# taz.de -- Kolumne Ich meld' mich: How many years du?
       
       > Das kann ganz schön daneben gehen, wenn man sich mit gestikulierenden
       > Händen und einfachen Strichzeichnungen verständlich machen will.
       
 (IMG) Bild: Sind oftmals sehr interpretationsbedürftig, die sprechenden Hände.
       
       Das kann heiter werden. Wladimir spricht kein Englisch, ich kein Russisch.
       Und er ist der Mann, der mich vom abgelegenen Pokroskoje nach Mikolaiv
       begleiten wird, damit ich meinen Zug nach Kiew erreiche. Zwölf Stunden wird
       das dauern. Mit einem verrosteten Schiff setzen wir über nach Otschako.
       
       Wird Zeit für ein wenig Konversation. Ich nehme mein Notizbuch, zeige auf
       die Umrisse der verschwindenden Halbinsel: "Kinburska … und wo Mikolaiv?"
       Wladimir versteht. Er skizziert mit Strichen eine Karte des Schwarzen
       Meers, der Krim und unserer Route nach Mikolaiv.
       
       Na bitte. Das lässt sich gut an. Zeit, die Unterhaltung zu vertiefen. Was
       ist Wladimir von Beruf - raboti, raboti? Eifrig zieht er das Buch zu sich
       herüber. Drei Hochhäuser. Ach, Architekt? Er zuckt mit den Schultern und
       nickt. Wie alt, how many years du? In das mittlere Haus malt er eine schöne
       48. Und wie steht es mit Kindern, Menschen, die einem nur bis zur Hüfte
       reichen? Fünf Köpfe wirft Wladimir aufs Papier - na also: auch Männer, die
       nicht viele Worte machen, können sich verstehen.
       
       Und so gestikulieren, zeichnen und grimassieren wir uns durch den Tag bis
       Mikolaiv. Dem Chaos in meinen Notizen entnehme ich, dass Wladimir bei der
       Armee war, einen Hund hat und seine Satellitenschüssel liebt. Leider ist
       sein Fernseher kaputt.
       
       Endlich Mikolaiv. Wladimirs Tochter stößt zu uns. Sie lernt Deutsch in der
       Schule. Was denn ihre Geschwister machten, frage ich sie. Geschwister? Aber
       sie sei doch Wladimirs einziges Kind. Bitte? Ich zeige ihr die fünf kleinen
       Köpfe.
       
       Sie blättert durch die Zeichnungen, spricht rasend schnell mit ihrem Vater
       und fasst dann das Resultat unserer zwölfstündigen Kommunikation noch
       einmal zusammen: Wladimir ist 35, arbeitet als Hausmeister in Block Nr. 48
       und wuchs mit fünf Geschwistern auf.
       
       Er mag Fußball, geht gern auf die Jagd und hat kürzlich einen prächtigen
       Fuchs geschossen. Ein Fernseher kommt ihm nicht ins Haus.
       
       25 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Franz Lerchenmüller
       
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