# taz.de -- Die Wahrheit: Der Grasverkäufer
       
       > Das Gemüsegeschäft lief herzzerreißend schlecht. Bis Lefty kam. Der
       > nämlich war im Umgang mit pflanzlichen Produkten erfahren.
       
 (IMG) Bild: Die närrische Pferdeliebe hat den Wandel der Zeiten eigenartigerweise überdauert.
       
       Noch auf der Straße hörte man Eusebia schimpfen. Sie schimpfte mit Paolo,
       ihrem Mann, mit dem sie seit vierzig Jahren einen Obst- und Gemüseladen am
       Goetheplatz betrieb, und weil sie mit ihm natürlich Italienisch sprach,
       verstanden wir kein Wort.
       
       Später erfuhren wir, dass Paolo bei seinem Kardiologen gewesen war, der ihm
       dringend geraten hatte, weniger zu arbeiten. Paolo wollte auf die
       Empfehlung pfeifen, doch Eusebia polterte, sie habe keine Lust, den Rest
       ihrer Tage allein in diesem kalten, grauen Land zu verbringen, bloß weil
       sich ihr unbelehrbarer Gatte vorzeitig ins Jenseits verabschiedet habe.
       „Wir suchen eine Aushilfe, basta!“, rief sie, und in diesem Augenblick
       betrat der Einzige, der sie außer Paolo verstand, den Laden, verbeugte sich
       und sagte: „Signora, ich bin Ihr Mann!“ Nämlich Lefty.
       
       Lefty war erst kürzlich in die Stadt gekommen, schon aber kannte ihn jeder
       im Goetheplatzviertel. Kein Tag verging, ohne dass man ihm begegnete. Man
       traf ihn, wenn man bei Brüser Brötchen holte, er tauchte auf, wenn man im
       Café Gum einen Espresso trank, und er erzählte jedem seine
       Lebensgeschichte: Er hatte jahrzehntelang auf verschiedenen Inseln des
       Mittelmeers Gras verkauft, jetzt aber war ihm der Job zu gefährlich
       geworden.
       
       „Immer dieser Stress mit den Bullen, das ist nichts mehr für meine Nerven“,
       sagte er, um dann unvermittelt zu fragen: „Hast du vielleicht einen Job für
       mich?“ Einmal fragte jemand zurück: „Was kannst du denn?“ Und Lefty sagte:
       „Alles ein bisschen, aber nix richtig. Nur verkaufen kann ich richtig gut!“
       
       Das stimmte, wie Eusebia und Paolo bald feststellen durften. Kaum jemand,
       der den Laden betrat, schaffte es, wieder hinauszukommen, ohne mehr
       Grünzeug heimzuschleppen, als man gebraucht hätte, um einen langen
       sibirischen Winter zu überleben. Sogar Passanten, die nur Geld für den
       Parkscheinautomaten wechseln wollten, gingen schwer beladen wieder hinaus.
       
       Wollte man wirklich nur einen Kopfsalat kaufen, versuchte man seinen Willen
       im Vorfeld meditativ zu stählen – doch vergeblich: „He, du!“ – „Wer, ich?“
       – „Genaaau! Schau mal, was ich hier habe …“ – „Eine Orange?“ – „Genaaau!“
       Die Methode Lefty, erprobt in den finsteren Gassen von Mykonos und Messina,
       war stärker als wir.
       
       So blickte man rund um den Goetheplatz bald nur noch in rosige, gesunde
       Gesichter, denn uns, Leftys Kunden, blieb ja gar nichts anderes übrig, als
       unaufhörlich an Äpfeln und Möhren zu nagen, und Paolo war von der rasant
       steigenden Umsatzkurve derart ergriffen, dass sein Kardiologe bei der
       nächsten Kontrolluntersuchung von einem Wunder sprach. Daher war es schade,
       dass nach wenigen Monaten einige unauffällige Herren den Laden betraten und
       Lefty sich dazu veranlasst sah, durch den Hinterausgang auf
       Nimmerwiedersehen zu verschwinden, so dass Paolo sich fortan mit
       studentischen Aushilfen rumärgern musste, die Auberginen für eine lila
       Tomatenart hielten, und wir bald wieder die fahle Gesichtsfarbe eines
       notorisch ungesunden Lebens besaßen.
       
       27 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Joachim Schulz
       
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