# taz.de -- Mafia in Deutschland: „Die Unachtsamkeit wird teuer“
       
       > Deutschland verkennt sein akutes Problem mit der Mafia, sagt der
       > italienische Soziologe Nando dalla Chiesa. Um die Mafia zu bekämpfen,
       > fehle es an juristischen Mitteln.
       
 (IMG) Bild: „Deutschland heute ist wie die Lombardei im Norditalien der 80er Jahre.“
       
       taz: Herr dalla Chiesa, welches ist das größte Problem, das Deutschland
       derzeit mit der Mafia hat? 
       
       Nando dalla Chiesa: Das fehlende Bewusstsein darüber, dass es dieses
       Problem gibt. Deutschland heute ist wie die Lombardei im Norditalien der
       80er Jahre. Man bestritt die Mafia: Mailand sei nicht Palermo. Die Mafia
       begann damals, die Lombardei zu erobern.
       
       Macht Deutschland es der Mafia zu einfach? 
       
       Ja. Die Unachtsamkeit bei diesem Thema wird teuer bezahlt. Und nicht nur
       mit Justiz und Ordnungskräften bekämpft man die Mafia – auch die
       Zivilgesellschaft spielt eine wichtige Rolle.
       
       Welche Mittel fehlen hier? 
       
       Zwei politisch-juristische Mittel wären besonders wichtig: der
       Straftatbestand, Mitglied einer Mafia-Organisation zu sein, und die
       Möglichkeit, Mafia-Besitz zu konfiszieren. Deutschland könnte dabei von den
       Erfahrungen Italiens profitieren, wo man die besten Mittel im Kampf gegen
       die Mafia entwickelt hat. Italien ist Vorreiter bei der Mafia, und Italien
       ist Vorreiter beim Kampf gegen die Mafia.
       
       In diesem Kampf werden in Italien zum Beispiel Telefone abgehört. Was
       halten Sie von solchen Mitteln? 
       
       Das Abhören von Telefonaten ist außerordentlich wichtig. Auch die
       Kronzeugenregelungen sind notwendig. Telefonate abhören ist nicht schön in
       einer Demokratie. Aber hier geht es um Organisationen, die die Demokratie
       mit Gewalt angreifen. Dagegen muss sie sich wehren. Die Gerichte müssen
       natürlich einbezogen sein. Und bestimmte Mittel darf die Polizei nicht
       eigenmächtig anwenden.
       
       Für die Linke in Deutschland sind das heikle Themen. Es steht der Wunsch,
       die Mafia zu bekämpfen, gegen die Angst, Freiheitsrechte zu verletzen. Ist
       das in Italien anders? 
       
       Das war auch in Italien so. Erst nach den Morden an dem Politiker Pio La
       Torre und an meinen Vater, dem Carabinieri-General Carlo Alberto dalla
       Chiesa, hat man in Italien den Straftatbestand der Mafia-Mitgliedschaft
       geschaffen. Vorher hieß es, in einer Demokratie kann es das nicht geben,
       strafrechtliche Verantwortung müsse persönlich sein. Als in Italien der
       Maxi-Prozess stattfand, hatte ich ein Treffen mit Intellektuellen in
       Bremen. Ihr Vorwurf: Es ist Faschismus, mehr als 400 Personen auf einmal
       vor Gericht zu stellen. Für uns aber war es die Verteidigung der Demokratie
       gegen den Faschismus der Mafia.
       
       Welche internationale Mafia-Organisation ist in Deutschland am stärksten? 
       
       Die ’Ndrangheta aus Kalabrien ist die stärkste Mafia-Organisation Europas.
       Es ist ihre Natur, die Gesellschaft zu beherrschen.
       
       Wie tut sie das? 
       
       Durch ihre starken Netzwerke, durch persönliche Beziehungen. Es ist ihre
       Spezialität, Kontakte zu knüpfen zu Politik, Ordnungskräften, Banken. Erst
       ist man in der Gastronomie tätig, dann bei öffentlichen Bauaufträgen, dann
       immer mehr in der Politik. In der Lombardei vor zwanzig Jahren fand man die
       ’Ndrangheta kaum in Politik und öffentlicher Verwaltung. Jetzt kann man die
       Fälle nicht mehr zählen. Man hat Zeit verloren, weil man dachte, das
       Problem existiert nicht. Aber die Mafia besteht aus Profis. Sie finden eine
       Gesellschaft vor, die schläft.
       
       Macht die ’Ndrangheta gerade diesen Schritt in Deutschland: von den
       kleineren Geschäften zur großen Politik und in die Wirtschaft? 
       
       Sie fängt an bei der örtlichen Verwaltung. Auf Bundesebene ist sie, glaube
       ich, noch nicht angelangt.
       
       An welcher Stelle sehen Sie Deutschland innerhalb Europas, was die Mafia
       betrifft? 
       
       Deutschland ist nach Italien am meisten bedroht von der Mafia. Gefolgt von
       Spanien.
       
       7 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Giuseppe Pitronaci
       
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