# taz.de -- Streetart-Künstler Ganzeer in Ägypten: Er kommt morgens
       
       > Ganzeer ist Illustrator, Grafiker und Designer – einer der aufregendsten
       > Nachwuchskünstler Ägyptens. Er glaubt an einen unumkehrbaren Wandel.
       
 (IMG) Bild: Eine Arbeit von Ganzeer in Kairo.
       
       KAIRO taz | Nachts ist es jetzt zu gefährlich. Die Panzer in den Straßen,
       die Soldaten mit ihren Kalaschnikows. Die warten doch nur auf Leute wie
       ihn. Er kommt morgens, drapiert seine Farben auf dem Asphalt, klappt die
       Leiter auseinander. Er arbeitet schnell.
       
       Zuletzt, bei „Die Armee über alles“, ein Berg von Totenköpfen, darauf der
       Slogan: „Die Revolution ist verloren“, kleisterte er eine Papierbahn nach
       der anderen an die Mauer in der Mohamed-Mahmoud-Straße. Erst am Ende fügte
       er den letzten Teil des Bildes an: den Torso eines Soldaten mit Helm und
       Gewehr, dem das Blut aus dem Maul läuft. Dann eilte er davon.
       
       Es ist ein grauer Nachmittag in Kairos Wohnviertel Garden City. Unten
       schiebt sich der Verkehr an der Corniche entlang, oben, im vierten Stock
       eines Zwanzigerjahrebaus, hockt Mohamad Famy oder Ganzeer, wie er sich
       nennt, an seinem Küchentisch und grinst. Er sei selbst überrascht, dass
       seine letzte Arbeit noch nicht entfernt wurde, denn fast alle seine
       Wandbilder seien mittlerweile weiß übertüncht. „Es herrscht ein Krieg
       darüber, wer mehr Anhänger bekommt. Das Militär oder wir.“
       
       [1][Ganzeer], Illustrator, Grafiker, Designer, ist einer der aufregendsten
       Nachwuchskünstler Ägyptens. Seine Arbeiten werden in der ganzen Welt
       gezeigt, er spricht auf Foren in Brasilien, Italien, Deutschland, kreiert
       Images für Sticker und Plakate zur Unterstützung internationaler Kampagnen,
       für die Freilassung der russischen Punkband Pussy Riot zum Beispiel. Seine
       gigantischen Wandbilder der Märtyrer der Revolution haben ihn berühmt
       gemacht.
       
       ## Er kam kurz ins Gefängnis
       
       Seine „[2][Maske der Freiheit]“ ist eine Ikone: Auf quietschgelbem
       Hintergrund prangt der Oberkörper eines Mannes, eine Ledermaske mit zwei
       Flügeln an den Seiten verdeckt seine Augen, die Riemen stopfen ihm den Mund
       zu. Darunter steht: „Neu: Die Maske der Freiheit. Ein Gruß vom Obersten
       Militärrat an die geliebten Söhne der Nation. Jetzt erhältlich, für
       unbegrenzte Zeit.“ Dafür kam Ganzeer kurz ins Gefängnis, entging aber einer
       Anklage. Zu groß war anscheinend der öffentliche Druck der Menschenrechtler
       und Facebook-Gruppen. Seither gilt Ganzeer als der inoffiziöse Sprecher der
       ägyptischen Streetart-Szene, auch wenn er derartige Kategorisierungen
       hasst. Er habe nur eine Leidenschaft für das Visuelle, sagt er. Für viele
       aber ist er: das Sinnbild einer unablässigen Einmischung.
       
       Ganzeer persiflierte den Filz im System Mubarak ebenso wie die Brutalität
       des danach herrschenden Militärrats, die despotische Willkür der Islamisten
       genauso wie die eiserne Härte der neuen Armeeregierung. Im Sommer
       illustrierte er das Dilemma des tief gespaltenen Landes mit einer
       Nachbildung eines Filmplakats. Es zeigt Armeechef Abdel Fattah al-Sisi als
       Vampir mit bluttropfendem Mund, daneben steht Mursi als Zombie mit grotesk
       verdrehtem Hals.
       
       Darunter steht: „Der eine isst euer Gehirn. Der andere saugt euer Blut.“
       Die enorme Macht des Militärs sei die größte Gefahr für Ägypten, sagt
       Ganzeer jetzt. „Erst hat der Militärrat alle Kritiker als Gegner der
       Revolution verunglimpft. Heute betitelt die Armee alle Andersdenkenden als
       Terroristen. Damit erzeugt sie eine fatale Hysterie.“ Er klopft auf die
       Tischkante. „Die alte Garde ist zurück. Der Kreis schließt sich.“ Doch auch
       wenn die Armee starke Waffen hat, um die Massen zu beeinflussen, die
       Medien, die Propaganda, die omnipräsenten Selbsthuldigungen: Ganzeer glaubt
       an die Kraft der kreativen Gegenbewegung. Und ist so Botschafter einer
       Generation der Furchtlosen, jener Empörten, die auf dem Tahrir ihren Wunsch
       nach Selbstbestimmung der Welt darstellten und nun, drei Jahre später, so
       weit von diesem Ziel entfernt scheinen wie nie zuvor.
       
       Denn das Militär geht unerbittlich gegen seine Kritiker vor. Seit der
       Räumung der Protestcamps der Mursi-Anhänger im Sommer, bei der Hunderte
       Menschen getötet wurden, veranstalten die Machthaber nicht nur eine
       Hetzjagd gegen die Muslimbruderschaft, die jetzt offiziell als
       Terrororganisation gilt. Alle, die über die neue Verfassung Skepsis äußern,
       werden als „Landesverräter“ betitelt; jeder, der sich offen gegen den
       wahrscheinlichen Präsidentschaftskandidaten al-Sisi ausspricht, muss mit
       drastischen Strafen rechnen.
       
       ## Die Schlange blieb
       
       Allein am dritten Jahrestag der Revolution wurden über tausend Menschen
       verhaftet, darunter Journalisten, Aktivisten, Künstler. Die Schaffung neuer
       restriktiver Strukturen begann unter Mubarak, sagt Ganzeer, auch deshalb
       habe er Zweifel an der Revolution gehegt. „Es wurde nur der Kopf
       abgeschlagen. Die Schlange blieb.“ Am 25. Januar 2011, als Junge und Alte,
       Männer und Frauen, auf dem Tahrirplatz ihre Wut über den Despoten Mubarak
       herausschrien, da setzte Ganzeer erstmals seine Waffe ein.
       
       In den Straßen schlug die Polizei auf Demonstranten ein, Ganzeer roch zum
       ersten Mal Tränengas. Er kletterte das Gestänge hoch, holte die Spraydose
       aus dem Rucksack und sprühte. „Weg mit Husni Mubarak“, stand auf dem
       Plakat. Die Menge jubelte.
       
       Er sagt, als sie aufgeschrieben war, sei die Utopie Wirklichkeit geworden.
       Doch bald schon regierte das Militär, Gewalt grassierte. Und Ganzeer erhob
       seinen Widerstand zur Maxime: Er beklebte die Stadt mit den Porträts der
       Toten, heftete das Konterfei des erschossenen Schülers Seif Allah Mustafa
       an die Wand vor dem Obersten Gerichtshof, damit ihm die Richter, die dort
       tagtäglich vorübergingen, ins Gesicht sehen mussten. Damit war Ganzeer
       einer der ersten Streetartisten in Ägypten. Vor der Revolution sei niemand
       auf die Idee gekommen, den öffentlichen Raum umzugestalten, sagt er. „Er
       war immer staatliches Territorium.“
       
       Das änderte sich spätestens im Mai 2011. Als die Regierung Ganzeers Werke
       entfernen wollte, protestierten Dutzende Künstler mit dem „Mad Graffiti
       Weekend“. Danach prangten erst Panzer und geballte Fäuste an den Mauern und
       Brückenpfeilern, bald folgten nuanciertere Arbeiten, pharaonisch anmutende
       Frauen, die eine Leiter erklimmen oder Schlangenköpfe, halb Mubarak, halb
       Mursi.
       
       Bahia Shehab sprühte „Nein zur Militärherrschaft“ auf Polizeihäuschen, das
       Kollektiv „Mona Lisa Brigade“ pinnte grellbunte Kinderporträts an die
       Häuser im Slum Ar del Lewa. Nach dem Schock des Umbruchs haben sich viele
       Menschen erst sammeln müssen, bevor sie aktiv wurden, sagt Ganzeer. Das
       ließe sich auch jetzt beobachten. „Die Hoffnung auf Veränderung wurde
       wieder enttäuscht. Das lähmt die Kreativität.“
       
       Letztens, sagt Ganzeer, habe er wieder den Geist des Aufbruchs gespürt. Er
       hatte zusammen mit den Künstlern Hany Rashed, Ahmed Hefnawy und Ammar Abu
       Bakr die Ausstellung „Freiheit“ in dem leerstehenden Hotel Viennoise in der
       Innenstadt organisiert. Sie fürchteten die Reaktionen, hatte Ganzeer doch
       schon mit seinem Plakat für die Schau provoziert: ein Vogel, der in einem
       Berg Fäkalien festsitzt, das Wort „Freiheit“ steht darunter, „Hurraya“, das
       im Arabischen nur durch die Verschiebung eines Punktes zu „Scheiße“ wird.
       
       Doch statt Prügelattacken gab es Dankesreden. Zwingende Entlarvungen wie
       diese, sagten ihm junge Besucher, ließen den einstigen Enthusiasmus
       aufleben. Es gibt einen unumkehrbaren Wandel, sagt Ganzeer zum Abschied.
       Daran glaube er. Auch daran, dass engagierte Kunst etwas verändern könne.
       „Wir müssen den Staat überraschen. Wir müssen immer wieder eine neue
       Sprache finden.“
       
       24 Feb 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.ganzeer.com/
 (DIR) [2] http://www.ganzeer.com/post/61096686642/project-the-mask-of-freedom-date-may-2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andrea Backhaus
       
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