# taz.de -- In-Getränk 2014: „Die Leute akzeptieren kleine Gläser“
       
       > Was kommt nach Hugo, Aperol Spritz und Moscow Mule? Der Manhattan, meint
       > Mixologe Helmut Adam – ein Klassiker aus Whisky, Wermut und Bitter.
       
 (IMG) Bild: Nein, schnell betrunken machen ist nicht das Ziel eines Cocktails. Das Ziel ist Genuss. Sagt jedenfalls Helmut Adam.
       
       sonntaz: Herr Adam, das Casino, wo James Bond sich seinen Dry Martini
       servieren ließ, ist den Spielhallen gewichen, in Hotelbars gibt es
       Automaten-Kaffee. Doch der Cocktail ist nicht mit untergegangen. 
       
       Helmut Adam: Ganz im Gegenteil, zwar ist auch der Cocktail kein
       Luxusprodukt mehr, aber der Qualität tut die Demokratisierung gut. Man kann
       Bargänger nicht mehr an Alter und Aussehen erkennen. Das angestammte
       Publikum der Erfolgreichen um die 40, 50 gibt es zwar noch. Aber ich treffe
       an der Bar auch Leute um die zwanzig mit einigem Wissen und Geschmack.
       
       Was hat sich verändert? Was war der Cocktail vor zehn Jahren? 
       
       Ein weitgehend unverstandenes Getränk. Das war er lange. Das lässt sich
       eigentlich bis zur Prohibition in den USA in den 20er Jahren
       zurückverfolgen. Davor hatte die Bar ihre Blütezeit, Bartender war ein sehr
       angesehener Beruf, es gab richtige Stars, die sogar um die Welt tourten –
       mit Shakern und Tools aus Silber. Mit dem Alkoholverbot ist dann aber sehr
       viel Wissen in die Illegalität gezwungen worden, auch Wissen über die
       Destillation verschwand. Davon hat man sich lange nicht erholt. Der zweite
       Weltkrieg war dann ein weiterer Nackenschlag für die Bars, da die
       Handelsrouten nicht mehr offen waren und mit ihnen wichtige Produkte über
       Nacht wegbrachen.
       
       Eine Kulturrevolution? 
       
       Es brauchte Jahrzehnte, um das Know-how wieder auszugraben. Eigentlich sind
       wir immer noch dabei. Heute muss man sagen: Früher wurde jahrzehntelang
       mehr gepanscht.
       
       Was hat die Renaissance ausgelöst? 
       
       Mitte der Neunziger gab es ein paar Entrepreneurs, die wieder die alten
       Barbücher aufschlugen. Die sagten: Wir gehen jetzt wieder zurück zu den
       Klassikern. Mit den Originalrezepten. Das war der Neuanfang. Und dann kam
       das Internet. Damit konnten sich die Bars rund um Globus austauschen:
       Bücher, Rezepturen. Daraus ist eine Community entstanden, ein neues
       Selbstbewusstsein. Das dazu führte, dass auch die Produzenten einen neuen
       Weg einschlugen, ihre Herstellung hinterfragten und historische Rezepte
       entdeckten. Es ist ein Prozess, der über Jahre dauert. Bedenkt man, dass
       eine Spirituose auch noch einige Zeit lagern muss, um Aroma zu entwickeln,
       wie zum Beispiel Rye Whisky, beginnt die interessante Zeit gerade erst.
       
       All das hat wieder seinen Ausgangspunkt in den USA. 
       
       Die USA waren immer die Treiber der Kultur des gemischten Kaltgetränks,
       damals und heute.
       
       Wohin geht die Entwicklung? Nach dem Hugo 2012, dem Moscow Mule 2013: Was
       wird der Drink des kommenden Jahres? 
       
       Es spricht viel für den Manhattan.
       
       Auch so ein Klassiker? 
       
       Ja, ein Shortdrink aus Rye Whisky, rotem Wermut und ein paar Spritzern
       Bitter.
       
       Klingt nach einer sehr trockenen Sache. 
       
       Aber ich glaube, das Publikum ist bereit dafür. Der Manhattan vereint
       außerdem einige Trends der letzten Zeit. Fangen wir mit dem Whisky an?
       
       Gerne. 
       
       Welchen Whisky man verwendet, das war bis vor einigen Jahren auch bei
       Bartendern noch gar kein Thema. Heute wird das viel diskutiert, ob Bourbon,
       ob Rye und welche Sorten. Und der Original Manhattan wird mit mit Rye
       gemacht …
       
       … also Roggen-Whisky. 
       
       Hauptsächlich. Bourbon besteht zu mindestens 51 Prozent aus Mais, und bei
       Rye ist es Roggen. Der Whisky muss noch ein paar Jahre im Fass liegen, bis
       er schmeckt, sechs oder vier, je nachdem, wen man fragt. Inzwischen sind
       die Kapazitäten wieder da. Es gibt da unglaublich spannende Sorten, vor
       allem von kleineren und mittelgroßen Destillerien. Da beobachten wir gerade
       eine starke Entwicklung.
       
       Was kommt in den Manhattan dann noch? 
       
       Wermut. Und der ist noch stärker im Kommen. Absolut: Das wird das Next Big
       Thing. Wir hatten Anfang der Nullerjahre erst einen Wodka-Trend, dann kam
       Gin, dann hatte Tequila ein kleines Hoch, und nun kommt Wermut. Es gibt da
       unzählige junge Start-ups, die Wermut machen, aus Italien, aus Österreich,
       aus Deutschland, aus Großbritannien, USA, Australien.
       
       Ich kenne Wermut eigentlich nur aus der Martini-Flasche. Oder zum Kochen,
       als Noilly Prat. Er war lange aus der Mode. 
       
       Es gab lange nur diese großen Marken, und die haben die Kategorie auch nie
       weiterentwickelt, ganz nach dem Motto: Never change a winning team. Vor
       allem haben sie zum Teil den Alkoholgehalt gedrückt, weil alles unter 15
       Volumenprozent Alkohol nicht unter die Spirituosengesetzgebung fällt,
       sondern als weinhaltiges Getränk gilt – mit einer anderen Steuerklasse. Die
       Folge war eine Verwässerung des Profils. Denn Alkohol ist ein
       Geschmacksträger. Jetzt sehen wir den Gegentrend. Es werden wieder
       klassische Wermuts hergestellt mit mehr Alkohol, oft im Fass gereift – und
       was die Zusammensetzung anbelangt, auch sehr experimentierfreudig.
       
       Wermut ist ein mit Kräutern und Gewürzen aromatisierter Süßwein. 
       
       Grundlage ist bitteres Wermutkraut. Aber es gibt die unterschiedlichsten
       Versionen, sogar Wermuts, die ein fast weihnachtliches Aroma haben. Zum
       Beispiel der von Sacred, das ist eine Mikrodestillerie in Norden von
       London.
       
       Die dritte Zutat ist ein Bitter. 
       
       Auch ein Trend, der Mitte der Nullerjahre angefangen hat. Damals hatten die
       Bars nur Angostura im Regal und heute haben sie eine Batterie von kleinen
       Fläschchen stehen.
       
       Also drei Entwicklungen, die jetzt gemeinsam zu einem Höhepunkt kommen. 
       
       Genau: Alle drei Zutaten sind eigentlich auf dem Weg nach vorne.
       
       Und warum soll das Publikum dafür zu haben sein? 
       
       Weil es sich auch für die alten Klassiker interessiert. Wenn wir ein
       Jahrzehnt zurücksehen, dann standen damals Mai Tais und Pina Coladas auf
       den Tresen, alles große Gläser. Typisch deutsch eben, großes Schnitzel,
       großes Bier und eben auch ein großer Cocktail. Das war alles
       volumengetrieben. Und das hat sich verändert wie die ganze Kulinarik.
       Berlin ist das beste Beispiel für unheimliche Dynamik, auch in der Bar. Die
       Leute akzeptieren kleine Gläser. Weil sie verstanden haben, sie bieten mehr
       Geschmack. Man kann diese Klassiker außerdem sehr variabel mixen, eine
       persönliche Note geben, je nachdem, was für ein Produkt man verwendet. Das
       macht die Drinks für die Bartender attraktiv.
       
       Was muss man denn verstanden haben, um Cocktails trinken zu können? 
       
       Dass man bei einem Cocktail die Basiszutat schmecken sollte. Sie sollte ein
       bestimmendes Merkmal bleiben. Wenn Du nur Alkohol als Stärke schmeckst oder
       irgendein Aroma, das nicht die Basis bildet, dann ist der Drink falsch
       komponiert. Süß-fruchtig und stark, wie es in den Neunzigern lange Mode
       war: das ist im Grunde eine Perversion des Cocktails. Eigentlich nur eine
       Methode, sich mit einer Kombination aus Alkohol und Zucker schnell
       betrunken zu machen. Das ist nicht das Ziel des Cocktails. Das Ziel ist
       Genuss.
       
       Es kommt also viel auf den Bartender an. Könnte man sagen, er ist Koch und
       Kellner zugleich? 
       
       Auf jeden Fall geht es auch um das Persönliche. Die Bar ist ein sozialer
       Ort. Für den Bartender ist die Kommunikation das eigentliche Element, das
       Pflichtprogramm. Er muss ein guter Gastgeber sein und jeden Abend eine
       Bühne bieten, auf der die Gäste performen, auf der sie frei sein sollen,
       frei vom Alltag. Der Cocktail ist die Kür, das inspirierende Getränk.
       
       Was hat Sie hinter die Bar getrieben? 
       
       Das war eigentlich Zufall. Ich war Quereinsteiger, wie viele in dem Beruf.
       Die Bar erschien mir schnell als der kreativste Ort in der Gastronomie. Ich
       habe als Kellner begonnen, VIPs bedient, im Smoking und auch in weißen
       Handschuhen im österreichischen Bundeskanzleramt serviert. Aber die Bar war
       für mich der Ort, der am kreativsten aussah. Es sind nicht nur die vielen
       Flaschen, aus denen man Sachen kreieren kann. Hinter der Bar zu stehen, das
       verschafft Souveränität, weil man im Fokus steht. Gleichzeitig kann man
       sich hinter dem Tresen auch mal sagen: Wenn du magst, dann hast du deine
       Ruhe.
       
       Wie lernt man denn Cocktail trinken? 
       
       Indem man sich von einem guten Barmann einführen lässt, erst einmal in
       einfache Sachen. Naja, was heißt einfach? Einfach ist gut bei Cocktails.
       
       Also zum Beispiel Sours? 
       
       Das war mein erster Lieblings-Cocktail: Whisky Sour, ganz genau Bourbon
       Sour. Da kannst du gut spielen. Mit einem Schuss Grapefruit-Saft, frischem
       Eiweiß oder vielleicht ein paar Spritzern Bitter. Im Grunde ist der Sour
       die Basis für 60 Prozent aller Cocktails, wenn nicht mehr, denn es ist die
       Kombination Sweet und Sour, auf der man gemeinsam mit dem Alkohol ein
       Aromahaus aufbaut.
       
       Und dann? 
       
       Dann tastet man sich eben weiter. Im Verlauf meiner Trinkerkarriere habe
       ich eine Spirituose nach der anderen entdeckt. Irgendwann war es Gin. Wenn
       man vom Sour kommt, dann fängt man mit Cocktails an wie Gin Fizz oder Gin
       Collins und geht dann zur nächsten Stufe über, zum Beispiel ein Pegu Club
       Cocktail. Das ist ein Shortdrink auf Gin-Basis mit Bitter. Und dann
       entdeckst du die nächste Stufe, und landest bei Drinks, die Bartender als
       Königsklasse ansehen. So etwas wie Sazerac oder Old Fashioned.
       
       Warum Königsklasse? 
       
       Es sind ganz alte und einfache Drinks. Und sie entsprechen der
       Ur-Definition des Cocktails. Denn er war ursprünglich nur ein Segment der
       Mischgetränke, ist dann aber Überbegriff für alles geworden. Ursprünglich
       handelte es sich um die Spirituose, Wasser, Zucker und Bitter. Das war die
       erste niedergeschriebene Definition des Cocktails.
       
       28 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jörn Kabisch
       
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