# taz.de -- Widerstand in Tunesien: „Unsere Traditionen engen ein“
       
       > Ghzela Mhamdi kämpfte mit den Frauen der Bergarbeiter und organisierte
       > Proteste. Eine eigenwillige Linke.
       
 (IMG) Bild: Gemälde im Ort Sidi Bouzid im tunesischen Landesinnern. Zur Erinnerung an Mohamed Bouazizi, dessen Selbstverbrennung die Wut auf den Diktator anheizte.
       
       sonntaz: Frau Mhamdi, wie würden Sie sich beschreiben? 
       
       Ghzela Mhamdi: Ich bin wie das Tunesien meiner Region: eine Mischung aus
       der Härte der Landarbeit und der Berge und dem einfachen Leben einer
       städtischen Frau. Ich bin Feministin und Linke.
       
       Wer war das Vorbild Ihrer Emanzipation? 
       
       Meine Eltern hatten mir gesagt „Leg los!“, vor allem meine Mutter. Sie
       liebt Bildung, obwohl meine Eltern einfache Bauern sind. Es war meine
       Mutter, die mich gefördert hat. Sie träumte immer davon, dass ihre Tochter
       es schaffen werde. Und ich versuche immer, mehr zu tun für das Glück meiner
       Mutter. In meiner Familie waren wir ein Mädchen und vier Jungen. Es gibt
       eine Gleichheit, keinen Unterschied. Meine Eltern behandelten mich wie
       meine Brüder. Und selbst wenn mein Vater mich schlug, schlug er mich wie
       die Jungen.
       
       Sie wurden also gleich erzogen wie Ihre Brüder? 
       
       Ja. Und ich sehe keinen Unterschied zwischen Mann und Frau. Auch nicht
       körperlich. Ich habe zu Hause die gleiche Arbeit wie meine Brüder
       geleistet. Und ich habe immer gewusst, dass ich die Stärkere bin. Manchmal
       gibt es Probleme, meine Mutter kann sich widersetzen, mein Vater ist dann
       schnell müde, nicht meine Mutter. Ich habe gesehen, dass es bei der Frau
       eine Kraft gibt, die der Mann nicht hat. Sie kann sich mehr wehren als ein
       Mann.
       
       War Ihre Familie politisch? 
       
       Nein. Niemand war engagiert oder gewerkschaftlich organisiert. Als ich
       gerade mein Abitur machte, verlor ich bei einem Unfall meinen 23-jährigen
       Bruder. Er wurde vom Blitz erschlagen. Das hat mein Leben stark
       beeinflusst. Ich fragte mich, warum ist das Leben auf dem Land so
       schwierig, so viel schwieriger als in der Stadt.
       
       Seit wann engagieren Sie sich politisch? 
       
       Im Jahr 2000 habe ich mich an der Universität eingeschrieben und sofort in
       der Studentengewerkschaft UGET engagiert.
       
       Was bedeutet für Sie Freiheit? 
       
       Freiheit liegt nicht in den Worten, sondern im Handeln. Unsere Traditionen
       und die Religion engen die Freiheit ein, vor allem die der Frauen. Ich will
       aber ich selbst sein. Ich kenne kein Thema, worüber Männer und Frauen nicht
       gemeinsam miteinander reden könnten.
       
       Wie sieht die Emanzipation in Ihrem Alltag aus? 
       
       In meinem persönlichen Leben fühle ich mich respektiert, wie ich bin. Ich
       trage keine Maske. Ich habe meine eigene Wohnung in Gafsa. Ich lebe allein.
       Meine Familie besucht mich, meine Freundinnen und Freunde auch, man redet
       miteinander, man isst gemeinsam. Ich lebe frei wie ein Mann. Setze mich
       auch zu den Männern ins Café. Niemand stört sich daran. Meine jetzigen
       Freundinnen sagen zu mir: „Du bist keine Frau, du bist ein Junge.“ In den
       Augen der anderen bin ich wie ein Mann. Wenn in meiner Familie eine
       Entscheidung getroffen werden soll, sagt mein Vater, man muss zuerst Ghzela
       fragen, was sie dazu zu sagen hat. Meine Meinung zählt. Ich sorge auch
       finanziell für meine Eltern und meine Brüder, die jünger sind als ich.
       
       Eine große Verantwortung. 
       
       Ja, es gibt Unglück und Glück. Wenn meine Mutter stolz auf mich ist, ist
       alles tragbar. Schließlich zählen nur die Liebe und der Tod. Ich möchte
       davor aber so leben, wie ich will.
       
       Sind Sie optimistisch, was Tunesien angeht? 
       
       Nein. Ja. Tunesien ist immer grün. Es gib nicht nur Schwarz. Es ist
       schwierig, aber nicht hoffnungslos.
       
       11 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Renate Fisseler-Skandrani
       
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