# taz.de -- Schriftsteller in Syrien: Unser Lachen passt zum Krieg
       
       > Alle sind fort, alles ist mir fremd geworden. Ich werde in Damaskus
       > bleiben. Doch nichts gleicht mehr den Anfängen der syrischen Revolution.
       
 (IMG) Bild: „Immer ist die Zeit zu kurz, um aufzuatmen.“ Damaskus
       
       Nahezu täglich lege ich die gleiche Strecke zurück, ich gehe ins gleiche
       Café und in die gleiche Bar. Wir haben uns daran gewöhnt, mit dem zu leben,
       was noch da ist. Ich treffe mich mit den Freunden, die noch da sind und für
       deren Anzahl die Finger einer Hand ausreichen. Alle sind fort, alles ist
       mir fremd geworden, die Farben der Stadt, ihre Gerüche, die Straßen,
       Gebäude und die wenigen Parks. Auf den Gesichtern der Menschen lässt sich
       die Angst vor der Gegenwart und der Zukunft ablesen. Es ist eine andere
       Angst als jene, die die Syrer mit dem ersten Schrei nach Freiheit begraben
       haben.
       
       Wie alle anderen auch fühle ich mich inzwischen kraftlos. Ich habe
       aufgehört zu fragen, was morgen passiert. Alles wird sich wiederholen, das
       Bombardement wird auch morgen nicht aufhören, die Sirenen der Krankenwagen
       werden nicht verstummen, die Schüsse gehören wie selbstverständlich zum
       Himmel über der Stadt, sie werden wie üblich am Abend einsetzen und
       vielleicht bis zum Morgen anhalten.
       
       Ein einziger Tag ohne Bombardement, ohne Schüsse oder Krankenwagen
       beschwört die Frage herauf: „Was ist passiert?“ Immer ist die Zeit zu kurz,
       um aufzuatmen. Seit etwa eineinhalb Jahren haben die Schüsse und das
       Bombardement nicht aufgehört. Es gibt also keinen Grund zur Aufregung oder
       für die Hoffnung, dass der Zug des Todes anhalten wird. Niemand
       interessiert sich mehr für den eigenen Tod oder für den der anderen.
       
       Täglich stelle ich meine Geduld auf die Probe, und wenn ich im Strom der
       sich den Checkpoints nähernden Autos zu versinken drohe, denke ich, dass
       wir alle in der gleichen Falle sitzen. Keine Chance zu fliehen, keine
       Chance zurückzusetzen. Bei dem Gedanken, in die Falle getappt zu sein, wird
       mir die Brust eng. Ich übe mich in Geduld, beantworte Anrufe, auf die ich
       nicht reagiert habe, schreibe Briefe an meine Freunde, manchmal schicken
       wir uns Witze per SMS. Ich versinke dann in Gelächter, und es ist mir egal,
       was die anderen, die mich allein im Auto lachen sehen, denken könnten. Es
       ist nichts Außergewöhnliches mehr, einen ganz normalen Menschen zu treffen,
       den man seit Jahren kennt und der jetzt völlig verändert, vielleicht
       verrückt ist.
       
       ## Hysterisches Lachen und Weinen
       
       Alle versuchen die Augenblicke des Frohsinns festzuhalten, doch sogar das
       Lachen hat sich verändert. Unser Lachen passt zum Krieg. Wir brechen
       unversehens in hysterisches Gelächter aus, doch plötzlich fängt einer an zu
       weinen. Vielleicht erinnert er sich an eine Geliebte, die das Land
       verlassen hat oder die getötet wurde oder die in einer Stadt oder einem
       Viertel eingeschlossen ist. Er erinnert sich an einen Freund, der verhaftet
       wurde und verschwunden ist …, denn jeder Verhaftete ist für uns
       verschwunden.
       
       Die Rückkehr eines Inhaftierten ist ein Ereignis, das wir mit großem Ernst
       begehen. Wir feiern, lachen, tauschen Küsse und Tränen, berühren den Körper
       des Rückkehrers, um uns zu versichern, dass er unversehrt ist. Wir rufen
       alle Ärzte an, die wir kennen, um ihm medizinischen Beistand zu geben.
       
       Nichts gleicht mehr unserer Vergangenheit oder gar den ersten Tagen der
       Revolution. Die hitzigen Diskussionen der ersten Zeit sind verstummt, das
       Reden ist sinnlos geworden und das Überleben nimmt einen großen Raum im
       Denken aller ein.
       
       Alle warten auf jenen Augenblick, auf das Ende des Regimes, auf eine
       politische Lösung, die zu einem neuen Syrien führt, aber auch die Art, dies
       zu feiern, wird sich sehr verändert haben. Wir werden uns nicht mehr auf
       öffentlichen Plätzen versammeln und aus voller Kehle nach jener Freiheit
       schreien, für die die Syrer teuer bezahlt haben. Wir werden uns stattdessen
       einschließen und in Schluchzen ausbrechen, weil wir nicht glauben können,
       dass der Krieg vorbei ist.
       
       ## Dieser Kloß im Hals
       
       Wir werden das Gefühl haben, feige zu sein, weil wir nicht gestorben sind;
       feige, weil wir uns der Freiheit erfreuen, für die Hunderttausende Syrer
       ihr Leben gegeben haben. Wir werden diesen Kloß im Hals verspüren, weil wir
       nicht auf den Listen der Getöteten stehen, und unser Kloß wird noch größer,
       wenn wir begreifen, dass wir alt geworden sind und nicht mehr die Kraft
       haben, zu einem Friedhof zu gehen und zum letzten Mal Blumen auf die Gräber
       unserer Lieben zu legen, bevor wir sie und ihre Familien ihrem Schicksal
       überlassen. Nichts wiegt den Augenblick auf, in dem der Traum stirbt. Wir
       wissen, dass jene, die unser Blut und das der Getöteten verkauft haben,
       über die Grenzen kommen werden, bewaffnet mit Worten und Schecks, und dass
       jene unser Leben ein weiteres Mal beherrschen werden.
       
       Hunderte Male malten wir uns unseren Sieg aus. Überall flatterten die
       Schmetterlinge. Nein, wir haben nicht geträumt, alle Augen sagten uns, dass
       der Traum ein Teil der Revolution sei. Alle Mutigen, die sich den Schüssen
       mit nackter Brust entgegenstellten, alle genialen Gedanken, die sich auf
       den Straßen und Plätzen breitmachten, sagten uns: „Ja, es wird ein
       großartiger Sieg, und auf den Plätzen wird gesungen werden.“ Bis jetzt
       können wir nicht glauben, dass MIGs und Scud-Raketen unseren Himmel und
       unser Leben auch in Zukunft besetzen werden.
       
       Wir haben nicht damit gerechnet, dass unser Blut so billig sein wird. Ja,
       wir lebten in einer Zeit, in der Bestialität alles bestimmte. Jetzt
       flüchten wir vor den Bildern, wollen zurück zu den Anfängen der Revolution,
       zu ihrer früheren Unschuld. Wir haben noch so viel zu tun, um unseren Weg
       bis zu Ende zu gehen.
       
       Jetzt kommt mir der Gedanke, dass das Schreiben, das mich enttäuschte, das
       nicht in der Lage war, die Mutter eines Getöteten zu trösten oder einem
       Verwundeten zu helfen oder einem Kind, das in einem Zelt lebt, alles ist,
       was ich brauche. Es ist die einzige Therapie, die mich davor schützt, zu
       einem Toten zu werden oder Selbstmord zu begehen.
       
       ## Die Journalisten verfälschen
       
       Ich nehme Reißaus vor den Journalisten, die stundenlang mit uns reden
       wollen und am Ende doch nur schreiben, was ihr Gewissen beruhigt, nämlich
       dass dieses Sterben sie nichts angeht. Man kann das Bild nur allzu leicht
       verfälschen. Wer fordert Rechenschaft von ihnen, wenn sie sagen, dass es
       sich um einen Bürgerkrieg handelt? Und wer fordert Rechenschaft, wenn sie
       uns als eine Ansammlung von Stämmen, Clans und Religionsgemeinschaften
       sehen? Niemand. Mich überkommt wieder das Bedürfnis, über sie und über ihre
       Moral zu lachen, und ich habe keine andere Möglichkeit, zu schreien als zu
       schreiben.
       
       Wieder plane ich meinen Tag, denke darüber nach, dass ich seit Tagen nicht
       vor der Tür war. Ich koche für Freunde, die meine Wohnung, welche nur ein
       paar hundert Meter von Barseh und Kaboun entfernt liegt, nicht mehr
       erreichen können, weil weder die Flugzeuge noch die Artillerie aufhören,
       die beiden Stadtteile zu beschießen und zu zerstören. Allmorgendlich
       beginnt meine Wohnung zu zittern; den ganzen Sommer über blieben die
       Fenster geöffnet, damit die Scheiben nicht bersten. Die Geräusche und der
       Anblick der Granaten, die nur einige Meter entfernt einschlagen, sind mir
       vertraut geworden. Ich habe keine Macht und keine Kraft mehr, es ist, als
       wartete ich darauf, an die Reihe zu kommen.
       
       Zeit meines Lebens war ich nie in Gegenstände verliebt, erst in den letzten
       Monaten begann ich damit, eingehend meinen Schreibtisch zu betrachten, den
       ein verrückter Schreiner nach meinem Entwurf gefertigt hat. Ich hatte ihm
       gesagt, wir sollten Walnussholzbretter kaufen, wie die Metzger sie
       benutzen, lang und breit, um daraus einen primitiven Schreibtisch zu
       zimmern. Ich möchte nicht, dass das grobe Walnussholz glatt gehobelt wird,
       ich möchte, dass sein Duft mich während des Schreibens umgibt.
       
       Ich betrete die Küche und betrachte die dort hängenden Teller, Kaffeetassen
       und Weingläser. Ich bin also allein. Meine Freunde sind außerhalb des
       Landes, und wer geblieben ist, ist wie ich mit dem Überleben beschäftigt.
       Auch sie blicken liebevoll auf ihre Gegenstände, von denen sie nicht
       glauben, dass sie Bestand haben werden. Jeder Blick ist für mich ein Blick
       des Abschieds.
       
       Ich trinke meinen Kaffee und denke, es ist das letzte Mal. Ich gehe ins
       Café, in dem ich zu schreiben pflege, und versinke in der Arbeit. Und ich
       versuche mich davon zu überzeugen, dass es meine einzige Erlösung ist. Ein
       paar Tage später stelle ich fest, dass das Schreiben keinen Sinn hat, wenn
       das Leben aus einem langen Warten auf den Tod besteht.
       
       Aus dem Arabischen von Larissa Bender. Der hier gekürzte Text erschien
       zuerst auf [1][faustkultur.de]
       
       2 Feb 2014
       
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