche und Religion sowieso nie viel zu
       tun. Die Betonung lag immer auf „Märkte“. Bis ins 19. Jahrhundert waren sie
       dazu da, um sich vor dem Wintereinbruch mit haltbaren Lebensmitteln und
       warmer Wäsche einzudecken. Diesen Zweck aber hatten sie spätestens mit
       Entstehung von Kaufhäusern eingebüßt. Der heilige Ernst griff erst um sich,
       als findige Geschäftsleute darauf kamen, Glühweingemütlichkeit und
       Lichterglanz touristisch zu vermarkten.
       
       In Nürnberg ließ die Nazi-Stadtführung ab 1933 den Markt wiederbeleben und
       von einem goldgelockten Christkind eröffnen. Diese inszenierte
       Sentimentalität kam an. Seither sind wir darum bemüht, uns mithilfe von
       Glühwein, Glockenklängen und Tannenduft in rührselige Stimmung zu sedieren.
       Weihnachtsmärkte gelten als Traditionspflege, und die deutschen Städte
       stehen in einem knallharten Wettbewerb: Wer bietet mehr Authentizität?
       
       ## Intimtoupets halten auch warm
       
       In der Weihnachtsmarktwirtschaft schlägt sich Santa Pauli ganz gut. Der
       angebotene Tinnef kommt aus dem Viertel. Zwar gibt es keine warme Wäsche,
       aber Reizwäsche und Intimtoupets zum Aufpeppen der Schambehaarung. Die
       halten auch warm.
       
       „Für uns ist das wunderbar, weil es Aufmerksamkeit erregt“, sagt Jochen
       Bohnsack (39), Geschäftsführer der Spielbudenplatz Betreibergesellschaft.
       „Das ist ja auch Kunsthandwerk, aber eben nicht das klassische aus dem
       Erzgebirge, sondern aus dem Kiez.“ Wenn man auch einwenden könnte, dass
       dieser Budenzauber mit der strikt asexuellen Weihnachtsgeschichte, in der
       Maria ihren Jesus nach unbefleckter Empfängnis gebar, wenig zu tun hat.
       Deshalb also Ironie.
       
       Auf dem „Winterdeck“ auf St. Pauli stehen die Tannenbäume nicht, sondern
       hängen vom Vordach der Bühne. Ringsum Stehlampen und Comic-Gemälde vom
       röhrenden Hirsch, als Belege der Distanz: Wir sind weihnachtsselig, aber
       nehmen uns nicht ernst dabei. Das Konzept geht auf. An jedem erotisch
       angehauchten Stand zücken die Gäste ihre Handykameras: Endlich mal was
       Neues! Die ersten Busreiseunternehmen haben Santa Pauli ins Programm
       genommen. Auch Clubgänger und Religionsskeptiker bekommen ihren
       Weihnachtsrummel.
       
       Ein Drittel der BesucherInnen ist unter 30. Hier wird die niedrigschwellige
       Erotik plötzlich brisant: Die VeranstalterInnen achten genau auf den
       Jugendschutz. Das Stripzelt ist für Minderjährige tabu. Am Eingang stehen
       vier breitschultrige Männer und kontrollieren Taschen und Alter. An der
       Spitze der langen Schlange steht eine junge Frau in hautengen Jeans. Der
       Pelzkragen ihrer Jacke verhüllt beinahe ihr ganzes Gesicht, nur oben ragt
       der Pferdeschwanz heraus. Sie sortiert nervös ein Päckchen mit
       Plastikkarten und sucht nach einem glaubwürdigen Altersnachweis. Die Ersten
       in der Schlange werden ungeduldig, um halb neun geht die nächste Stripshow
       los.
       
       ## „Striptease“ und „Manstrip“
       
       „Muss man da Eintritt zahlen?“, fragt eine Frau angesichts der langen
       Schlange. „Ja, 200 Euro“, antwortet ihr Begleiter, „aber nur wenn du ’nen
       Schwarzen sehen willst.“ Der Mann lacht, die Frau schweigt.
       
       Der Stau vor dem Stripzelt löst sich auf, der Eintritt ist frei. An den
       Alupfosten des Zelts hängen weiße DIN-A4-Blätter, auf denen das
       Abendprogramm gelistet ist. Jede Stunde ein Auftritt. Unterschieden wird
       zwischen „Striptease“ und „Manstrip“. An einigen Tagen gibt es auch
       „Porno-Karaoke“ und „Burlesque-Strip“. Als Nächstes zieht sich kein
       dunkelhäutiger Mann, sondern eine hellhäutige Frau aus.
       
       „Soooo. Gleich geht’s looooos. Lea ist unsere nächste Stripperin“, dröhnt
       es aus den Boxen. Der Ansager bleibt unsichtbar, er zieht die Vokale wie
       ein Rummel-Rekommandeur. Schon 20 Minuten vor Leas Auftritt ist in dem
       weißen Festzelt kein Platz mehr frei, sowohl Männer als auch Frauen sitzen
       im Publikum. Euro-Trash wummert aus den Boxen, Leas Auftritt beginnt mit
       dem Song „Lady Marmalade“ in der Aguilera-Version.
       
       ## Piratenflagge vor dem Schritt
       
       Stripperin Lea entledigt sich ihres Korsetts und ihres BHs. Dann kommen die
       Slips an die Reihe. Lea trägt mehrere. Wenn sie einen auszieht, hält sie
       kurz inne, blickt über die Schulter ins Publikum und legt eine Hand ans
       Ohr: Wo bleibt das Grölen?, soll das wohl heißen. Aber auf dem
       Weihnachtsmarkt wird nicht gegrölt. Nur einige Männer johlen kurz auf, dann
       ist wieder der Diskosound zu hören. „Aber eine geile Figur“, sagt ein Mann
       zu seiner Begleiterin.
       
       Als auch beim dritten Slip niemand anfeuert, macht Lea eine wegwerfende
       Handbewegung. Es ist nicht klar, ob die zur Show gehört oder dem
       verhaltenen Weihnachtsmarktpublikum gilt. Nach dem letzten Slip ist Lea
       ganz nackt, bedeckt ihren Schritt aber elegant mit einer schwarzen
       Piratenflagge. Auch die steht für St.-Pauli-Authentizität.
       
       Unter lautem Applaus verschwindet Lea durch den Lamettavorhang. Die
       Menschen bleiben noch im Stripzelt, stecken die Köpfe zusammen und trinken
       Glühwein aus kleinen braunen Tonkrügen.
       
       „Die Show ging so“, urteilt Anja aus Konstanz, die gerade ein Praktikum in
       Hamburg macht. „Besonders weihnachtlich ist das ja nicht. Aber was soll ich
       sagen: Wir sind ja auch hier.“ Dann springt ein junges Pärchen auf die
       Bühne und lässt sich in Strip-Pose knipsen. Keine zehn Sekunden später
       scheucht sie ein Securitymann davon. Der Erotikexzess auf Santa Pauli
       bleibt unter Kontrolle. Eine Frau mit Sprühflasche eilt auf die Bühne und
       reinigt die kaum benutzte Pole-Dance-Stange mit einem Tuch.
       
       22 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Philip Eicker
       
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