# taz.de -- Preis für evangelikale Pastorin: Retterin der gefallenen Mädchen
       
       > Am Donnerstag erhält die evangelikale Pastorin Gaby Wentland den
       > Bürgerpreis der deutschen Zeitungsverleger. Mit ihrem Verein „Mission
       > Freedom“ will sie Zwangsprostituierte befreien.
       
 (IMG) Bild: Magische Anziehung: Christen, hier beim Kirchentag 2013 in Hamburg, und das Rotlichtmilieu
       
       HAMBURG taz | Für das Hamburger Abendblatt ist sie „eine Mutter für
       verlorene Mädchen“ und „eine Kämpferin mit Herz“: Gaby Wentland, Predigerin
       der Freien Gemeinde Neugraben, gibt vor, mit ihrem Verein „Mission Freedom“
       die Opfer von Zwangsprostitution zu befreien. Im September 2013 wurde ihr
       dafür der Bürgerpreis des Bundes der deutschen Zeitungsverleger
       zugesprochen – auf Vorschlag des Hamburger Abendblatts. Am 20. Februar wird
       der mit 20.000 Euro dotierte Preis in Berlin verliehen.
       
       Um die Frauen ihren Zuhältern zu entziehen, bringt der christliche Verein
       sie und ihre Kinder im „Mission Freedom Home“ unter. 35 Frauen und Kindern
       sei so bereits der Weg in ein „selbstbestimmtes Leben“ ermöglicht worden,
       behauptet Mission Freedom. Doch kaum war bekannt, wer den Preis erhalten
       sollte, regte sich Kritik. Kersten Artus, Linken-Abgeordnete in der
       Hamburgischen Bürgerschaft, wunderte sich über das Konzept, sowohl offenes
       Streetworking zu machen als auch ein Frauenhaus zu betreiben – in der
       professionellen Sozialarbeit werden diese Bereiche strikt getrennt, damit
       Zuhälter den Frauen nicht in das Haus folgen können.
       
       Im Oktober 2013 stellten Artus und ihre Kollegin Cansu Özdemir eine Anfrage
       an den Senat. Die Antwort zeigte, dass, anders als von Gaby Wentland
       behauptet, Behörden und staatlich geförderte Opferschutzeinrichtungen eine
       Zusammenarbeit mit Mission Freedom ablehnen: Arbeit und Konzept entsprächen
       „nicht den Qualitätsanforderungen im Umgang mit Menschenhandel“ und dem
       „Sicherheitsbedürfnis der Betroffenen“, heißt es in der Antwort.
       
       So kritisiert die Hamburger Koordinierungsstelle gegen Frauenhandel
       (Koofra), dass die Privatsphäre der Betroffenen nicht gewahrt und ihre
       Erreichbarkeit nicht gewährleistet werde und dass nicht alle Frauen
       aufgenommen würden. Das offen aufsuchende Streetworking sei ein
       Sicherheitsrisiko. Die Beratungsstellen bei häuslicher Gewalt und
       Zwangsheirat, Lâle und Ibera, haben an Mission Freedom sogar eine
       „Unterlassungsaufforderung“ gestellt, wonach der Verein sie nicht mehr im
       Kontext seiner Arbeit nennen soll.
       
       Auch die autonomen Frauenhäuser in Hamburg lehnen eine Kooperation ab.
       Sogar das Frauenhaus des Diakonischen Werks hat laut Senatsantwort Bedenken
       gegenüber der „spezifisch religiösen Ausrichtung des Vereins“, wenn dort
       etwa die „Heilung vom sexuellen Missbrauch“ als „Seelen-Rettung“ bezeichnet
       werde. Die Sozialbehörde weigert sich bisher, das „Mission Freedom Home“
       als Frauenhaus anzuerkennen.
       
       Was Mission Freedom unter psychosozialer Betreuung versteht, kann im
       Charisma Magazin nachgelesen werden. Dort wurde Gaby Wentland mit folgendem
       Bericht über die „Hamburger Heilungstage“ im April 2013 zitiert: „Das
       Powerehepaar Wayne & Irene Negrini diente uns mit einer ungewöhnlich
       starken Salbung. Besonders Irene hatte ein Lebenszeugnis, das für die
       meisten Menschen unfassbar ist. Unsere jungen Frauen vom „Mission Freedom
       Home“ durften sich ihre Geschichte anhören und meinten danach: Dann ist
       meine Geschichte gar nicht so tragisch!“
       
       Die 56-jährige Wentland leitet die Freie Gemeinde Neugraben zusammen mit
       ihrem Mann Winfried seit 1995. Davor hatten die beiden 18 Jahre unter der
       Leitung des Evangelisten Reinhard Bonnke missioniert, dem selbst ernannten
       „Mähdrescher Gottes“. Ihre damalige Tätigkeit bezeichnen die Wentlands in
       ihrem Buch „Dem Tod knapp entronnen – Apostelgeschichte im 20. Jahrhundert“
       als „Evangeliumsfeldzug“. Diesen will Gaby Wentland in Deutschland
       fortführen, verspricht sie in "Dem Tod knapp entronnen": Deutschland soll
       "Schauplatz einer Volkserweckung“ werden.
       
       Nachdem die Vorwürfe gegen den Verein in der taz veröffentlicht wurden,
       berichteten auch der NDR, Spiegel Online und die Hamburger Morgenpost
       kritisch über Mission Freedom. In den Mittelpunkt der Berichterstattung
       geriet das Mädchen „Lisa Heller“, die angeblich mit acht Jahren von ihrem
       Vater in die Zwangsprostitution verkauft worden sei und nun von Mission
       Freedom betreut würde. Mission Freedom hatte der Hamburger Morgenpost
       anlässlich des Evangelischen Kirchentages im Mai 2013 ein Interview mit
       Bild von Lisa vermittelt und führte sie außerdem in der DVD „Heiße Ware“
       und auf dem Kirchentag öffentlich als Opfer von Menschenhandel vor – ein
       Vorgehen, das bei einer tatsächlichen Traumatisierung der jungen Frau
       unverantwortlich gewesen wäre.
       
       Bei den Ermittlungen des LKA stellte sich heraus, dass die Geschichte nicht
       stimmte – „Lisa“ war bei ihren Großeltern aufgewachsen und hatte als Kind
       zu ihrem leiblichen Vater gar keinen Kontakt. Das vermutlich an einer
       multiplen Persönlichkeitsstörung erkrankte Mädchen hatte während ihres
       Aufenthaltes in Betreuungseinrichtungen immer wieder
       Vergewaltigungsvorwürfe geäußert, die sich als nicht haltbar erwiesen
       hatten.
       
       Das alles war Gaby Wentland bekannt: Die Großmutter des Mädchens, Marion
       Ölmezoglu, sagt, sie sei bereit, eidesstattlich zu versichern, dass sie
       Gaby Wentland bereits 2008 kontaktiert habe. Damals hatte sie erfahren,
       dass „Lisas“ Geschichte in einer Informationsbroschüre der Freien Gemeinde
       Neugraben veröffentlicht werden sollte. Sie habe Wentland über Lisas
       psychische Erkrankung sowie die entsprechende Akte beim LKA informiert –
       was Wentland nicht daran hinderte, „Lisa“ als PR-Zugpferd für Mission
       Freedom zu benutzen. Bis heute behauptet sie, sie habe keinen Anlass
       gehabt, Lisa nicht zu glauben. Ölmezoglu sagt, Wentland habe auf ihre
       E-Mail mit dem Vorwurf reagiert, sie könne nicht ertragen, dass „Lisa“ vom
       Islam zum Christentum konvertiert sei.
       
       Anja Pasquay, Pressesprecherin des Bundes der deutschen Zeitungsverleger,
       gab nach dem Aufkommen der Vorwürfe gegenüber dem NDR an, man habe sich
       beim LKA und den Behörden über Mission Freedom informiert – daran kann sich
       aber weder Jörn Blicke, Leiter des Dezernat Milieu des LKA, noch Marcel
       Schweitzer, Pressesprecher der Sozialbehörde, erinnern.
       
       An Kersten Artus schrieb Pasquay, von den „zahlreichen Vorwürfen“ über den
       Verein und Gaby Wentland blieben nur zwei übrig: „Sie macht ihre
       ehrenamtliche Arbeit aus einem christlichen Glauben heraus, den sie auch
       öffentlich bekennt“, und „Sie hat zu lange der Missbrauchsgeschichte einer
       jungen Frau vertraut.“ Beides sei kein Grund, „den Preis infrage zu
       stellen“. Die Verleihung findet am Donnerstag, 11 Uhr, in der Berliner
       Bertelsmann-Repräsentanz Unter den Linden 1 statt.
       
       19 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hanna Klimpe
       
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