# taz.de -- Pussy-Riot-Aktivistinnen in Sotschi: Russland ist nervös geworden
       
       > Zwei Frauen von Pussy Riot haben den Protest gegen das autokratische
       > Russland belebt. Weder IOC noch der DOSB interessieren sich dafür.
       
 (IMG) Bild: „Putin lehrt dich, Russland zu lieben“, sagen die Aktivistinnen (hier nach der Freilassung aus dem Polizeigewahrsam).
       
       ADLER taz | Am Tag nach dem spektakulären Auszug von Nadeschda
       Tolokonnikowa und Maria Aljochina aus der Polizeistation von Adler ist
       nicht mehr viel los in der Kirpitschnaja-Straße. Eine Handvoll Polizisten
       stehen vor dem Gebäude, das einen halben Kilometer oberhalb des Bahnhofes
       von Adler liegt.
       
       Ein alter Polizeiwagen steht herum, auf einer Wandzeitung sind
       Fahndungsfotos von gesuchten Verbrechern zu sehen. „Ja“, sagt ein
       Polizeibeamter am Eingang, „die von Pussy Riot sind hier gewesen, aber
       jetzt sind sie nicht mehr da. Sie kommen zu spät.“ Er schmunzelt, wirkt
       irgendwie belustigt. Vielleicht hat er noch die Bilder im Kopf, als die
       Mitglieder von Pussy Riot am Dienstagabend vor der Polizeistation
       aufgetreten sind: Die Gesichter hinter bunten Sturmmützen versteckt, haben
       sie das Lied „Putin lehrt dich, Russland zu lieben“ gesungen.
       
       Davon werden sich die Polizisten in der Ulitza Kirpitschnaja sicher noch
       lange erzählen. Ein jüngerer Kollege erkundigt sich dann noch nach der
       Herkunft des Besuchers. Nach den Personalien oder der Akkreditierung fragt
       keiner der Ordnungshüter. „Das war’s jetzt für dich“, sagt er. Selbst ein
       Foto dulden sie. Unten, am Bahnhof von Adler, haben die Polizisten mehr
       Stress. Es scheint, als seien die Sicherheitsvorkehrungen noch einmal
       verschärft worden. Auf dem Bahnhof sind mindestens so viele
       Sicherheitsleute wie Reisende zu sehen.
       
       Überall ist Polizei. Der Doppelcheck eines jeden Passagiers vor dem
       Einsteigen in den Zug ist obligatorisch. Russland ist nervös geworden, so
       viel steht fest. Tolokonnikowa und Aljochina, die wegen Hooliganismus zwei
       Jahre lang in Straflagern einsaßen, haben mit ihrer Reise in die
       Olympiastadt für einigen Wirbel gesorgt und die Spiele, die scheinbar so
       ruhig und unpolitisch vor sich hindümpelten, wieder politisch aufgeladen.
       
       Ihr bloßes Erscheinen in der Nähe des Olympiaparks hat Wladimir Putin
       nervös gemacht. Sicherheitskräfte nahmen die erst vor einigen Wochen aus
       der Haft freigekommenen Freiheitskämpferinnen in Adler gleich dreimal fest,
       insgesamt über einen Tag lang. Die Ikonen des russischen Widerstandes
       treiben sehr geschickt einen Stachel ins Fleisch der Autokratie.
       
       ## „Wir sind nicht die UN“
       
       Die ganze Welt erfährt, was mit Pussy Riot geschieht, denn Tolokonnikowa
       kommentiert fast jeden Schritt ihrer Sotschi-Odyssee auf Twitter. Ihr
       Profilname: [1][//twitter.com/tolokno:@tolokno]. Man weiß nicht, ob auch
       das Internationale Olympische Komitee (IOC) bei Tolokonnikowa mitliest,
       nach ihrer Haltung zu der Sache wurde IOC-Sprecher Mark Adams am Mittwoch
       natürlich von der internationalen Presse befragt. „Wir sind nicht die UN
       oder einer supernationale Regierung, die Einfluss auf andere Länder hätte“,
       sagt er. Was im größeren Russland, außerhalb von Olympia geschehe, das ist
       nicht Sache der olympischen Gesellschaft.
       
       Fast schon zwanghaft halten Adams und auch IOC-Chef Thomas Bach an der
       Sprachregelung fest, dass es zwischen Olympiasport und Politik praktisch
       keine Berührungspunkte gebe. „Ich denke“, sagt Adams, „dass das, was jetzt
       mit Pussy Riot passiert ist, keine Verbindung zu den Spielen hatte.“ Wenn
       die Bandmitglieder allerdings im Olympiapark demonstriert hätten, „wäre
       dies unangemessen gewesen“.
       
       Wahrscheinlich so unangemessen wie der Protest der italienischen
       LGBT-Aktivistin Vladimir Luxuria, die, als sie die Eishokeyhalle „Shayba“
       auf dem Olympiagelände betreten wollte, von Sicherheitskräften aus der
       Fünf-Ringe-Zone bugsiert wurde; im Regenbogen-Outin hatte sie zuvor
       skandiert: „It’s okay to be gay.“ Luxuria sei sehr freundlich zum Ausgang
       geleitet worden, meint Adams, „und das war’s.“
       
       Beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) hat man sich noch gar nicht mit
       der Festnahme der Pussy-Riot-Aktivistinnen befasst. Eine Stellungnahme der
       DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann wird es dazu nicht geben, meinte
       Verbandssprecher Christian Klaue und diktierte die offizielle
       Sprachregelung: „Wir verfügen über keine Informationen, die es erlauben,
       eine dezidierte Einschätzung der Lage abzugeben.“
       
       Der erste Durchgang des Riesenslaloms der Männer war im deutschen Lager am
       Mittwochvormittag wichtiger als die Gängelung Oppositioneller. „Meinen Sie
       wirklich, wir diskutieren stattdessen über Pussy Riot?“, fragt
       DOSB-Sprecher Klaue. Der deutsche Sport will sich von den Zuständen in
       Russland in seiner Olympiabegeisterung nicht bremsen lassen. „Wir lieben
       das olympische Sotschi.“ Nach ihrer Freilassung äußerte eine der
       Aktivistinnen, deren Gesicht unter einer gestrickten Sturmhaube verborgen
       blieb, ebenfalls ihre Begeisterung für das Event. Was ihr besonders gut
       gefiel? „Wir haben viele Menschen hier kennengelernt. Die meisten von ihnen
       tragen Uniform.“
       
       ## „Das ist, was Olympia macht“
       
       Tolokonnikowa hatte schon bei einem Telefoninterview, das sie gab, als sie
       in einem Polizeifahrzeug zur Wache gebracht wurde, bestätigt, dass ihr
       Aufenthalt in Sotschi sehr wohl etwas mit den Spielen zu tun habe. Pussy
       Riot sei nach Sotschi gekommen, um dort ein Video für ein neues Lied zu
       drehen. Jenes Lied, das die Frauen gesungen haben, als sie von der Polizei
       wieder freigelassen worden waren: „Putin lehrt dich, Russland zu lieben“.
       
       Der letzte Tweet, bevor ihr auf der Polzeiwache das Handy abgenommen wurde,
       lautete: „Das ist, was Olympia macht.“ Via Twitter hatte Tolokonnikowa auch
       klar gemacht, dass ihr neues Projekt sich explizit mit Olympia, der
       Zerstörung der Natur sowie der Korruption im Zusammenhang mit dem Megaevent
       beschäftigt und dem Ökologen und Olympiakritiker Jewgenij Witischko
       gewidmet sei, der zu drei Jahren Lagerhaft verurteilt worden ist, nachdem
       er sich bei einer Verkehrskontrolle daneben benommen haben soll.
       
       Auch der Grund für die Festnahme der Pussy-Riot-Aktivistinnen lässt die
       Willkür erahnen, mit der die Behörden Oppositionelle drangsalieren. Sie
       sollen angeblich eine Handtasche gestohlen haben. Der Vorwurf wurde nach
       der Befragung der Frauen nicht aufrecht erhalten. Jetzt wollen
       Tolokonnikowa und Aljochina den Spieß umdrehen und die Polizei anzeigen.
       
       Nach ihrer Freilassung ließen sie sich die Verletzungen, die ihnen
       Polizeibeamte bei der Festnahme zugefügt hatten, von Ärzten attestieren.
       Und bald schon könnte es zur Premiere des Videos kommen, das Pussy Riot in
       Sotschi gedreht hat. „Der Clip ist im Kasten“ twitterte Alexander Popkow,
       der Anwalt der beiden.
       
       Am Mittwoch folgte dann ein Versuch den Videodreh fortzusetzen. Unmittelbar
       nach Beginn der Aufnahmen vor einer blauen Werbewand stürmten
       Bereitschaftspolizisten und Kosaken in traditioneller Tracht auf die
       Aktivisten zu und setzten Pfefferspray ein. Einer der Traditionalisten hieb
       mit einer Peitsche auf die Gruppe ein. [2][Ein Mitschnitt der Aktion ist
       mittlerweile online].
       
       19 Feb 2014
       
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