# taz.de -- Kommentar Populistischer Papst: „Wie im Paradies“
       
       > Für welche Werte soll die katholische Kirche in Zukunft stehen? Papst
       > Franziskus antwortet darauf mit gelebtem Populismus – und einem PR-Team.
       
 (IMG) Bild: Ein Papst ohne Berührungsängste: Der „Franziskus-Style“ basiert auf der Hinwendung zum Menschen.
       
       Der Weg zum Kind war lang gewesen. Erst mussten zwei sich überhaupt finden,
       die, wenn natürlich auch ohne Garantie für ein Zusammenbleiben über die
       gesamte Dauer der Aufzucht, sich jedenfalls insoweit einigen waren: Wir
       machen das jetzt, zusammen.
       
       Dann, als der Embryo wuchs, hatte der erst mal all die vorgeburtlichen
       Tests zu überstehen; und jedem Ergebnis folgte ein Abwägen, ob speziell aus
       diesem Zellhaufen tatsächlich das Wesen erwachsen sollte, das man sich
       gewünscht hatte. War das Risiko für eine Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte zu
       hoch oder noch okay? Oder anders gesagt: Die Spalte ist sowieso kein
       Problem, aber was ist mit Trisomie 21? Sollen sehr nette Kinder sein, klar.
       Aber wollte man das? War das genau das, was man sich vorgestellt hatte,
       oder jedenfalls das Beste, was man bekommen oder sich leisten konnte?
       
       Doch auch diese Hürde wurde genommen, das Kindlein war da, es war gesund,
       es wurde in den Kinderwagen gelegt, den dann aber dieser besoffene
       Autofahrer mitnahm. Nun war das Kind genau geworden, was man unbedingt
       hatte ausschließen wollen: krank, leidend ein Leben lang, schwerbehindert,
       nicht normal, eine schwere Belastung für die, die es auf die Welt gebracht
       hatten. Durch einen Schicksalsschlag, durch ein asoziales Arschloch. Und
       nun?
       
       „Ich lass das jetzt so“, lautet der aktuell beliebte Bürospruch zum Thema.
       Demut hieß einst die entsprechende Tugend, die sich am besten mit dem
       Glauben an eine höhere Gerechtigkeit vertrug und vom Mitleid begleitet
       wurde, das die Gemeinde denjenigen entgegengebrachte, die vom Schicksal
       geschlagen waren. Und der Sünde der Hoffart machte sich in der ständischen
       Gesellschaft schuldig, wer seinen durch höhere Gewalt angewiesenen Platz
       nicht einnahm.
       
       ## Eine Wende nach rechts?
       
       Dass man etwas so lässt, wie es „nun einmal ist“, war noch vor Kurzem eher
       aus der Mode. Aber der ökonomische und soziale Zwang zur dauernden
       Selbstoptimierung, zum vierteljährliche Update der eigenen Persönlichkeit
       hat hier eine Wende eingeleitet.
       
       Folgt man Ernst Jünger, dann ist es eine Wende nach rechts. Denn dass der
       Schmerz „zu den unvermeidlichen Erscheinungen der Weltordnung gehört“, sei
       eine Anschauung, „die jedem konservativen Denken innewohnt.“
       
       Dem gegenüber steht die linke, auf jeden Fall fortschrittliche Rede vom
       Paradies auf Erden, das ein schmerzfreies sein soll. Um aber den größten
       Schmerz, den Tod, möglichst lange hinauszuschieben, muss man inzwischen vor
       allem verzichten, sich vorsorglich die Brüste amputieren lassen und
       überhaupt eine Körperdisziplin üben, die eher wieder an konservative
       Abhärtungsriten gemahnt.
       
       Was bei der Bekämpfung des Schmerzes aber vor allem benötigt wird, ist
       Geld. Nicht nur in der Diskussion um die Palliativmedizin wird die
       Schmerzfreiheit zur sozialen Frage des 21. Jahrhunderts. Der kranke, der
       alte, der untrainierte, der nicht cyborgmäßig nachgerüstete Hartz-Körper
       ist zum Erkennungsmerkmal des Niederen geworden.
       
       Von den Dicken und dem sozial allgemein zulässigen Hass auf die Prolls
       abgesehen, zieht er dabei weniger Spott auf sich als totalitäre Verdrängung
       und Ignoranz. In den Innenstädten der großen Zentren gibt es eigentlich
       keine Alten und Kranken mehr. In Städten wie München stören schon Kinder
       den normalen Ablauf. Menschen, denen es tatsächlich schlecht geht, sieht
       der normale Mitteleuropäer inzwischen eher im Fernsehen auf Lampedusa als
       in seinem angeblich richtigen Leben.
       
       ## Perspektive auf das Menschsein
       
       Dass über die Unfitten gar nicht oder wenn doch dann nur in satirischer
       Weise gesprochen werden kann, hat es in der europäischen Geschichte schon
       einmal gegeben: in der griechisch-römischen Antike. Im Kapitel seines
       Buches „Mimesis – Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen
       Literatur“ hat der Romanist Erich Auerbach herausgearbeitet, wie Drama und
       Sprache der Bibel, also vor allem der Evangelien, nicht nur die
       klassisch-römische Rhetorik unterwanderten, sondern die Gesamtperspektive
       auf das Menschsein verschoben.
       
       „Ohne sich irgendwelche Zurückhaltung des Anstands aufzuerlegen“, schreibt
       Auerbach etwa zu einer von ihm analysierten Textpassage des Kirchenvaters
       Hieronymus, werden asketische Ratschläge erteilt, in „äußerster
       Anschaulichkeit“. Es geht geradezu um die „Ausbreitung körperlicher
       Abscheulichkeiten“, denn: „Schon in sehr früher [christlicher] Zeit gilt
       die Aufopferung für abstoßende Kranke und insbesondere der körperliche
       Kontakt mit ihnen bei der Pflege als eines der wichtigsten Merkmale, an
       denen christliche Demut und Streben nach Heiligkeit sich erweisen.“
       
       Über Christus, den Sohn eines Handwerkers, einen Menschen niedrigster
       sozialer Stufe, der mit „Zöllnern und Dirnen“ spricht, konnte man nur „in
       einem neuen hohen Stil“ schreiben, „der das Alltägliche keineswegs
       verschmäht und der das sinnlich Realistische, ja das Häßliche, Unwürdige,
       körperlich Niedrige in sich aufnimmt“.
       
       Dass der katholische Papst Franziskus einen „neuen Stil“ pflege, gehört zum
       Tagesgespräch. Interessant ist, dass seine soziale Rhetorik („Diese
       Wirtschaft tötet“) von modern-rechts bis modern-links kritisiert wird. Von
       rechts, weil der Kapitalismus bewiesenermaßen – und zwar für alle Menschen
       – besser sei als die in den letzten Jahrhunderten erprobten Alternativen
       Feudalismus, Sozialismus, Steinzeit-Kommunismus, Islamismus et cetera; und
       von links, weil der „Franziskus-Style“ der Kritik folgenlos bleibe, da er
       Ross und Reiter (etwa die Banken) nicht benenne.
       
       Rechte und Linke haben recht – und zwar gemeinsam. Denn den Kapitalismus
       als zwar imperfekte, aber einzig verbliebene Hoffnung zu promoten; oder zu
       beklagen, dass man ihn eben bändige müsse, was sich dieses vorwitzige,
       blitzgescheite Kerlchen aber im globalen Maßstab nie gefallen lässt und
       jede Kette, die ihm seine Kritiker in jahre- und jahrzehntelanger
       Kleinarbeit anlegen, lässig und rasend schnell wieder sprengt: Das ist das
       Gleiche.
       
       ## Populismus gegen das total Gleiche
       
       Und gegen das totale Gleiche hilft nur der Populismus, die Rückbesinnung
       auf den konkreten Menschen und den seiner Natur innewohnenden Schmerz. Das
       ist die Marktlücke, die Franziskus für die katholische Kirche entdeckt hat
       und medial nun professionell verbreiten lässt, wie Radio Vatikan am
       Donnerstag vermeldete: Der Vatikan wolle seine Kommunikation mithilfe der
       Unternehmensberatung McKinsey „effizienter und moderner“ gestalten.
       McKinsey habe von der Kommission zur Berichterstattung über die
       wirtschaftlichen und administrativen Angelegenheiten den Auftrag erhalten,
       sie bei der Erstellung eines „Gesamtplans zur Organisation der
       Kommunikationsmittel des Heiligen Stuhls“ zu beraten.
       
       Achtung, jetzt kommt ein Spoiler: In einem der zugleich gnadenlosesten wie
       tröstendsten Bücher der letzten Jahre, „Dunkler Gefährte“, erzählt der
       US-Autor Jim Nisbet vom Schicksal seines Helden Banerjhee Rolf, BJ genannt,
       eines naturwissenschaftlich gebildeten, altmodisch-kritischen und
       arbeitslosen Familienvaters in Kalifornien. Der sieht sich, durch die
       Fehlerkette eines paranoiden Überwachungsapparats, von einer Sekunde auf
       die andere zum Mörder zweier United States Federal Marshals gestempelt.
       
       Ein normaler Polizist, der ihm die Sache eingebrockt hat und im Sterben
       liegt, hält BJ einen Vortrag über – das System: „Scheiße, BJ, es wird ein
       Jahr dauern, bis du einen Anwalt zu Gesicht bekommst. Zwei Jahre. So
       arbeiten diese Mistkerle heutzutage. Sie haben völlig freie Hand. Und hier
       haben sie’s versaut. Ich bin ein Cop, betrachte das als fundierte Meinung.
       Lass es krachen, BJ! Sieh zu, dass du in einem Feuerball aufgehst oder du
       verrottest bis ans Ende deiner Tage in einem Hochsicherheitstrakt, nur mit
       einem kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher und nix da mit Habeas Corpus.“
       
       Und BJ weiß, was er zu tun hat. Er hat keine Chance, und er nutzt sie. Aber
       es ist ja auch die ästhetische Aufgabe einer gelungenen Kunstfigur, die
       Sache konsequent zu Ende zu bringen. Er lässt sich von den Cops erschießen.
       
       In der wirklichen Welt ist der von Franziskus stumm umarmte Vinicio Riva 53
       Jahre alt und und leidet seit seinem 15. Lebensjahr an Neurofibromatose.
       Von einer Fortpflanzung raten die Ärzte bei diesem unheilbaren Gendefekt
       ab. Seine Mutter starb einst an derselben Krankheit. Zu seiner Begegnung
       mit Franziskus sagte er: „Es war wie im Paradies.“
       
       25 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ambros Waibel
       
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